Von Bozen nach Cortina d’Ampezzo
In einer kleinen Pension am Gardasee finden wir einige betagte Prospekte, in einem wird die Auto-Route durch die Dolomiten beworben, und auch wenn die Bilder schon etwas vergilbt sind und der Text in Italienisch ist, entscheiden wir spontan: die Dolomitenstraße wird unser nächstes Ziel sein!
Denn die Dolomiten sind schon irgendwie…, schrill. Während sich der „Rest“ der Alpen für uns Flachländer in gewohntem Bergkleid präsentiert und schön, aber nicht sooo besonders ist, die Dolomiten haben es uns auf Anhieb angetan. Man fährt durch eine Serpentine und plötzlich: wie aus dem Nichts heraus stehen diese wilden Berge vor uns wie eine Reihe extravaganter Hochhäuser inmitten der Natur. Natürlich haben nicht alle Berge der Dolomiten diese wilden und faszinierenden Formen, aber es ist schon verständlich, warum die UNESCO diesen Teil der Alpen 2009 als schützenswertes Welterbe in seine Liste aufnahm. Die „bleichen Berge“ aus versteinerten Algen- und Korallenriffen bauen sich vor dem Betrachter weiß, majestätisch und bizarr auf und sind „seit jeher eine Vielzahl an Reisenden fasziniert und waren die Quelle zahlreicher wissenschaftlicher und künstlerischer Interpretationen“. Fürwahr!
Die Große Dolomitenstraße im Norden Italiens ist – witzigerweise – schon immer eine Touristenstraße gewesen und war als solche auch geplant. Der österreichische Richter und Rechtsanwalt Theodor Christomannos – nebenbei Mitglied des österreichischen Alpenvereins – gilt wohl als der Initiator der Straße, die die Ortschaften Bozen und Cortina verbinden, die Bergsteiger leichter zu den Gipfeln bringen und mehr Touristen nach Südtirol holen sollte. Erst 1909 konnte das technisch aufwändige Projekt fertiggestellt und die 109 Kilometer lange Straße für den allgemeinen Verkehr freigegeben werden.
Die 110 Kilometer bis nach Cortina d’Ampezzo sind gut an einem Tag zu schaffen (aber kein Muss), die Straße selbst stellt keine allzu hohen Anforderungen an den fahrbaren Untersatz oder das fahrerische Können, aber: die traumhaften Aussichten auf die schroffen, schneebedeckten Gipfel der Dolomiten sind unbezahlbar. Wir haben viel Zeit im Himalaya verbracht und waren immer begeistert von den Hochgebirgsgipfeln dieser Gebirgskette. Die Alpen aber…, wir waren wirklich erstaunt, wie schön die Berge in den Alpen sind. Ein echter Genuss!!!
Die Route
Die Fahrt beginnt in Südtirols Hauptstadt Bozen, genauer gesagt im Bozener Stadtteil Kardaun. Es ist sinnvoll, schon früh loszufahren. Zwar liegen nur etwas mehr als 100 Kilometer vor dem Reisenden, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Serpentinen oder Fahrzeugaufkommen lassen schnelleres Fahren oft nicht zu. Außerdem sind einige Sehenswürdigkeiten am frühen Morgen nicht gar so überlaufen. Tipp: Bozen ist in Sachen Unterkunft recht teuer, hier ist es sinnreich, auf die kleineren Dörfer rundherum auszuweichen, z.B. auf Castello di Fiemme. Von hier aus sind es nur etwa 25 Kilometer bis Birchabruck (Dolomitenstraße).
Von Kardaun geht es auf der Strada Statale 241 (SS241) ins Eggental Richtung Birchabruck und Welschnofen. Letztere Ortschaft ist bei Touristen sommers wie winters (wohl) sehr beliebt, von hier aus ist es nicht weit bis zum Karersee und zum Rosengarten. Beim Rosengarten handelt es sich natürlich nicht um einen solchen im Wortsinne, vielmehr ist es ein Bergmassiv der Dolomiten im Trentino und in Südtirol. Seit 2009 ist die Rosengartengruppe neben acht weiteren Gebieten Teil des Welterbes Dolomiten. Die beste Sicht auf den Rosengarten, der nach jeder Kurve zwischen den Bäumen auftaucht, hat man übrigens vom Grand Hotel Carezza.
Der Karersee ist ein weiteres Highlight der ersten Etappe. Der legendenbehaftete See schillert in vielen Farben (vornehmlich smaragdgrün), im Wasser spiegeln sich die Kerzen des Latemar-Bergstocks, dieses Schauspiel zieht natürlich Herden von Touristen an. Selbst die österreichische Kaiserin Elisabeth (Sisi) war von diesem Farben-Feuerwerk fasziniert, und wenn sie den See in den Ferien besuchte, übernachtete sie im nahegelegenen Grand Hotel, das in der Vergangenheit auch andere Berühmtheiten, wie etwa Agathe Christie, Winston Churchill oder Karl May beherbergte.
Auf verschnörkelter Straße fahren wir ins Fassa-Tal, in Vigo di Fassa halten wir uns nicht lange auf, langsam wird uns klar, dass es ein langer Tag werden wird, da wir alle naselang stehen bleiben und die Aussicht bewundern. Zudem verpassen wir um ein Haar die richtige Ausfahrt, denn die Dolomitenstraße verläuft nun auf der SS48. In dem kleinen Ort Canazei gibt es dann am Ortsausgang in einer kleinen Trattoria die verdiente Mittagspause, statt Pommes-Currywurst gibt es viele Sorten Pasta und einen Grappa zur besseren Verdauung. Canazei ist ein Winter- und Sommersportort und scheint ein El Dorado für Paraglider zu sein, am heutigen Tag sind die Fallschirme am Himmel so zahlreich wie die Samen einer Pusteblume im Herbstwind. Canazei ist zudem Knotenpunkt der Dolomitenpässe Pordoijoch (ins Arabba-Tal) und Sellajoch (nach Wolkenstein in Gröden). Außerdem kommt erreicht man über den Passo Fedaia nach Malga Ciapela und Rocca Pietore in der Provinz Belluno. (Auch über diesen Weg gelangt man nach Cortina, verpasst allerdings den schönen Pordoi-Pass.)
In Canazei haben wir auch zum ersten Mal einen schönen Blick auf den Marmolata (3343m), den höchsten Berg der Dolomiten, müssen jetzt aber wieder höllisch aufpassen im italienischen Straßennummern-Salat. Naja, eigentlich bleiben wir auf der SS48, aber diese geht nicht geradeaus, vielmehr gibt es einige Abzweigungen bevor man auf Serpentinen-Straße zum Pordoi-Joch gelangt. Vom Canazei geht es in Haarnadelkurven bergauf und nach etwa 10 Kilometern ist man am Hotel Pordoi, von dem aus man eine herrliche auf die beeindruckende Sella-Berggruppe hat, insbesondere auf die majestätischen Gipfel des Lang- und Plattkofel. Wir pausieren hier, bevor es über die Serpentinen des Passo Pordoi (2239m) weiter geht.
Am Pordoi-Pass ist ordentlich was los, selbst große Reisebusse finden ihren Weg hier hinauf und da nimmt es wenig Wunder, wenn hier für das leibliche Wohl gesorgt wird und diverse Aktivitäten möglich sind, u.a. eine Fahrt mit der Gondelbahn zum 2.950 Meter hohen Sass Pordoi. Die Aussicht vom Pass oder vom Sass ist grandios, im Nordwesten sieht man den Langkofel (3181m), den zum Sella-Massiv gehörenden Plateaufelsen Sass Pordoi (2950 m), den Sass de Forca (2917 m) und die Felsspitze Piz Boè (3152 m). Im Süden erblickt man den nördlichen Vorkamm der Marmolata-Gruppe mit dem Belvedere (2510 m) und Porta Vescovo (2562 m). Die Aussicht nach Osten reicht über Arabba hinweg auf die Fanesgruppe und Le Tofane.
Vorbei geht es am Col di Lana, einem 2462m hohen Berg in der Fanesgruppe und nach knapp 20 Kilometern (von Arabba) ist der Passo di Falzarego (2105m) erreicht. Dieser Pass ist Teil des Dolomiten-Hauptmassivs der Tofane; zu sehen ist hier der Felsstock des Kleinen Lagazuoi (2.762 m), im Westen ist die Marmolata und im Süden der Monte Averau (2.649 m) sowie die fünf Zacken der Gruppe Cinque Torri zu sehen. Kurz vor dem Pass lohnt sich ein kleiner Abstecher zum Schloss Buchenstein (oder auch Burg Andraz), einem gewaltigen Steinbau aus dem Jahr 1000. Diese Burg diente in erster Linie der Sicherung der „Eisenstraße“ in dieser Region.
Unsere Fahrt nähert sich schon dem Ende, wir werden heute nicht in Cortina übernachten, da die Hotels – auch in der Nebensaison – noch sehr teuer sind. Vom Pass aus fahren wir noch weiter 10 Kilometer bis Pocòl, einer kleinen Ortschaft westlich von Cortina, und suchen hier eine Bleibe für die Nacht. Auch von Pocòl aus hat man einen herrlichen Blick auf die Ampezzaner Alpen der Dolomiten bei Cortina mit den Gipfeln Tofana di Mezzo (3244 m), Monte Cristallo (3221 m) und Punta Sorapiss (3205 m).
Die Dolomitenstraße endet nach 110 Kilometern in Cortina d’Ampezzo, dem wohl berühmtesten Wintersportort Italiens im Ampezzo-Tal. Das Städtchen mit mehr als tausendjähriger Geschichte ist von allem, was mit Skilaufen zu tun hat, geprägt. Es gibt viele Hotels, Pensionen, Restaurants, Skilifte usw. Wer von den Dolomiten jetzt noch nicht genug hat, es gibt noch einige kleinere Routen, insbesondere zum Marmolada-Massiv im Süden, zum Misurina See mit den Drei Zinnen (2998 m) im Osten oder man bleibt einfach in der Gegend und sieht sich ein wenig länger um. Es ist – in jedem Fall – lohnenswert!