Durch das Land der Miao & Dong


Gerade einmal vier Monate sind vergangen, seit wir auf geliehenem Rade in die südlichen Berge Yunnans bis zu den Reisterrassen von Yuanyang strampeln und schon ist – dank guter Erfahrungen – die nächste Radreise avisiert. Die Provinz Guizhou im Südwesten Chinas steht schon seit langem auf unserem Radar und auch wenn wir nicht zum ersten Mal in die „Provinz der ethnischen Minoritäten“ reisen, ist dies doch mehr als 20 Jahre her und seinerzeit stand uns nicht viel Zeit für diesen schönen Teil Chinas zur Verfügung. Guizhou ist eine relativ arme Provinz und im Vergleich zu den Anrainern Sichuan, Yunnan und Hunan (u.a.) für viele Touristen nicht sonderlich attraktiv. Damit widerfährt Guizhou allerdings Unrecht. Zugegeben: Anders als die o.g. Provinzen wartet Guizhou nicht mit so spektakulären Attraktionen wie Jiuzhaigou oder irgendwelchen Avatar-Bergen auf, aber die Karstkegel von Xingyi müssen sich nicht hinter denen von Yangshuo verstecken, der Wasserfall Huanguoshu bei Anshun ist der größte Asiens und die 18 Minderheiten (35 % der Gesamtbevölkerung) der Provinz, vornehmlich sind es Miao und Dong, hauen jedes Jahr bei ihren Festen mehr und bunter auf die Pauke als im übrigen China.
Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber uns hat seinerzeit die Qian-Küche mit scharfen, würzigen und sauren Gerichten außerordentlich den Gaumen verwöhnt und Guizhou ist zudem die Heimat und Geburtsstätte des wohl bekanntesten und teuersten chinesischen Schnapses, dem Maotai (茅台酒), der aus fermentiertem Sorghum gebrannt wird und im Geschmack etwas an Ethanol und Pinselreiniger gemahnt und in der Nase sticht. Einen Wermutstropfen hält Guizhou dann aber doch bereit: das Wetter. Die Provinz hat zwar ein angenehmes, aber feuchtes Klima. Sonnenschein ist so selten, dass die Einheimischen um Sprüche wie „Sonniges Wetter dauert selten länger als drei Tage…“ nicht verlegen sind.

Zahlen & Fakten
  • Strecke: Xingyi Rongjiang
  • Länge: ca. 350 Kilometer
  • Dauer: 7 Etappen
  • Max. Höhe: 1623m Höhenzug bei Yuzhang (GPS: 25.381370,105.110450)
  • Höhenmeter: 6.230 m 5.390 m
  • Schwierigkeit: Fitness | Höhenprofil Die Tour ist nicht einfach. Besonderes, fahrerisches Können ist nicht erforderlich, allerdings machen sehr lange Anstiege eine solide Grundkondition notwendig.
  • Reisezeit: April/Mai 2021 – Die beste Zeit dürfte im Herbst sein, der Frühling ist – wie wir am eigenen Leib erfahren – zu feucht und schwül.
  • Orientierung: Bei der Routenplanung bzw. -durchführung kann man sich keinesfalls auf APPs verlassen, da das Kartenmaterial doch sehr veraltet ist und man sich nicht nur einmal wundert, auf der digitalen Karte mitten im Nichts zu stehen. Chinesische Papierkarten sparen Kilometer.
  • Unterkunft: Es gibt Hotels usw. unterwegs, allerdings sind die Strecken dazwischen oft lang.
Grobe Reiseroute


Route

Wir wissen nicht genau, was uns in Bezug auf Gelände, Wetter, Unterkunft und dergleichen erwartet (und auch irgendwelche Routenplanungstools helfen nicht wirklich weiter), die Streckenführung bleibt daher völlig offen. Einzig fest steht das Motto „Natur und Kultur“ sowie der Startpunkt in Xingyi, daneben gibt es ein paar variable Eckpunkte wie Anshun, Kaili und Rongjiang im Norden und Osten der Provinz. Gegen Ende der Tour wollen wir in einer „größeren“ Stadt sein, um die Möglichkeit offenzuhalten, die Räder wieder zurück nach Shanghai zu schicken.

Vorbereitung & Anreise

Denn: auf der letzten Fahrt zu den Reisterrassen von Yuanyang konnten wir Fahrräder noch vor Ort mieten, für die Guizhou-Tour müssen die eigenen Räder herhalten, nicht zuletzt, weil wir über Mietmöglichkeiten in Guizhou keinerlei Informationen einholen (können).
Da wir a) nur wenig mehr als zwei Wochen zur Verfügung haben, b) eine Zugfahrt zu unserem Startort Xingyi (兴义) mehr als 30 Stunden dauert und c) der einzige Direktflug nach Xingyi durch die Fluggesellschaft China Eastern durchgeführt wird, die wiederum keine Fahrräder transportiert, ist der Entschluss, die Räder mit einem Lieferdienst vorauszuschicken, schnell gefasst. Das ist in China einfach und relativ kostengünstig. Wie dies im Einzelnen vor sich geht und weitere Tipps, etwa in Bezug auf den Erwerb von Ausrüstung usw. können im Artikel Radfahren in China nachgelesen werden.
Unsere Anreise erledigen wir wegen des erwähnten engen Zeitrahmens dann doch mit dem Flugzeug, den Rückflug lassen wir aber zunächst offen.

Karstberge bei Xingyi / Guizhou
Karstberge bei Xingyi

1. Etappe: Wanfenglin nach Dingxiao

01:44 h

Netto-Zeit

23,9 km

Kilometer

13,9 km/h

Durchschnitt

310 m

Aufstieg

290 m

Abstieg

Der erste „Arbeitstag“ ist recht kurz, da wir uns an das Radfahren gewöhnen wollen und zudem ein Abstecher zur Maling River Gorge (马岭河峡谷) geplant ist. Die knapp 20 Kilometer bis zur Schlucht des Maling-Flusses sind eher langweilig, es geht mehrheitlich durch Xingyi und man ist in der Hauptsache damit beschäftigt, sich an den regellosen Verkehr anzupassen. Xingyi selbst hat nichts zu bieten, die alten Viertel der Stadt weichen, wie im Rest Chinas, den riesigen Gebäuden aus Beton, Stahl, weißen Kacheln und Glas, ein längerer Aufenthalt lohnt nicht. Anders sieht es in der Schlucht des Maling-Flusses (马岭河峡谷) aus, die im Nordosten von Xingyi liegt. Der Maling-Fluss hat über etwa 15 Kilometer eine tiefe Schlucht in die Karstberge gegraben, die besonders in der Regenzeit vom Sprühnebel der vielen Wasserfälle verschleiert ist. Üppige, subtropische Pflanzen bedecken die Flussufer, Schlingpflanzen hängen über tief ausgewaschene Höhlen. Hat man die CNY 80 Eintritt entrichtet, geht es in vielen Serpentinen hinab in die Schlucht, Wege auf beiden Seiten der Schlucht führen durch Tunnel und über miteinander verbundene Balkone und zu verschiedenen Aussichtspunkten. Kleine Hängebrücken kreuz und quer über den Fluss ermöglichen (früher) einen Wechsel der Perspektiven, heute sind viele dieser Brücken gesperrt. Insgesamt ist das Gebiet der Maling-Schlucht ein faszinierendes Erlebnis und wenn die Wasserfälle für uns im Frühjahr auch nur dahintröpfeln, so mutet die Klamm geheimnisvoll und mystisch an und hat ein wenig vom Jurassic Park.
Von der Schlucht sind es noch einmal 8 Kilometer bergauf und am späten Nachmittag erreichen wir Dingxiao, suchen uns in einer lebhaften und trotzdem ruhigen Straße nahe dem Bahnhof eine Unterkunft und beschließen die erste Etappe unserer Tour.

Maling-Schlucht / Guizhou
Schlucht des Maling-Flusses bei Xingyi

2. Etappe: Dingxiao nach Xiashan

05:40 h

Netto-Zeit

71,4 km

Kilometer

12,7 km/h

Durchschnitt

1070 m

Aufstieg

910 m

Abstieg

Dingxiao ist nicht groß und die Stadtgrenze schnell erreicht. Für die nächsten 40 Kilometer werden wir – mit Unterbrechungen – dem Guanxing Highway folgen, der mehr oder minder parallel zur Autobahn S85 verläuft. Mehrere Abschnitte stehen allerdings unter Reparatur und Umwege sind nötig, bis hin zu einer Querfeldeinfahrt. Das Gebiet ist von Landwirtschaft geprägt und die Ortschaften entlang der Route zählbar. Seit Dingxiao geht es permanent bergauf und ein paar Kilometer hinter Yuzhang erreichen wir bei 1623 Metern den höchsten Punkt der gesamten Tour. Die längere Abfahrt nach Xingren erledigen wir wohl zu schnell, da wir den Ort, der wenig einladend ist, bereits um die Mittagszeit erreichen. Xingren böte jedoch mehrere Übernachtungsoptionen, weiter nördlich sieht es diesbezüglich eher trist aus. Ein kompetent dreinschauender Ladenbesitzer weiß indes zu 100 %, dass in der etwa 10 Kilometern Richtung Norden entfernten Ortschaft Gaowu ein Hotel sei und er weiß auch, dass wir nie zurückkommen und ihn für fehlerhafte Infos zur Rechenschaft ziehen werden. Bis Gaowu geht zwei Drittel bergauf und ein Drittel bergab, entlang des Weges ist die Landschaft bukolisch, durchsetzt mit kleinen Weilern und Dörflern, die ihre Felder noch mit Hand und Ochs beackern. In Gaowu gibt es natürlich kein Hotel (eine Eigenschaft der Chinesen ist, den Fragenden nie mit einer negativen Auskunft zu entlassen), überhaupt hinterlässt der Ort den Eindruck der Isolation, die Bewohner sehen auf die eine oder andere Weise miteinander verwandt aus, auf unsere Fragen hin schauen sie uns schwerfällig an, wiederholen unsere Fragen gebetsmühlenartig und gehen kichernd ihrer Wege. Am Ortsausgang von Gaowu erfahren wir in der örtlichen Polizeidienststelle (die Beamten scheinen von auswärts), dass wenigstens im 11 Kilometer entfernten Xiashan (下山) mit Herbergen zu rechnen sei. Noch einmal geht es für 3000 Meter in Serpentinen bergauf, der Rest ist flach, nach Xiashan geht es gar talwärts. Direkt am Ortseingang finden wir ein kürzlich eröffnetes Hotel, die Einrichtung ist neu und staubig und, da die einzigen Gäste, werden wir ordentlich bemuttert. Rasch noch einen Hotpot im nächsten Restaurant (lokaler Geheimtipp) leergelöffelt und vom Zimmerfenster können wir ein herrliches Gewitter in den Bergen beobachten.

Auf Abwegen in Guizhou
Sabine auf Abwegen

3. Etappe: Xiashan nach Qinglong

05:41 h

Netto-Zeit

57,5 km

Kilometer

9,8 km/h

Durchschnitt

1580 m

Aufstieg

1490 m

Abstieg

Die heutige Etappe wird unseren alten Knochen und unterentwickelten Muskeln alles abverlangen. Der Morgen in Xiashan begrüßt uns mit feinem, aber lang andauerndem Nieselregen, einer längeren Steigung und einer noch längeren Abfahrt auf nasser und seifiger Straße. In der kleinen Ortschaft Angu führt uns das Navigationsgerät direkt in den täglich stattfindenden Markt, die überdachten Buden sind wegen des Regens so dicht aneinander gebaut, dass wir mit dem Fahrrad nicht zwischen Hühnern, Bananen, Rindfleischkeulen und Reissäcken hindurchlavieren können. Auf der Umgehungsstraße geht es am Dorf vorbei und weitere acht Kilometer bergauf durch schöne, verregnete und vernebelte Berglandschaft. Bei der kleinen Ortschaft Yangchang lassen uns die digitalen Navigationshilfen noch einmal schmählich im Stich, unseren Apps zufolge stehen wir mitten in einem Feld… Die Auskunft eines Dorfbewohners hilft auch nicht weiter, er scheint unser Hochchinesisch nicht deuten zu können und wir sind mit seinem lokalen Dialekt gänzlich überfordert. Seine Gesten hingegen interpretieren wir dahingehend, dass wir zurück nach Angu fahren sollen und dort eine andere Straße zu nehmen hätten. Wir lassen uns also eine Zeitlang zurückrollen, bis uns auffällt, dass es in Angu gar keine andere Straße gab. Im selben Moment hält ein Fahrzeug der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft auf unserer Höhe und der Mitarbeiter klärt uns auf, wir seien schon auf dem richtigen Weg gewesen. Also wieder zurück nach Yangchang. Der Dorfbewohner, dem man für seine Info vors Schienbein hätte treten können, hat sich natürlich aus dem Staub gemacht.
Irgendwie gelingt es uns, für eine Zeit auf der CJ36 zu bleiben, dann kommen dutzende Abzweige, in einem Dorf gibt es eine Tütensuppe zur Stärkung, Abzweige (mittlerweile fahren wir mehr nach Kompass als nach Karte) und Anstiege wechseln sich lustig ab. Eine 10 Kilometer lange, holperige Abfahrt führt uns in ein Tal mit winzigen Dörfern, ein 10 Kilometer langer Anstieg am Ende der Etappe hingegen auf den Gipfel der Erschöpfung und ans Ende des heutigen Streckenabschnitts in Donguang / Qinglong County. Noch am selben Abend stellt sich bei Sabine heftiger Durchfall ein, der drei Tage anhalten wird und unseren Zeitplan gehörig durcheinanderwürfelt.

Aufstieg von Xiashan
Aufstieg von Xiashan in die Wolken
Abfahrt nach Angu
Abfahrt aus den Wolken Richtung Angu

4. Etappe: Qinglong nach Kaili (360 km)

Qinglong ist ein recht verschlafenes Provinznest, mit netten und neugierigen Bewohnern und zwei Sehenswürdigkeiten. Deren erste ist von historisch bedeutsamem Rang, die „24-Kurven-Straße“ (二十四道拐), ein Relikt aus dem Chinesisch-Japanischem Krieg. Fertiggestellt wurde diese 8,9 Kilometer lange Zickzack-Straße in 1935 (nicht zuletzt durch den Einsatz der Kinder aus der Umgebung). Während des Zweiten Weltkriegs war sie Teil der Stilwell Road (von Ledo/Indien bis Kunming/China) und wurde genutzt, um Vorräte nach Chongqing, der damaligen Hauptstadt Chinas, zu transportieren und so die japanische Besatzung zu beenden. Da Attraktion von nationalem Rang gibt es das obligatorische Ticket-Büdchen, die Eintrittskarte berechtigt zur Mitfahrt in einem Elektrokarren, 24 Kurven herunter und wieder herauf (???) und ein Besuch des nahen Museums. Dieses ist in Bezug auf die Exponate eher fragwürdig, allerdings bietet die Besucherterrasse einen hervorragenden Blick auf die Serpentinen. Qinglong selbst trug früher den Namen „Annan“, die wenigen Überreste der alten Stadt wurden restauriert, dienten dem Film „24 Turns“ als Kulisse und können heute (kostenlos!) besichtigt werden.
Sabine hat sich noch nicht wieder erholt, und da die nächsten Etappen schwer zu werden drohen, wird kurzerhand entschieden, irgendein Fahrzeug nach Guiyang zu mieten und von dort mit dem Bus nach Kaili zu gelangen. Die Mitarbeiter des Hotels sind bei unserem Vorhaben eine große Hilfe, sie organisieren eine Mitfahrt in einem SUV in die Hauptstadt Guizhous und die Busse, die von Guiyang nach Kaili fahren (ca. 1,5 h), sind groß genug, um unsere Räder aufzunehmen. Gegen Nachmittag erreichen wir Kaili, finden am örtlichen Stadion einige Fahrradläden (Sabines Pedalen haben sich verabschiedet) und bekommen einen ersten Eindruck von der Miao-Welt im Norden des Landes.

24-Kurven-Straße / Qinglong
Kriegsdenkmal 24-Kurven-Straße

5. Etappe: Kaili nach Xijiang

03:05 h

Netto-Zeit

36,7 km

Kilometer

10,3 km/h

Durchschnitt

610 m

Aufstieg

460 m

Abstieg

Kaili ist nicht groß und schon nach wenigen Kilometern befindet man sich in den Außenbezirken. Hier ist das Gewirr an neuen Straßen zunächst etwas unübersichtlich und die Navigations-APP schnell überfordert. Wir fragen uns bis Sankeshu (三棵树) durch, der kleine Ort liegt am Bala-Fluss und ist das Einfallstor zum gleichnamigen Landschaftsgebiet, in dem viele Angehörige der Volksgruppe der Miao leben. Wir folgen für ein paar Kilometer dem munter dahinfließendem Bala, immer mehr Holzhäuser im traditionellen Stil stehen an seinen Gestaden und bei der kleinen Ortschaft Langli verlassen wir die Provinzstraße X982 nach rechts und für fünfzehn Kilometer geht es sanft aber stetig bergauf gen Xijiang. Unterwegs sehen wir eine Halo-Erscheinung, das erste Mal in China, dies aber nur nebenbei.

Sankeshu / Guizhou
Miao-Kopfschmuck in Sankeshu
Bala-Fluss / Guizhou
Bala-Fluss
Halo-Erscheinung
Halo-Erscheinung

Als wir Xijiang erreichen, unsere Räder am Busbahnhof unterstellen und die Corona-Formalien erledigen, beginnt gerade die einmal am Tag stattfindende Empfangszeremonie, bei der mehrere Dutzend Miao-Frauen und Männer in traditionellen Kostümen und zum Klang der Bambusflöten und Zimbeln neue angekommene Gäste begrüßen. Das Spektakel mag ein wenig aufgesetzt wirken, ansehnlich ist es aber in jedem Fall, allein der filigrane Silber-Kopfschmuck der Miao ist schon eine Augenweide. Unser frühzeitiges Erscheinen hat darüber hinaus einen anderen positiven Nebeneffekt, das Dorf ist noch relativ arm an Touristen und demzufolge „ruhig“ (was sich ab dem frühen Mittag schlagartig ändern wird).

Miao-Minderheit in Xijiang
Empfang in Xijiang

6. Etappe: Xijiang nach Leishan

03:15 h

Netto-Zeit

35,9 km

Kilometer

10,1 km/h

Durchschnitt

700 m

Aufstieg

720 m

Abstieg

Wir verlassen Xijiang und fragen uns alsbald, warum der Anfang einer Etappe grundsätzlich mit einem Anstieg beginnt. Auf sich windender Straße ist die Autobahn S63 schnell erreicht, selbige wird mehrfach unterquert und bald geht die Reise auf der S308 durch das Tal des Bala-Flusses in südlicher Richtung weiter. Die Landschaft ist üppig grün, hin und wieder erblickt man in den Hängen kleine Miao-Dörfer mit hölzernen Häusern. Ca. 29 Kilometer südlich von Kaili, nachdem man das Jidao Miao-Dorf (季刀苗寨, berühmt u.a. für „Langrock-Miao“) passiert hat erreicht man Langde (朗德), eine weitere bekannte Miao-Siedlung, deren oberer Teil (上朗德) von vielen Reisenden besuchenswerter erscheint als Xijiang, da authentischer, weniger entwickelt und weniger überlaufen. Den Wahrheitsgehalt dieser Einschätzung überprüfen wir heute nicht, da es viel zu heiß ist und wir bedacht sind, rasch weiterzukommen. Gegen Mittag erreichen wir Leishan County, finden Unterkunft in einem Hotel an einer der „Hauptstraßen“, sehen uns den örtlichen Festplatz und beenden den Tag mit einem schweißtreibenden Hotpot.

Wind-und Regenbrücke von Langde
Wind-und Regenbrücke von Langde

7. Etappe: Leishan nach Yongle

05:13 h

Netto-Zeit

55,1 km

Kilometer

10,6 km/h

Durchschnitt

1090 m

Aufstieg

1200 m

Abstieg

Die heutige Etappe ist nicht besonders lang, aber was sie wirklich schwer machen wird, ist – abgesehen von den Anstiegen – der schlechte Zustand der Fahrbahn. Schon kurz vor dem Miao-Dorf Datang (大塘苗寨) beginnen die Baustellen des neuen Highways Kaili-Rongjiang, halbfertige Brücken und Tunnel verschandeln die schöne Landschaft und Lkws fahren Abraum wie von Sinnen hin und her und zerstören dabei die ehemals gute Provinzstraße S308. Die nächsten 40 Kilometer wird es über Stock und Stein gehen und das Fahren bei später einsetzendem Regen eine kitzelige Angelegenheit. Auf Autobahnbaustellen trifft man im Westen Chinas mindestens einmal am Tag. Das Netz der Expressstraßen ist mit 220.000 Kilometern jetzt schon das weltgrößte, aber dieser Titel scheint der Regierung in Peking nicht genug und so wird gebaut, was Schaufel und Kelle halten und der Betonmischer hergibt. Glaubt man den Einheimischen, sind Mitspracherechte auf ein Minimum reduziert („Wie, Sie wollen keine achtspurige Autobahn durch Ihren Vorgarten? Na, dann kommen Sie mal mit…“) und wie fast überall auf der Welt ist der „Einfluss“ der Baubranche auf die Politik nicht zu unterschätzen. So leben die Dörfler denn auch jahrelang glücklich und zufrieden in Staub und Schlamm, zählen in ihrer Freizeit die nicht enden wollende Armada an Lastfahrzeugen und Baumaschinen, welche munter am Wohnzimmerfenster mit Getöse vorbeidonnern und werden zukünftig mit den nach außen hin glänzenden Früchten der Zivilisation und des Fortschritts belohnt.

Kulturhaus in Leishan
Kulturhaus in Leishan
Baustelle bei Datang
Baustelle bei Datang
Holperstraße S308
Holperstraße S308

Wie auch immer, Datang ist im Vergleich zu Xijiang winzig, hinterlässt bei uns aber einen „naturbelassenen“ Eindruck. Wirklich bekannt ist das Dorf allerdings für seine Frauen, die in den heißen Sommermonaten und zu Festen bunte Miniröcke tragen (Die Beine sind jedoch, wie es sich geziemt, mit schwarzen Strümpfen bedeckt, die bis nahe dem Rock reichen). Vielleicht auch einzigartig sind die sogenannten „Wasser-Kornspeicher“ in der Umgebung. Diese Speicher stehen als kleine Hütten auf Pfählen im Dorfteich, um das Getreide vor räuberischen Tieren oder Flammen zu sichern. Ab Datang geht es auf Schotterstraßen 10 Kilometer bergan, dann „rasen“ wir – dank der Beschaffenheit des Weges mit Tempo 10 – für 20 Kilometer bergab, in Taojiang stopft man uns bei einer Rast mit Betelnüssen voll und so gedopt müssen wir noch einmal für ein halbes Dutzend Kilometer gegen eine Steigung ankämpfen, bevor wir uns an den Kaitun-Reisterrassen (die vielleicht nicht so spektakulär sind, wie die von Jiabang im Süden der Provinz, aber das staubig Auge dennoch erfreuen) vorbei nach Yongle hinabrollen lassen. Kurz vor dem Busbahnhof finden wir ein sauberes, aber sehr feuchtes Hotel und zum Abendessen einen lokalen Yongle-Hamburger.

8. Etappe: Yongle nach Rongjiang

06:35 h

Netto-Zeit

73,2 km

Kilometer

10,8 km/h

Durchschnitt

1020 m

Aufstieg

1410 m

Abstieg

Die letzte Etappe wird auch die längste sein. Nachdem es in der letzten Nacht heftig regnet und die Temperaturen bereits am frühen Morgen über 25 Grad liegen, stellen wir uns schon zum Start auf eine schweißtreibende Tagesetappe ein. Entgegen allen Verlautbarungen ändert sich übrigens der Zustand der S308 auf den ersten zehn zu fahrenden Kilometern im Vergleich zum Vortag nicht wesentlich und wir kommen zu dem Ergebnis, dass es (im Chinesischen) für die Beschaffenheit einer Fahrbahn keine objektiven Kriterien zu geben scheint. Fast 20 Kilometer geht es – seit wir Yongle verlassen haben – munter bergauf und bergab und die Fahrt gipfelt auf einem Gebirgspass (bei dem Dorf Wujixinzhai), der, obgleich nur 780 Meter hoch, das Letzte von uns einfordert. Ein oder zwei Kilometer hinter dem Pass folgt eine längere Abfahrt, die dann die Schweißbäche versiegen lässt, indes immer wieder von Baustellen und Wartezeiten an Ampeln unterbrochen wird. Entschädigt werden wir allerdings durch eine herrliche Natur mit bewaldeten Hügeln, in deren künstlichen geschaffenen Lichtungen Reis in Terrassen angebaut wird.

Tal des Rongjiang-Flusses
Tal des Rongjiang-Flusses
Reisterrassen am Rong-Fluss
Reisterrassen am Rong-Fluss

Die nächsten größeren Ortschaften sind Pingyong und Pingjiang und falls uns je der Gedanke kommt, die Etappe hier noch einmal zu unterbrechen, wird dieser angesichts der offensichtlichen Reizarmut der Dörfer schnell wieder verworfen. Anzeichen, dass das Ende der Etappe und unserer Kräfte gekommen ist, sind deutlich. Die Strecke führt jetzt an den Ufern des Rong-Flusses entlang, die Bebauung nimmt zu und unsere Kräfte ab. Man strampelt mechanisch vor sich hin, der Blick ist mehr auf den Kilometerzähler denn auf die Umgebung gerichtet und was vorwärtstreibt, ist der Gedanke an eine kalte Dusche, eine warme Mahlzeit und eine Bettstatt, um die müden Glieder auszuruhen. Nach endlos erscheinenden 18 Kilometern verlassen wir die Schlucht des Rong-Flusses und stehen im Tal der kleinen Großstadt Rongjiang. Eigentlich ist es jetzt nur noch ein Katzensprung bis zum Hotel, allerdings erfahren wir an der Rezeption, dass – obschon im Laufe des Tages vorgebucht – Ausländer nicht aufgenommen werden (dürfen). Vier weitere Hotels müssen wir anfahren und erst im letzten ist es uns gestattet, ein Zimmer zu belegen. Der Grund für dieses absonderliche Verhalten der Hotelverantwortlichen ist natürlich nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern ganz profaner Natur: den Herbergen fehlt es schlicht an einer Ausländerlizenz, die nur gegen Auflagen, Bares und anderweitigen Aufwand erhältlich ist. In den folgenden Tagen werden wir noch des Öfteren mit diesem Problem konfrontiert werden.

Trommelturm in Rongjiang
Trommelturm in Rongjiang

Ausklang

Die Zeit rennt dahin und unser Ziel, Guilin in der Provinz Guangxi mit dem Rad zu erreichen, wird kurzerhand auf den St. Nimmerleinstag verschoben. 350 Kilometer in drei Tagen erscheint uns dann doch zu viel des Guten und Plan B, einige der umliegenden Dong- und Miao-Dörfer zu besuchen, glauben wir besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln verwirklichen zu können, da wir nicht genau wissen, wie, wo und wann wir unsere Räder wieder nach Shanghai schicken können, zumal Rongjiang die einzige größere Stadt in der Umgebung ist. Doch gerade der Rücktransport der Räder wird sich als ein Kinderspiel erweisen. Vom Hoteltelefon aus rufen wir den Spediteur SF-Express an, der auch sofort einen Mitarbeiter vorbeischickt. Dieser quetscht unsere zerlegten Fahrräder in seinen Mikro-Transporter, kassiert die Gebühr und rauscht mit Geknatter davon. Noch ehe wir ein zweites Mal Luft holen können, ist alles erledigt. Hätten wir gewusst, dass es so einfach sein wird…
Wie auch immer, wir verbringen zwei nette Tage in Rongjiang, besuchen das Miao-Dorf Zaidang, grillen gemeinsam mit Angehörigen der Miao in Chejiang und kommen dabei unfreiwillig in die örtliche Zeitung, buchen Zugtickets nach Zhaoxing, wo wir uns zwei weitere Tage aufhalten, von Guilin geht es dann per Flugzeug zurück nach Shanghai.
Insgesamt war die Tour ein lohnenswertes Unterfangen. In Guizhou lässt sich gut Radfahren, die Natur ist faszinierend und die kleinen Dörfer, insbesondere im Westen des Landes, sind höchst interessant und bieten einen Einblick in das einfache und traditionsreiche Leben der Provinz. Dass wir uns bei der Routenplanung und mit Blick auf das Wetter in Bezug auf unsere Leistungsfähigkeit maßlos überschätzten, tut der gemachten Erfahrung keinen Abbruch…

Dorf Zaidang / Guizho
Miao-Dorf Zaidang nahe Rongjiang

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