Höhenflüge


Nicht lang nach unserer Radtour durch Guizhou kribbelt es wieder in den Beinen. Schon lange verfolgt uns der Wunsch…traum, einmal mit dem Fahrrad in/nach Tibet zu reisen und…, nun ja…, es gibt da so einige unseren Fantasien gegenläufige staatliche Regelungen, die uns Westeuropäern nicht so klar sind und mit Angst, Machtansprüchen (berechtigt oder nicht) und wirtschaftlichen Interessen seitens unserer Gastgeber und deren Regenten zu tun haben. Denn abgesehen davon, dass die Provinz Xizang (Tibet) in Covid-Zeiten noch schwerer bzw. gar nicht zugänglich ist, verlangt ein Ausflug in den südwestlichen Teil Tibets einen Haufen kostspieliger Genehmigungen und eine Tour ist nur in der genehmigten Gruppe mit Kulturelles Tibet
Kulturelles Tibet (rot)
einem akkreditierten Reiseführer nebst Fahrer möglich, all dies ist teuer zu bezahlen und dem passionierten Alleinreisenden ein weiterer Dorn im Auge.
Aber Tibet ist nicht Tibet, wie es heute auf chinesischen Karten zu sehen ist und offiziell unter dem Namen Tibetische Autonome Region (TAR, chin. 西藏自治区 ) zirkuliert. Tatsächlich macht die TAR nur etwa die Hälfte des tibetischen Plateaus aus und vielleicht 40 % der gesamten tibetischen Bevölkerung lebt in diesem Gebiet. Für das tibetische Volk und den größten Teil der Welt besteht Tibet aus allen Gebieten des tibetischen Plateaus, in denen tibetische Menschen beheimatet sind. Dieses Gebiet umfasst die gesamte Autonome Region Tibet (TAR), fast ganz Qinghai, den nördlichen und westlichen Sichuans, den südwestlichen Teil von Gansu und die nordwestlichen Zipfel von Yunnan. Tibet ist traditionell in 3 Hauptregionen unterteilt: U-Tsang (དབུས གཙང), Kham (ཁམས) und Amdo (ཨ༌མདོ). Während U-Tsang hauptsächlich die Gegend um Lhasa und das Yarlung-Tal sowie alles westlich von Gyantse umfasst, verteilt sich Kham auf die Provinzen Qinghai (Süden), Sichuan (Westen) und Yunnan (Nordwesten). Amdo hingegen liegt zum größten Teil in Qinghai, aber auch in Sichuan (Norden) und Gansu (Südwesten).

Route

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus legitim, die nachfolgende Tour als Tibet-Radreise zu betiteln. Die Route ist klar umrissen. In Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai, werden wir aufbrechen und versuchen, die Region Amdo in Sichuan zu erreichen. Dabei ist der Gedanke, von Xining für eine Tagesetappe in den Osten und dann nur noch Richtung Süden zu radeln. Sofern wir es dann bis in die 170 Kilometer entfernte Ortschaft Tongren problemlos schaffen, so der Plan, geht es weiter in Richtung Süden. Bricht uns hingegen der erste 3000er-Pass bei Kilometer 70 das Genick, werden wir bei Tongren Richtung Xiahe abbiegen und über Hezuo nach Chengdu weiterfahren (obgleich uns auch auf dieser Strecke mehrere Pässe bis 3.800 Meter erwarten werden).

Zahlen & Fakten
  • Strecke: Xining (Qinghai) Tagong (Sichuan)
  • Länge: ca. 1400 Kilometer
  • Dauer: 23 Etappen
  • Max. Höhe: 3940m XYZ-Pass nahe Rangtang (GPS: 32.314427,101.065274)
  • Höhenmeter: 6.230 m 5.390 m
  • Schwierigkeit: Fitness | Höhenprofil
    Die Tour ist nicht einfach. Besonderes, fahrerisches Können ist nicht erforderlich, allerdings machen sehr lange Anstiege eine solide Grundkondition notwendig.
  • Reisezeit: Juli/August 2021
    Die beste Reisezeit ist im Frühsommer/-herbst, sind die Temperaturen zu dieser Zeit (wenigstens tagsüber) am erträglichsten.
  • Orientierung: Bei der Routenplanung bzw. -durchführung kann man sich keinesfalls auf APPs verlassen, da das Kartenmaterial doch sehr veraltet ist und man sich nicht nur einmal wundert, auf der digitalen Karte mitten im Nichts zu stehen. Chinesische Papierkarten sparen Kilometer.
  • Unterkunft: siehe bei den Etappen, aber auch Radfahren in China
Grobe Reiseroute


Vorbereitungen

Allzu viel ist nicht zu tun, insbesondere steht die Ausrüstung in Form von Taschen und Kleidung seit unserer letzten Tour nach Guizhou. In Bezug auf den Transport der Räder nach Qinghai greifen wir, dank guter Erfahrungen, wieder auf das Logistikunternehmen Shunfeng zurück, innerhalb einer Woche werden unsere Giants in Xining ankommen, das Hotel hat bereits zugesagt, die Fracht entgegenzunehmen. Zum Transport von Fahrrädern und anderen Kleinigkeiten, s.a. den Artikel Radfahren in China.

Giant Fahrräder
Unsere Räder

Etappe 1 – Xining nach Ping’an

02:33 h

Netto-Zeit
39,3 km

Kilometer
15,4 km/h

Durchschnitt
490 m

Aufstieg
600 m

Abstieg

Die Räder sind im Hotel in Xining angekommen und werden unter neugierigen Blicken der Passanten vor dem Hotel zusammengesetzt. Wir akklimatisieren uns ein wenig (Xining liegt etwa 2.300 m ü.d.M), fahren mit dem Rad quer durch die Stadt auf der Suche nach Fahrradgeschäften (in denen wir dann doch nichts kaufen) und ein Besuch des Kumbum-Klosters (berühmt für seine tibetische und Han-Architektur) im Südwesten der Stadt steht auf dem Tagesprogramm (das Kloster hat sich seit 2008 kaum verändert, allerdings wurde viel renoviert und neu gestrichen und es ist so überlaufen, dass kaum Zeit und Ruhe zur Besinnung bleibt). Wenn wir auf der Rückfahrt in die Stadt ein Handy im Taxi vergessen, so ist das nicht weiter schlimm, die Taxifahrerin nimmt den Anruf vom Zweithandy entgegen und bringt uns das Gerät ins Hotel. Das Gute im Menschen wird oft in Kleinigkeiten offenbar. Am nächsten Tag rollen wir bei herrlichem Wetter nach Ping’An hinab. Eine Unterkunft finden wir erst im x-ten Anlauf, angeblich sind alle Hotels voll (obgleich Ping’An wirklich nichts zu bieten hat, außer guten uigurischen Restaurants), uns dünkt jedoch, dass es eher die Angst vor Corona-verseuchten Ausländern ist, die das Hotelpersonal in Schrecken versetzt. Egal, wir haben ein Dach über dem Kopf, ein weiches Bett und eine gute Aussicht auf den Ort. Was es nicht gibt, ist ein Fahrradladen, so wird Sabines verbogene Bremsscheibe kurzerhand mit der Zange gerade gebogen…

Kumbum-Kloster / QinghaiKumbum-Kloster / Qinghai

Etappe 2 – Ping’an nach Zhaba

04:38 h

Netto-Zeit
46,6 km

Kilometer
10,1 km/h

Durchschnitt
1140 m

Aufstieg
600 m

Abstieg

Uns erwartet ein fast 35 Kilometer langer Anstieg bis zum ersten Pass (3300 Meter) dieser Tour. Die Landschaft ist mit kleineren Dörfern durchsetzt und durchweg hügelig bis bergig, Wälder wechseln sich mit Weiden ab und wir sehen die ersten Yaks. Der Anstieg zum Pass ist nicht zu schwer, die Straße tadellos, nur die Luft wird etwas dünner und wegen der Viehhaltung sind Pferdebremsen unsere ständigen und nervigen Begleiter. Ab dem Pass folgt eine rauschende Abfahrt durch blühende Rapsfelder bis Zhaba (扎巴), übernachtet wird im einsternigen Adai Hotel.

Rapsfeld bei Zhaba / Qinghai
Rapsfeld bei Zhaba

Etappe 3 – Zhaba nach Kanbula

01:29 h

Netto-Zeit
29,4 km

Kilometer
19,8 km/h

Durchschnitt
160 m

Aufstieg
760 m

Abstieg

Die Etappe ist fast zu kurz, um erwähnt zu werden. Da es fast nur bergab geht, ist sie auch in weniger als 90 Minuten Fahrzeit zu Ende. Allerdings wollen wir es uns nicht nehmen lassen, den berühmten Kanbula National Forest Park zu besuchen, der nicht nur ein Waldpark mit einzigartiger Danxia-Landform Danxia Landform / QinghaiDanxia Landform
Als Danxia-Landschaften (chinesisch 丹霞地貌) werden bestimmte Landschaftsformen in Südchina bezeichnet, die aus rotem terrigenem Sedimentgestein entstanden sind und durch geologische Prozesse, wie Erosion im Laufe der Erdzeitalter charakteristisch gestaltet wurden.
Quelle: wikipedia
und ein herrliches Canyon-Stauseegebiet ist, sondern auch alte religiöse Kultur und einzigartige tibetische Bräuche bieten soll. Die Landschaft ist wirklich ausnehmend schön, auch wenn es an diesem Tag sehr neblig ist, von der Reiseführer-Spiritualität spüren wir allerdings weniger, liegt es am Wetter, an dem Umstand, dass wir von Osten kommen oder an Covid-19, wer weiß… Apropos Covid-19, in Kanbula erleben wir erstmals eine gewisse Hysterie, zwei Ausländer auf dem Fahrrad…, ein schlechtes Omen, und wir werden beim Essen in einem Restaurant (in China bleibt nichts lange verborgen) auch gleich von einem zweiköpfigen Ärzteteam auf Herz und Nieren befragt. (Nebenbei: der Kanbula-Park scheint geschlossen, daher leisten wir uns ein Taxi in die umliegenden Berge mit guter Aussicht auf See und Danxia-Landschaft.)

Kanbula-See / Qinghai
Kanbula-See / Qinghai

Etappe 4 – Kanbula nach Jianzha

02:06 h

Netto-Zeit
31,6 km

Kilometer
14,8 km/h

Durchschnitt
360 m

Aufstieg
400 m

Abstieg

Auch der folgende Streckenabschnitt wird ein kurzer, wir wollen uns langsam warmfahren. An den Gestaden des Gelben Flusses geht es lustig auf und ab, die Berge und Dörfer/Städte spiegeln sich im träge dahinfließenden Gewässer, im Dorf Jiefang sorgt ein kleines, unbedeutendes Kloster für ein wenig kulturelle Abwechslung und gegen Mittag ist Jianzhai (尖扎县 oder Jainca) erreicht. Auch hier erfahren wir, dass viele Hotels Ausländer nicht aufnehmen (dürfen), allerdings ist unklar, ob es an Covid oder fehlender Lizenz liegt. Jianzha und seine knapp 50.000 Einwohner sehen Ausländer nicht sehr oft, so sind wir bei einem Spaziergang durch die Stadt eine willkommene Attraktion. Derer gibt es indes auch in der Stadt: Osung Dorje, einen professionellen Bogenbauer, der als einer der wenigen Handwerker weltweit die Kunst des Bogenbaus aus Büffelhorn beherrscht. Am heutigen Tag scheint er allerdings nicht in der Stadt zu sein…

Gelber Fluss nahe Jainca
Gelber Fluss nahe Jainca

Etappe 5 – Jianzha nach Tongren

04:39 h

Netto-Zeit
62,9 km

Kilometer
13,5 km/h

Durchschnitt
920 m

Aufstieg
500 m

Abstieg

Noch 20 Kilometer folgen wir dem Lauf des Gelben Flusses, bevor dieser sich nach Osten in Richtung Lanzhou verabschiedet. Die Landstraße S203 führt auf den nächsten Kilometern bergauf durch eine unwirtliche Schlucht, die der Longwu-Fluss im Laufe der Jahrmillionen gegraben hat, auf halber Strecke findet sich ein sehenswertes Buddha-Relief, das in eine Bergflanke gehauen wurde. Im kleinen Dorf Gulangdi legen wir eine Pause ein und müssen miterleben, wie ein Kind von einem Auto (natürlich mit überhöhter Geschwindigkeit) erfasst wird und fast zu Tode kommt. Der Gedanke an das viele Blut auf der Straße lässt uns noch lange die Beine zittern… Spätestens bei Guomari hat uns die Zivilisation wieder im Griff, wir können die goldenen Dächer der Tempel von Wutun sehen und sind alsbald in Tongren (tib. Rebkong, 2.500 m). Die Hotelsuche wird immer schwieriger, wir probieren eine neue Strategie und suchen nach mehreren fruchtlosen Check-in-Versuchen die Polizei auf, auf dass sie sich um eine Unterkunft bemüht. Nach langem Warten kommen wir im zentralen Yulong-Hotel unter, das uns zuvor – ohne polizeiliche Hilfe – abgewiesen hatte.
Für den folgenden Tag ist eine Radpause vorgesehen. Tongren (und die nahe Umgebung) ist für seine Regong-Kunst und Thangka-Malereien sowie für Festivals (derer zur jetzigen Zeit keine stattfinden) berühmt, als kleine Klostergrafschaft ist die Stadt zudem für viele seiner beeindruckenden tibetischen Klöster bekannt, wie den Rongwo-Tempel – ein berühmtes aktives Gelukpa-Kloster, den Wutun- und Nianduhu-Tempel, den Guomari-Chörten usw.

Schlucht des Longwu-Flusses
Schlucht des Longwu-Flusses

Etappe 6 – Tongren nach Gartse

04:26 h

Netto-Zeit
48,2 km

Kilometer
10,7 km/h

Durchschnitt
1200 m

Aufstieg
400 m

Abstieg

Kurzerhand werfen wir unsere ursprüngliche Reiseroute über den Haufen. Die Fahrt ins Golog County mit der Aussicht, am Mt. Amnye Machen vorbeizuradeln, wird angesichts mehrerer Pässe über 4000 Meter, für die wir uns zu dieser frühen Zeit nicht fit fühlen (immerhin kommen wir aus einer Stadt auf Meereshöhe) auf Eis gelegt. Stattdessen führt uns der Weg am östlichen Ufer des Longwu-Flusses zurück nach Wutun, bei Bao’An bzw. Togya biegen wir nach Osten ab, wenig später folgen wir dem Tongxia-Highway Richtung Südosten. Das Tal des Flusses, das wir durchfahren, ist flankiert von Bergzügen aus rotem Gestein, auf den Feldern grünt Getreide oder Mais vor sich hin, hie und da glitzert das Dach eines Tempels golden in der Sonne… das Radfahren ist ein echter Genuss. Auf halbem Wege steht auf einer kleinen Anhöhe ein Tempelchen, von dort hat man eine herrliche Aussicht auf die umliegenden Berge mitsamt ihren tektonischen Verwerfungen. Gegen Mittag trudeln wir in Zhongchi/Shuangpengxi (2.750 m) ein, hier wird gerade der Reis zum Trocknen auf Gestelle gehängt und wir bekommen als Mahl die fettigsten Teigtaschen, die wir je gegessen haben, die auf unseren Mündern eine dicke Ölschicht hinterlassen und wir in den nächsten Tagen nicht mehr mit aufgesprungenen Lippen zu kämpfen haben. Ab Zhongchi geht es für 14 Kilometer stetig bergauf, kurz vor der Ortschaft Gartsé/Guashize (3.340 m) feiert die örtliche Bevölkerung auf einer Weide ein Fest, die Männer des Dorfes messen sich zur Belustigung der Frauen und Kinder im Ringkampf und Tauziehen. Noch am Ortseingang finden wir ein kleines Gasthaus, dessen Wirt aus der Provinz Hubei entstammt, der Koch aus der gleichen Provinz zaubert ein herrliches Abendessen, welches wir in der Gaststube einnehmen und durch die Fenster derselben dem hereinbrechenden Gewitter zuschauen.

Etappe 7 – Gartse nach Xiahe

04:23 h

Netto-Zeit
59,7 km

Kilometer
13,6 km/h

Durchschnitt
940 m

Aufstieg
1280 m

Abstieg

Gartse verabschiedet uns mit Sonnenschein und einem knapp sieben Kilometer langen Anstieg auf 3600 Meter Höhe. Am Pass machen wir ein obligates Pass-Foto und genießen die schöne Aussicht auf große Yak-Herden, die sich munter auf grüner Hochweide zwischen Nomadenzelten tummeln und das Chakori-Kloster in Gartse. Zwanzig Kilometer rauschende Abfahrt führen in eine Senke, an deren Ende es noch einmal auf 3300 Meter hinaufgeht, bevor man sich nach Xiahe (2.950 m) in die Provinz Gansu hinabrollen lassen kann. Kurz vor Xiahe gibt es ein tollwütiges Gewitter, im Ort selbst nur wenig Unterkunftsmöglichkeiten für Ausländer. Wir setzen noch einmal einen Tag aus, lassen den Geist des Labrang-Klosters auf uns wirken und sind alsbald auf dem Weg ins Sangke-Grasland.

Sangke-Grasland / Gansu
Feuchtgebiet im Sangke-Grasland

Etappe 8 – Xiahe nach Amuquhu

04:23 h

Netto-Zeit
62,1 km

Kilometer
14,1 km/h

Durchschnitt
810 m

Aufstieg
690 m

Abstieg

Das Sangke-Grasland und -Feuchtgebiet wird in Reiseführern und bei Veranstaltern hochgepriesen, es ist auch recht schön und wenn man Pferde mag und/oder reiten kann, vielleicht sogar doppelt schön. Vor uns liegt allerdings auch ein weiterer 3500er-Pass, der allerdings nicht zu schwer ist, da es zwar stetig, aber gemächlich – an heiligen Quellen vorbei – bergauf geht. Ab dem Pass geht es eine ganze Ecke talwärts, wir sehen die ersten chinesischen Radreisenden, die trotz Wärme von Kopf bis Zeh in Stoff gehüllt sind und lange dauert es nicht, bis wir das Kloster vom Amqok (Amuquhu) sehen. Die Hotels im Ort dürfen uns nicht aufnehmen, wir müssen – mithilfe der freundlichen Ortspolizei – zurück ins Dorf Anguo, um dort bei einer tibetischen Familie unterzukommen. Chinesische Logik wird uns nach den vielen Jahren im Land immer fremder, ein Hotel ist uns untersagt, bei Tibetern dürfen wir im Haus übernachten? Mit Blick auf Covid macht das noch weniger Sinn als alles, was chinesische Regierungsfuzzis an Unsinnigem produziert haben. Politisch-ideologisch auch. Wie auch immer, unsere Gastgeber sind nett, wir lernen, wie man aus Tsampa (Mehl aus geröstetem Getreide) eine Mahlzeit zaubert, lassen uns mit Joghurt aus Yakmilch verwöhnen (unsere Gastgeber kommen nicht mal auf die Idee, dafür Geld zu verlangen) und geschlafen haben wir auf steinharter Matratze wie Säuglinge. Tashi Delek!

Etappe 9 – Amuquhu nach Gaxiu

05:47 h

Netto-Zeit
76,6 km

Kilometer
13,2 km/h

Durchschnitt
1060 m

Aufstieg
800 m

Abstieg

Wir sagen Anguo Ade und begeben uns auf die bis dahin längste Etappe. Kurz hinter Amqok frühstücken wir an einer Raststätte, treffen drei Motorroller-Fahrer aus Lanzhou auf dem Weg nach Tibet, bringen zwei Pässe (3300 und 3600 Meter) hinter uns und sind froh über jede Minute, an der nicht ein Lkw oder Urlaubs-SUV an uns vorbeidonnert. Die Ferien haben begonnen und der reiselustige Chinese von heute ist individuell im eigenen Großraum-PKW „on the road“. Wer (auf der ganzen Welt) zeigt nicht gern, was er/sie sich mit eigner Hände Arbeit (oder der prallen elterlichen Geldbörse) leisten kann und kein Ding eignet sich dafür besser als ein Auto, dass wenigstens doppelt so groß wie das des Nachbarn ist. Dass man mit der Bedienung dieses Gefährts vielleicht etwas (sehr) überfordert ist, ist nicht diskutabel.
Gaxiu, kurz hinter dem zweiten Pass, liegt auf ca. 3450 Metern Höhe und ist ein schönes Beispiel, wie die chinesische Regierung versucht, die Tibeter 1. zur Sesshaftigkeit zu „animieren“ und 2. mit einem „Eigenheim“ zur Dankbarkeit und Ruhe zu verpflichten. Dass es dem Ort dadurch an einer Seele fehlt und eher wie eine Ferienhaussiedlung oder schlimmer aussieht, ist da zweitrangig. Wie auch immer: das einzige Hotel im Ort nimmt uns ohne behördliches Tamtam auf (der Bruder des Inhabers fristet sein Leben in einer deutschen Stadt), es gibt ein paar gute Restaurants im Ort und im Schein der untergehenden Sonne leuchten die ersten Berge oberhalb der Vegetationsgrenze um die Wette.

Etappe 10 – Gaxiu nach Langmusi

05:40 h

Netto-Zeit
60,4 km

Kilometer
15,1 km/h

Durchschnitt
560 m

Aufstieg
660 m

Abstieg

Bei schönem Wetter ist viel los auf der G213, obgleich wir Gaxiu recht früh verlassen. Wir werden uns heute den ganzen Tag auf über 3000 Höhe bewegen, allerdings kommt der Körper nach mehr als einer Woche auf dem Rad gut damit klar. Nach zwei Pässen über 3500 Metern durch Hochlandweiden, gelangen wir auf der Abfahrt zu einer riesigen Skulptur, die Schwarzhals-Kraniche im Flug darstellt und reges Interesse bei chinesischen Touristen findet. Nicht viel später erreichen wir den Gahai See, den größten Frischwasser-See der Präfektur Gannan, die zur Amdo-Region gehört. Der See wird von drei Flüssen gespeist, die aus den umliegenden Bergen kommen, er ist Brutplatz zahlreicher Zugvögel und die Umgebung ist noch relativ intakt, d.h. nicht als Farmland kultiviert. Wie auch immer, wir lassen von einem Abstecher zum See ab, nicht zuletzt wegen des Eintrittsgeldes, mit dem man sich das Recht erkauft, auf einer hölzernen Plattform stehen zu dürfen. Im Dorf Gahai essen wir die schlechteste Nudelsuppe Chinas.
Es folgt ein längerer „ebener“ Streckenabschnitt, kurz vor dem letzten Pass am heutigen Tag setzt Regen ein, der die Luft schwer macht (es ist relativ warm) und dafür sorgt, dass uns die Pferdebremsen bis nach Langmusi (3.290 m) hineinverfolgen.
Langmusi ist eine kleine Stadt, deren nördlicher Teil zur Provinz Gansu, der südliche Teil hingegen zu Sichuan gehört. Mit ausgedehnten Grasland und üppigen Wäldern macht sie ihrem Spitznamen „Kleine Orientalische Schweiz“ alle Ehre. Die meisten Bewohner hier sind gläubige Anhänger des tibetischen Buddhismus (bzw. Hui-Muslime), der 600 Jahre alte Kirti Gompa (格尔底寺) und auch der jüngere Serti Gompa (赛赤寺) sind zwei sehr schöne Gelugpa-Tempel, die weit über die Grenzen der Gegend bekannt sind und Myriaden von Touristen anlocken. Hinter dem Kirti Gompa lohnt ein Spaziergang in die Namo-Schlucht (纳摩大峡谷), eine der Hauptattraktion – neben den Tempeln – ist das Pferdetrekking ins benachbarte Grasland. Uns wird zunächst der Zugang zum Hotel auf Sichuan-Seite verwehrt und mit Glück bekommen wir eine Kemenate in der Internationalen Jugendherberge im Gansu-Teil. Am nächsten Tag, das Wetter hat sich beruhigt, schauen wir uns die Tempel an, waschen Wäsche und lernen von einem chinesischen Reisenden Interessantes über Zhongrangtang.

Etappe 11 – Langmusi nach Maqu (67,5 km)

04:25 h

Netto-Zeit
67,5 km

Kilometer
15,3 km/h

Durchschnitt
660 m

Aufstieg
510 m

Abstieg

Wir verlassen Langmusi und haben eine der wenigen Schotterstraßen dieser Tour vor uns, allerdings ist die Piste nicht sehr lang. Von Langmusi geht es ein paar Kilometer Richtung Süden, bevor wir auf die neue G345 treffen, die es in diesem Verlauf in noch keiner der Navigationsapps gibt. Am einzigen Pass (3596 m), den wir heute erklimmen müssen, gibt es eine kurze Pause, Regen bahnt sich an. Links und rechts in den Berghängen haben Nomaden ihre Zelte aufgeschlagen und hüten große Yakherden, bei Kilometer 20, etwa in der Höhe der kleinen Ortschaft Huo’erla (霍尔拉) öffnet sich die enge Schlucht und gibt den Blick auf ein riesiges Bassin frei, deren Hochlandweiden vom Hei-Fluss (黑河) und später vom Gelben Fluss durchzogen und gewässert werden. Das China National Geography Magazine kürte dieses Feuchtgebiet einst zum schönsten Chinas, in jedem Fall ist es ein Paradies für Adler, Schwarzhalskraniche, Pfeifhasen und anderes Getier, einschließlich Zillionen von Pferdebremsen. An eine Pause ist da nicht zu denken, schade…

Passhöhe nahe Langmusi / Gansu
Passhöhe nahe Langmusi

Etappe 12 – Maqu nach Aba Xian 180 km

Ein Blick auf die Chronometer, Karte und Kalender zeigt, dass ein wenig Schummeln angesagt ist. Noch unterwegs kommen wir zu dem Schluss, die 180 Kilometer von Maqu nach Aba Xian mit dem Bus zurückzulegen, da uns unterwegs auch nicht so viel Abwechslung erwarten dürfte. Die Wolken am Himmel versprechen zudem irgendetwas in Richtung Gewitter. Ein paar Kilometer vor Maqu treten wir daher wie toll in die Pedale, der einzige Bus am Tag wird um 15 Uhr seine Türen schließen und davonfahren. Etwa 15 Minuten vor diesem Zeitpunkt treffen wir am Busbahnhof ein, rupfen vor den staunenden Fahrgästen das Gepäck vom Rad und die Laufräder aus Gabel und Hinterbau und stopfen dies in Sekundenschnelle in das Gepäckabteil. Der Erwerb der Fahrkarten wird da viel länger dauern, der Busfahrer hilft indes mit grummelnder Bereitwilligkeit. Aus fleckigen Busfenstern erspähen wir zum letzten Mal den Gelben Fluss, der sich durch Hochlandweiden schlängelt, viele Yaks sind mit ihren Herrchen unterwegs, hie und da leuchten die goldenen Dächer irgendeines Klosters im einsetzenden Gewitter auf und am frühen Abend trudeln wir offiziell in Sichuan und in Aba Xian (3.300 m) ein. Das von uns im Bus per App vorgebuchte Hotel winkt ab, keine Ausländer…, bitte. Die hilfreichen Geister von trip.com machen ein Hotel ausfindig, das Nicht-Chinesen aufnimmt, allerdings ist es schwer zu finden, noch schwerer ist für die Angestellten der Prozess des Eincheckens, sodass wir erst drei Stunden nach unserer Ankunft in Aba den Schweiß vom Leib duschen können. Langsam macht sich bei uns Unwohlsein und Ungehaltenheit breit, denn unserer chinesischen Miturlauber brauchen für eine Hotel-Registrierung gerade einmal fünf Minuten…
Ngawa oder Aba Stadt (阿坝镇) ist Sitz der gleichnamigen Präfektur, liegt auf dem Tibetischen Plateau, die Stadt hat 20.000 Einwohner und 37 Tempel in der Umgebung. Der wichtigste Tempel ist der Kirti Gompa aus dem 15. Jahrhundert mit ca. 2500 Mönchen (deren Zahl allerdings stetig abnimmt, die Gründe kann man sich denken). Weitere interessante Tempel sind der Setenling Gompa, der Nangzhik Gompa und der Topgyel Gompa, alle innerhalb der Stadtgrenzen. Daneben ist Aba ziemlich relaxed, die Leute sind nett und neugierig, bei schönerem Wetter lässt sich hier einige Tage aushalten.

Kirti Gompa / Ngawa
Kirti Gompa / Ngawa

Etappe 13: Aba Xian nach Kehe

06:16 h

Netto-Zeit
75,4 km

Kilometer
12,2 km/h

Durchschnitt
940 m

Aufstieg
1210 m

Abstieg

Unweit unseres Hotels beginnt die XU07, der wir in den nächsten Tagen auf knapp 210 Kilometern Richtung Süden folgen werden. Die Straße schraubt sich, sobald der Ake River in Aba überquert ist, rasch auf knapp 3.800 Meter Höhe und bietet einen fantastischen Ausblick auf die Stadt und das Kirti Gompa und die umliegenden Berge. Auf (fast) jeden An- folgt ein Abstieg, letzterer ist sanft, aber stetig und reicht bis Kilometer 60. Einen großen Teil der Strecke folgt die XU07 dem Lauf des Nike River, der sich seinen Weg durch ein enges, waldiges Tal zwängt, hier und da gibt es kleine Siedlungen und erst in Kuasha, 53 Kilometer seit unserem Aufbruch, finden wir eine kleine Imbissbude, um den aufkommenden Hunger zu stillen. Langsam nähert sich der späte Nachmittag und mit ihm dicke Wolken am Himmel, bis auf einige kleine Schauer ist das Wetter angenehm, allerdings wird es langsam dunkel. Auf den nächsten Kilometern finden wir tatsächlich noch einen Miniatur-Supermarkt, der uns eine Instantsuppe nebst heißem Wasser verkauft, das muss für heute genügen. Wenig hinter Kehe, schlagen wir uns in ein Seitental, unser Zelt auf und beenden einen langen und anstrengenden Tag. Nebenbei: Irgendwie und irgendwo löschen wir ungewollt fast alle Fotos (viel waren es nicht, wir waren zu sehr aufs Radfahren konzentriert) des heutigen Teilstücks, vielleicht liegt auch eine Fehlfunktion der Speicherkarte vor, wer weiß…

Aba-Xian (Ngawa) / Sichuan
Blick auf Aba-Xian (Ngawa)

Etappe 14: Kehe nach Nanmuda

04:30 h

Netto-Zeit
62,5 km

Kilometer
13,8 km/h

Durchschnitt
740 m

Aufstieg
390 m

Abstieg

Obgleich unser Zelt nicht gerade durch Tarnfarben besticht, bleiben wir in der Nacht unbehelligt. Nach Einbruch der Nacht ist auch kaum Verkehr zu hören und am Morgen sind wir mit den Hühnern aus dem Schlafsack, knabbern einen Müsliriegel und träumen von Kaffee. Die kommenden 60 Kilometer wird es kontinuierlich bergauf gehen, allerdings ohne hochprozentige Steigungen. Nach einer 90-Grad-Biegung verlassen wir den Nike-Fluss und folgen jetzt dem Reerka (der fast genauso wie der Nike aussieht), gegen Mittag erreichen wir das Kloster Bangtuo nahe Rongmuda. Mittlerweile bewegen wir uns im Rangtang/Dzamtang County (壤塘县, ཛམ་ཐང་རྫོང). Das Kloster ist für seine alten Chörten (Stupas) und seine 500.000 sutras (Steintafeln, auf denen buddhistische Lehrverse eingraviert sind) bekannt.

Bangtuo-Kloster in Zamtang / Sichuan
Bangtuo-Kloster in Zamtang

Etappe 15: Nanmuda nach Zhongrangtang

0:56 h

Netto-Zeit
12,5 km

Kilometer
13,0 km/h

Durchschnitt
120 m

Aufstieg
40 m

Abstieg

Die 12 Kilometer nach Zhongrangtang hätten wir sicherlich auch am Vortag geschafft…, oder auch nicht. Der Gedanke ist aber, früh aufzubrechen, um dann vor Ort abzuwägen, ob (mehr als) eine Übernachtung angezeigt ist.
Der folgende Streckenabschnitt ist kurz und sehr schön. Die Luft ist dünn, aber frisch und die goldenen Dächer des Klosters im Dorf Qiutang werfen das Licht der Sonne zurück, sodass es die Augen fast schmerzt. Unterwegs rasen zwei Mönche auf dem Moped vorbei und wollen, als sie merken, dass wir Ausländer sind, sogleich unsere WeChat-Adressen, was wenig Sinn ergibt, da die Sprachhürde doch erheblich ist. Wie auch immer, bei Kilometer 9 geht es um den Rücken eines Berges und in der Ferne schimmert das Tsangwa Kloster, welches – gegründet im 18. Jahrhundert – die Heimat des derzeitigen Oberhauptes der Jonang-Tradition aus Nordindien ist, die wiederum das gesamte Kalachakra-System enthält, einschließlich der „Sechs Vajra Yogas“ usw. (Alles sehr kompliziert). Wie auch immer, unter tibetischen Buddhisten ist der schöne Tempel-Komplex eine bekannte Adresse, die ruhige und abgelegene Umgebung trägt einen Teil der Faszination dieser Anlage, wir als Westler stehen nur staunend vor den goldgedeckten Gebäuden und denken uns unseren Teil. Während wir so stehen und denken, trifft auch schon die Polizei ein und will uns am liebsten des Ortes verweisen, scheint aber über keine richtige legale Handhabe zu verfügen. So dürfen wir im einzigen Hotel, das Ausländer aufnehmen „darf“ übernachten, außerdem „dürfen“ wir uns das Kloster ansehen und werden Tage später von anderen Ordnungshütern darauf hingewiesen, dass wir beim Besuch des Klosters keine Schutzmasken trugen (was uns unnötig erschien, da wir uns a) nur draußen aufhielten und b) kein Mensch um uns herum war).

Zhongrangtang / Sichuan
Zhongrangtang

Etappe 16: Zhongrangtang nach Rangtang

03:27 h

Netto-Zeit
41,7 km

Kilometer
12,1 km/h

Durchschnitt
650 m

Aufstieg
860 m

Abstieg

Ist man nicht gerade ein Vollblut-Buddhist, genügt ein eintägiger Besuch des Klosters von Zhongrangtang, mit einer Audienz des Lamas Ngakgom Purtsa ist in diesen Zeiten eher nicht zu rechnen, für Trekking fehlen uns die rechten Klamotten und irgendwie haben wir das Gefühl, die Obrigkeit will uns schnell wieder loswerden. Über Qiutang radeln wir zurück nach Namuda, unterwegs werden wir von der Polizei angehalten, die uns aber nur mit Wasser und Obst versorgt. Wenig hinter Namuda geraten wir in einen Schwarm Geier, vielleicht 15 Vögel kreisen tief über uns, vielleicht weil sie wissen, was kommen wird: der „Neun-Kehren-Pass“, der uns, wie der Name erahnen lässt, in neun Kehren zur Passhöhe auf 3.930 m bringen wird. Höher hinaus wird es auf dieser Tour denn auch nicht gehen. Kein Pass ohne Abfahrt, knapp 12 Kilometer geht es in rasendem Tempo hinab nach Rangtang, einige Male müssen wir scharf bremsen, da die an sich gute Straße durch Erdrutsche und Überschwemmungen stark beschädigt ist. In Rangtang angekommen, beziehen wir ein Hotel am Stadtrand, diesmal ist die „Hilfe“ der Polizei nicht vonnöten.

Neun-Kehren-Pass / Sichuan
Neun-Kehren-Pass

Etappe 17: Rangtang nach Dayili

03:38 h

Netto-Zeit
63,0 km

Kilometer
17,4 km/h

Durchschnitt
380 m

Aufstieg
730 m

Abstieg

Immer weiter geht es in den Süden. Das Wetter meint es wohl mit uns, die Straße XU07 ist ohne Fehl und es ist wahrlich eine Freude, durch das enge Tal des Duke-Flusses zu fahren, vorbei an kleinen tibetischen Dörfern, die sich an die Flanken der Berge klammern. Nördlich der kleinen Ortschaft Wuyi führt die Straße an dem herrlichen Zengke-Tempel (曾克寺) vorbei, den wir für uns als eines der schönsten Klöster der gesamten Tour auserlesen. Leider bekommen wir nicht viele Informationen zu diesem Kloster der Gelupga-Sekte, aber die bunten Türme und Steinmetzarbeiten der Anlage sind wahrhaft sehenswert.
Nur ein Steinwurf vom Kloster entfernt liegen auf einem Bergkamm die Häuser der winzigen Siedlung von Xuantian (Himmelsdorf, 悬天修卡藏寨) und nicht viel später sind wir am Zusammenfluss des Duke und Sequ Rivers und auf dem berühmten Highway G317, dem Sichuan-Tibet-Highway. Die G317 ist natürlich vornehmlich für den Autoverkehr gedacht, aber auch der Radfahrer weiß die gute Beschaffenheit der Straße, die herrliche Landschaft und die immer besser werdende Infrastruktur (alle 10-15 Kilometer gibt es Rasthäuser, Toiletten usw.) zu schätzen. Bisher, so unsere Erfahrung, hält sich zudem der Schwerlastverkehr in erträglichen Grenzen. Nur wenig hinter dem Abzweig auf die G317 lebt eine Makaken-Kolonie, allerdings sind die Affen sehr scheu und schneller im Grün verschwunden als man die Kamera ausgepackt. Durch den Zusammenfluss mit dem Sequ River hat der Duke River seine frische Farbe verloren und ist, wie auch das Tal, durch das er fließt, breiter geworden. Die schroffen Berghänge des Tals sorgen für spektakuläre Ausblicke und dafür, dass die Straßenmeistereien der Umgebung nicht arbeitslos werden, jedes Jahr gibt es nach der Regenzeit Erdrutsche, die größere Teile der G137 in die Fluten des Duke Rivers reißen.
In Sachen Unterkunft beginnen wir, nach jedem Strohhalm zu greifen und kurz hinter Shili (石里乡) gibt es auf der rechten Seite eine kleine Ferienanlage für verdiente Parteimitglieder der KP, die Zimmer sind ordentlich, allerdings mit vielen Mao-Memorabilien geschmückt, was die Nacht etwas unruhig macht, indes ist die Umgebung sehr ruhig und gut zu bewandern und zudem bekannt für die Zucht von Wolkenohrenpilzen (Mu-Err, 木耳).

Zengke-Kloster / Zamtang
Zengke-Kloster / Zamtang

Etappe 18: Dayili nach Guanyinqiao

03:17 h

Netto-Zeit
62,2 km

Kilometer
19,0 km/h

Durchschnitt
330 m

Aufstieg
690 m

Abstieg

Die heutige Etappe ist sehr ruhig, auf der gesamten Strecke geht es, von kleineren Anstiegen abgesehen, sanft bergab, bei Tengdu verlassen wir das Zamtang County (ab hier gibt es auch keine Raststationen mehr an der G317) und am frühen Nachmittag erreichen wir Guanyinqiao (观音桥镇). Außer dem 1300 Jahre alten Guanyin-Tempel gibt es hier nicht viel zu sehen, allerdings ist ein Unterkommen wieder mit sehr viel Schwierigkeiten und wenig chinesischer Logik verbunden. Wir sollen einen Covid-19-Test machen, dann könnten wir bleiben, allerdings hat das Krankenhaus bereits geschlossen, also den Test am nächsten Tag, bis dahin könnten wir im Hotel bleiben…??? Uns beschleicht das Gefühl, im Lande haben zu viele Leute etwas zu sagen und keiner weiß mehr, wer was gesagt hat und was genau zu tun ist.

Etappe 19: Guanyinqiao nach Jinchuan 87,8 km

05:28 h

Netto-Zeit
87,8 km

Kilometer
16,2 km/h

Durchschnitt
800 m

Aufstieg
1150 m

Abstieg

Die ersten 30 Kilometer der heutigen Etappe sind angenehm zu fahren, der Duke River ist mittlerweile zum Chuosijia River geworden und die Bauart der tibetische Häuser hat sich etwas geändert. Kurz vor der Ortschaft Baiwan, die Landschaft ist hier übersät mit hässlichen Baustellen, geht es in einen der vielen Tunnel, die uns in das Jinchuan County bringen werden. Tunnel Nr. 2 ist ziemlich gruselig, es gibt wenig Licht, keine Lüftung und Wasser tropft aus halbherzig betonierter Decke. Nach einem steilen Anstieg in Höhe des neuen Shuangjiangkou-Dammes folgen Tunnel 3 und 4 mit fast acht Kilometern Länge und eine steile Abfahrt auf holperigem Geläuf zum Dorf Genzha, in dem zum ersten Mal die berühmten tibetischen Wachtürme zu sehen sind.
Das Jinchuan-Tal ist mehr als 100 Kilometer lang, verbindet die Tibetischen Autonomen Präfekturen Aba und Ganzi und ist eine der Routen von Sichuan nach Qinghai. Geld wird hier hauptsächlich in der Landwirtschaft verdient, insbesondere im Obstanbau. Dieser hat Jinchuan dann auch zu einiger Berühmtheit verholfen, die Bäume der Schneebirne verwandeln im Frühjahr die Gegend in ein Meer aus weißen Blüten. Leider ist das Tal aber auch der Tatort zahlloser Baustellen, die wir zum einen umfahren müssen, andererseits verschandeln sie diese herrliche Gegend erheblich. Kurz vor der Ortschaft Sha’er müssen wir das Flussufer wegen eines Erdrutsches wechseln, allerdings haben wir von dieser Seite einen besseren Blick auf Berg, Tempel und Moschee. Bald ist Jinchuan erreicht, das von uns gebuchte Hotel verweigert zunächst die Aufnahme, ein Anruf bei der Polizei lässt den Check-in dann jedoch schnell vonstattengehen, wir wundern uns über nichts mehr…

Kloster und Moschee von Sha'er Kloster und Moschee von Sha’er

Etappe 20: Jinchuan nach Danba

05:35 h

Netto-Zeit
94,1 km

Kilometer
16,9 km/h

Durchschnitt
850 m

Aufstieg
1170 m

Abstieg

Von der Sonne begleitet geht es durch das Jinchuan-Tal entlang den Fluten des Dajin-Flusses gen Süden. Die ersten dreißig Kilometer liegen schon hinter uns, als sich auf der linken Seite das Guangfa-Kloster zeigt. Guangfa war ein Kloster der Bön-Religion mit dem Namen „Yungdrung Lhateng“. Nach historischen Aufzeichnungen wurde es um das 2. Jahrhundert erbaut und zu einer der beliebtesten Bön-Religionsstätten im östlichen Tibet von Kham und Amdo. 1776, nach der 2. Schlacht von Jinchuan, schaffte die Qing-Dynastie die Bön-Religion gewaltsam ab und ließ dieses Kloster in die Gelugpa-Schule umwandeln und in „Guang Fa Tempel“ umbenennen. Es wurde eines der 4 großen königlichen Klöster der Qing-Dynastie. Im nahen Anning soll es diesbezügliche Schriftstücke geben. Soll.
Kurz hinter Anning liegt ein Dorf, das für sich den höchsten Wachturm der Region reklamiert. Diese sehr alten Wachtürme – aus Lehm und Stein gebaut, mit vier bis acht, zum Teil sogar mit bis zu 13 Seiten – können im gesamten Danba-County gefunden werden, die schönsten in den Dörfern Supo, Zhonglu und Jiaju. Wachtürme dieser Art sind in der Regel höher als 10 Meter, einige bringen es gar auf 30-60 Meter. In Kriegszeiten hatten sie einen defensiven Charakter, ein Leuchtfeuer konnte hier entzündet werden, um Verstärkung zu rufen. Einige wurden auch gebaut, um das Böse zu vertreiben. Eigentlich haben wir vor, in einem dieser traditionellen Dörfer zu nächtigen, als uns im Dorf Badi allerdings ältere Frauen – aus Angst vor Wasauchimmer – im Sinne des Wortes verscheuchen und im Dorf Nyaga der Wächter an der Ticketbude uns weismacht, Ausländern sei der Besuch des Dorfes untersagt, ist das Maß denn doch voll. Eine derartige Behandlung von Touristen ist uns in mehr als 12 Jahre Aufenthalt in China noch nicht untergekommen. Wir werden uns einig: sollen die sich ihre Wachtürme sonst wohin schieben, wir werden die Tour ruhig zu Ende bringen (obgleich wir innerlich kochen) und dann möge Sichuan nur noch den Einheimischen gehören. Von Nyaga ist es nicht mehr weit bis Danba-Stadt, wir finden ein Hotel am Ortseingang, der Check-in vollzieht sich ausnahmsweise schnell und fast problemlos.

Etappe 21: Danba nach Maoniucun

03:55 h

Netto-Zeit
44,5 km

Kilometer
11,4 km/h

Durchschnitt
1010 m

Aufstieg
200 m

Abstieg

Die heutige Etappe ist relativ kurz, allerdings haben wir mehr als 1000 Höhenmeter vor der Brust. Danba liegt schnell hinter uns, dann beginnt der Aufstieg. Die Straße verläuft in dem herrlichen Tal des Donggu-Flusses, der Reisende passiert viele kleine tibetische Dörfer, die noch nicht vom Tourismus verdorben sind, eine berühmte Holzhängebrücke will fotografiert sein, an vielen Stellen fällt der Donggu-Fluss mit lautem Getöse in die Tiefe und selbst der Verkehr scheint der Schönheit der Natur den nötigen Respekt zu zollen, hält er sich doch wahrlich in Grenzen. Kurz hinter der kleinen Ortschaft Donggu (东谷) bei Kilometer 22 gibt es eine Straße nach Westen, die ebenfalls in ein wundervolles Tal führt, mit dem Rad ist uns der Umweg aber zu groß. Kurz vor Maoniucun (Yak-Dorf, 牦牛村) verlassen uns die Kräfte, am Straßenrand erscheint, wie eine Fata Morgana, ein tibetisches Gasthaus, die dortige Angestellte weist uns nach Rücksprache mit ihrem Chef kurzerhand die Tür, keine Ausländer, bitte! Also weiter Richtung Bamei. Nach wenigen Minuten sehen wir aber ein Polizeiauto heranbrausen, wir werfen uns davor, berichten von unseren Problemen und die hilfreichen Ordnungshüter bringen uns im eben dem Gasthaus unter, in dem wir zuvor abgewiesen wurden. Der Angestellten ist alles furchtbar peinlich, sie taut jedoch im Laufe des Abends auf und liest uns viele Wünsche von den Lippen ab. Noch lange sitzen wir auf der Terrasse, lauschen dem Gemurmel des Donggu-Flusses und starren in den sternbesäten Himmel

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Etappe 22: Maoniucun nach Bamei

04:39 h

Netto-Zeit
44,9 km

Kilometer
9,6 km/h

Durchschnitt
1270 m

Aufstieg
530 m

Abstieg

Nach einer stärkenden Nudelsuppe machen wir uns auf den Weg Richtung Bamei, ein wenig ängstigt uns der heutige Tourabschnitt, von dem wir wissen, dass es 30 Kilometer bergauf bis auf 3900 Meter gehen wird. Die relativ unberührte Natur entschädigt wieder einmal für etwaige Strapazen, reiche Kiefernwälder, der lustig dahinrauschende Donggu-Fluss und die immer höher und wilder werdenden Berge führen uns ein wenig weg von der unruhigen und oft beschwerlichen Zivilisation. Einige Kilometer Schotterstraße helfen dabei… Gegen Mittag sehen wir zum ersten Mal den Yala-Berg (བཞག་བྲ།) in der nordwestlichen Region der Daxueshan-Kette. Der Mt. Yala ist mit 5885 der Hauptgipfel dieses Höhenzugs und für die einheimischen Tibeter ein Ort hoher religiöser Verehrung, für die Säkularen unter uns ein lohnenswertes Bergwanderziel. Knapp 10 Kilometer östlich des Dorfes Zhonggu gelangen wir an den Eingang zur Mt. Yala Scenic Area (亚拉雪山风景区), der Besuch dieses Gebiets mit den dem Gipfel vorgelagerten Seen ist sicher lohnenswert, für uns angesichts von Covid-19 allerdings nicht möglich.
Die letzten Kilometer zum Pass (3.900 m) sind sehr anstrengend, es ist doch sehr heiß geworden, umso erfrischender ist die Abfahrt auf der neuen G350 in Richtung des Dorfes Zhonggu, das in einem mehrere Quadratkilometer großen Bassin auf etwa 3600 Meter Höhe liegt, an dessen Ende das Garthar Gompa (惠遠寺) der Gläubigen harrt. Die letzten Kilometer bis Bamei sind sehr schön, wir folgen dem Lauf eines kleinen Stroms durch ein grünes Tal mit Weideland und kleinen tibetischen Siedlungen, die späte Nachmittagssonne taucht die Szenerie in ein warmes Licht und in Bamei ist der Bezug einer Unterkunft bei einer tibetischen Familie mal wieder problemlos.

Mt. Yala / Sichuan
Heiliger Berg Yala / Sichuan

Etappe 23: Bamei nach Tagong

03:00 h

Netto-Zeit
32,9 km

Kilometer
11,0 km/h

Durchschnitt
530 m

Aufstieg
250 m

Abstieg

Von Bamei geht es auf gut geteerter Straße relativ geradlinig und mit wechselnder Steigung für etwa 18 Kilometer bis auf knapp 3.900 Meter bergan. Auf halber Strecke, am Moshi-Park, wird eine Pause eingelegt und wir starren hinüber in den Steinwald des Parks, der zwar lange nicht an den Wald von Shilin heranreicht, aber doch recht ansehnlich ist. Die Gegend um den Pass (3.840) und hinunter nach Tagong (3.700 m) ist geprägt von Hochlandweiden und Yakherden, in der Ferne schimmern die grauen Spitzen der umliegenden, zum Teil mit Schnee bedeckten, Vier- und Fünftausender. Tagong (oder Lhagang auf Tibetisch) ist ein netter Ort, um ein paar Nächte zu verbringen. Neben dem Tagong Kloster in der kleinen tibetische Siedlung ist es vor allem die Möglichkeit, ausgedehnte Wanderungen oder Pferdetouren in die Umgebung zu unternehmen, die Touristen in diese abgeschiedene Region zieht. Das Tagong Grasland (塔公草原) ist riesig, ob zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes, es gibt reichlich lohnenswerte Ziele, die zu erwandern oder erreiten sind: der Ani Gompa, ein Hochgebirgssee, der Mt. Yala… Im Sommer findet zudem ein Pferdefestival statt, in Zeiten von Corona allerdings wohl nicht.

Finale Etappe: Tagong nach Chengdu

So schön Tagong und das Grasland ist, so unrühmlich ist das Ende unserer Radtour. Als wir in den Ort einfahren und in einem der zahlreichen Hotels, die bereits gut mit chinesischen Touristen gefüllt sind, unterkommen wollen, werden wir kurzerhand abgewiesen, sei es mit einer Handbewegung oder mit dem Kommentar, Ausländer seien nicht erlaubt. Im Zentrum finden wir eine schöne tibetische Pension, die uns aufnimmt und gerade als wir beginnen, die Radtaschen auszuräumen, steht die Polizei vor der Tür, pfeift unsere Wirtin zusammen und teilt mit, wir hätten Tagong zu verlassen. Auf die Frage nach dem Warum wird uns erklärt, wir seien Ausländer und dies gelte für alle Ausländer, die sich im Ort aufhielten. Zum Beweis wird uns ein vielseitiges Pamphlet in chinesischer Sprache unter die Nase gehalten. Was denn zu tun sei, fragen wir. Der nächste größere Ort, Kangding, sei 80 Kilometer entfernt und heute nicht mehr erreichbar… Dies sei nicht das Problem der örtlichen Polizei, aber man werde helfen und einen Transport nach Kangding organisieren. Eine Zeitlang brüllen wir noch die Polizisten an, diese brüllen zurück, am Ende geben wir uns geschlagen. Da noch mehrere Stunden bis zur Abfahrt nach Kangding zu warten sind, handeln wir aus, dass wir uns noch etwas im Ort umsehen können, was zugestanden wird! (Chinesische Behördenlogik, nicht übernachten, aber herumlaufen möglich). Später sehen wir, dass unser Zimmer von chinesischen Touristen aus Chengdu bezogen wird. Gegen 17.00 Uhr ist es soweit, das Gefährt ist da. Ein Krankenwagen. Diesem entsteigen drei Gestalten in Ganzkörper-Schutzanzügen. Mittlerweile ist das halbe Dorf zusammengelaufen, um unsere Abschiebung zu beobachten. Der Versuch, die Fahrräder im Krankenwagen unterzubringen, gelingt zwar, findet aber nicht das Gefallen der Behördlichen, unsere tibetische Wirtin erklärt sich bereit, die Räder per Kurierdienst nach Shanghai zu schicken, was uns später mit zusätzlichen Kosten belasten wird. Der Rest ist schnell erzählt: Wir werden in den Krankenwagen gepfercht, in dem bereits ein englischer Urlauber sitzt, mit Blaulicht geht es Richtung Kangding, über einen 5000er-Pass, der Engländer wird höhenkrank. In Kangding kommt es in einer Polizeidienststelle zu einem längeren „Verhör“, uns wird zudem erklärt, das Hauptziel dieser Maßnahme sei, „die ausländischen Gäste zu schützen“. Wovor bitte? Die zuständige Offizierin lächelt ölig und lügt das Blaue vom Himmel herunter, mit dem Effekt, dass wir uns am Ende alle anschreien. In Kangding können wir auch nicht bleiben, es gäbe hier einige Corona-Fälle (ebenfalls die Unwahrheit, wie sich später herausstellt), vier Stunden später sind wir an der Stadtgrenze zu Sichuans Hauptstadt Chengdu, wir werden einfach ausgesetzt und können zusehen, wie wir ins Zentrum kommen.
Ein Fazit: Die letzten 3 Wochen waren sehr schön und interessant, wir haben viel Neues gesehen, sehr freundliche und hilfsbereite Menschen kennengelernt und konnten am eigenen Leib erfahren, welche Auswirkungen die neue Politik aus Peking auf in China lebende Ausländer hat/haben wird.

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