Mittendrin und doch abseits


Als wir im Jahr 2004 zum ersten Mal Indien und dabei unter anderem die Tempelanlagen von Khajurao besuchen, ist uns gar nicht bewusst (und vielleicht auch völlig gleichgültig), dass wir die Provinz Madhya Pradesh (Hindi: मध्य प्रीदेश ≈ “Provinz in der Mitte”) bereisen. Fünfzehn Jahre später hingegen werden wir wissentlich in die „zentrale Provinz” reisen, denn obgleich Madhya Pradesh auf der Tourismus-Bühne noch nicht im strahlenden Rampenlicht steht, ist das Repertoire doch mannigfaltig und von beachtlichem Ausmaß, ohne dass es sich hinter der Auswahl anderer und weitaus bekannterer Nachbarprovinzen verstecken müsste. Die mangelnde Prominenz birgt zudem den erfreulichen Nebeneffekt in sich, dass man noch nicht auf gar so ausgetretenen Pfaden wandelt und jederzeit einen Platz in Madhya Pradeshs „Schauspielhaus“ findet, ohne sich diesen gegen Horden von Touristen mühsam erkämpfen zu müssen.
Ach, und die geografische Lage der Provinz (immerhin auf Augenhöhe mit Ägypten) wird schon dafür sorgen, dass eine Reise im europäischen Winter nicht zu kalt wird…

Madhya Pradesh / Indien
Madhya Pradesh / Indien

Ein paar (historische) Fakten

Die Provinz Madhya Pradesh ist schon seit Steinzeiten bewohnt, die ersten Königreich entstanden ab dem 4. Jahrhundert v.Chr. (Gebiet Avanti, später Malwa genannt), in der nachchristlichen Zeit folgten mehrere Dynastien, von den die Gupta- und die Kalachuri-Dynastien die vielleicht bekanntesten sind. Ab dem 11. Jahrhundert wurde die Region von muslimischen Sultanen beherrscht und anschließend vom Mughal-Reich einverleibt. Im Jahre 1761 wurde die Sindhia-Dynastie in Gwalior im Norden und die Holkar-Dynastie in Indore im Südwesten gegründet. Doch schon bald kam eine neue Gefahr aus dem Westen und 1854 war ganz Madhya Pradesh unter britische Kontrolle geraten. Erst mit der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947 kam wieder Ruhe in die Region, 1950 erfolgte schließlich die Zusammenfassung der Teilgebiete des zentralen Indiens zur Provinz Madhya Pradesh.

Sehenswertes & Aktivitäten

In Madhya Pradesh werden viele Interessen bedient, definitiv zu kurz kommen werden wohl Outdoor-Sport-Aktivisten. Ein wenig River-Rafting und Radfahren in Orchha, Yoga in Khajurao und vielleicht etwas Wandern in den Hügeln von Pachmarhi, das war es dann in Sachen Sport.
Hauptbeschäftigung des Touristen dürfte – neben der Organisation von Unterkünften und Transport – Sightseeing und die Teilnahme an Tiger-Safaris sein, mit diesen Aktivitäten kann man sich jedoch mehrere Wochen und gut beschäftigen.
Die Provinz verfügt über eine ganze Reihe Nationalparks mit Tiger-Populationen, einige dieser Reservate genießen gar Weltruf. Nicht entgehen lassen sollte man sich in jedem Fall den Besuch der Bandhavgarh und Kanha Tiger Reserves, landschaftlich sehr schön ist zudem das Panna Tiger Reserve in der Nähe von Khajurao.
Gleich vier UNESCO-Welterbschaften sind in der Region mitten in Indien zu sehen, neben den erotischen Skulpturen der Tempel in Khajurao und den steinalten buddhistischen Tempeln in Sanchi war es den Hütern des Welterbes wert, die Udayagiri-Höhlen und die Felsmalereien von Bhimbetka auf ihre Liste zu setzen. Und wenn auch nicht offizielles kulturelles Vermächtnis, so gehört das Fort von Gwalior im Norden der Provinz unbestritten zu einem der schönsten in ganz Indien. Die Dörfer Orchha (unser absoluter Favorit) und Mandu lassen mit ihren Tempeln, Moscheen, Stupas, Palästen und Forts vergessen, in welcher Zeit wir eigentlich leben und für den an hinduistischer Kultur interessierten Reisenden sind die Pilgerstätten von Maheshwar und Omkareshwar am heiligen Narmada-Fluss wahre Leckerbissen. Wem mehr als die normalen 2-3 Wochen Urlaub zur Verfügung stehen: die Pilgerstadt Ujjain, die Hillstation von Pachmarhi und das selten besuchte Hinterland Chhattisgarh mit seinen indigenen Völkern runden das farbenprächtige Bild Madhya Pradeshs ab. Und es gibt noch mehr…

Maheshwar / Indien
Heiliges und kunterbuntes Indien

Unterkunft

Indien ist (immer) noch ein relativ günstiges Reiseland und dies trifft auch in Bezug auf die Unterbringung in Hostels, Homestays und Hotels zu. Noch in 2019 kann man für ₹ 400 (etwa 5 €) incl. spärlichem Frühstück in einem Homestay bzw. billigen Hotel unterkommen. Indien ist aber auch Schwellenland und liegt zur Hälfte in den Tropen. Viele Hotels sind daher nicht unbedingt in bestem Zustand und Homestay in Bhopal
Überzeugende Schlichtheit
so sehr sich einige Inhaber auch Mühe geben, ein Mittel gegen schlechte Bauausführung oder Schimmel in vielen Winkeln haben sie bis dahin nicht gefunden. Feuchte Matratzen, dunkle Stellen im Mauerwerk mit einhergehendem muffigen Bouquet, schlecht oder gar nicht funktionierende Armaturen in Bad und WC und oft auch Nachlässigkeit im Umgang mit frischer Wäsche…, nicht nur in billigen Hotels muss man oft und viele Abstriche machen und die Augen fest zudrücken. Bei der Auswahl der Unterkunft helfen die einschlägigen Buchungsportale auch nicht weiter, die Fotos versprechen weit mehr, als die Realität bietet und Bewertungen werden oft von Einheimischen geschrieben, die andere Ansprüche haben, als der „verwöhnte“ Europäer. Schön ist, dass man schnell alle Hoffnung fahren lässt und sich über ein Hotelzimmer, in dem der Putz (sofern vorhanden) nicht großflächig von den Wänden fällt oder handwarmes Wasser mit Druck aus dem verkalkten Duschkopf in alle Richtungen schießt, wie ein kleines Kind am Weihnachtsabend freuen kann. Soweit zu den günstigeren Hotels. Erfahrungen mit 5-Sterne-Herbergen haben wir nicht so viel, einmal kommen wir in dieser Zeit in ein Quartier einer großen internationalen Kette unter und wir fragen uns im Nachhinein, ob die Räumlichkeit ihr Geld tatsächlich wert war. Es gibt in puncto Unterkunft aber auch Positives zu berichten: das Personal. Wir erinnern uns an kein Hotel oder Homestay, in dem die Angestellten nicht außerordentlich freundlich und hilfsbereit waren und dies lässt über viele anderweitige Mängel mit einem Lächeln hinwegsehen…

Transport

Anreise – Fünf Flughäfen nennt Madhya Pradesh sein Eigen, Bhopal und Indore verfügen gar über internationale Airports, allerdings werden – unseres Wissens nach – tatsächlich keine ausländischen Flughäfen bedient. Letztlich ist nach Delhi zu fliegen und von dort den Weitertransport (Luft oder Land) zu organisieren.
Vor Ort – Natürlich gibt es ein recht gut ausgebautes Bahnnetz und Busse fahren in alle Himmelsrichtungen und zu jeder Zeit. Der öffentliche Verkehr ist recht günstig, allerdings hat er einige schwerwiegende Nachteile. Insbesondere die Busse sind zumeist sehr alt, unbequem und selten pünktlich. Noch scheint man in Indiens Bussen rauchen zu dürfen, angehalten wird dort, wo es dem Fahrer passt und Pausen stehen ebenfalls in seinem Ermessen. Auf dieser Fahrt haben wir uns nach anfänglichem Zögern gegen den öffentlichen Verkehr und für das Auto mit Fahrer entschieden. Je nach Gebiet zahlt man zwischen ₹ 9-12/km, mietet man das Auto (“four-wheeler”, das englische Wort “car” ist weniger gebräuchlich) nur für eine Strecke (sog. “drop off”), muss man in der Regel die Rückfahrt mitbezahlen. Bei 100 Kilometern wären dies im ungünstigsten Fall ₹ 2.400 (ca. 30 €) zzgl. eventueller Mautgebühren, die gerne vorab eingefordert werden, selten werden jedoch Straßen benutzt, auf denen derartige Gebühren anfallen. Gemeinhin lässt sich durch Verhandeln am Fahrpreis feilen. Mit dem Auto ist man flexibel, man stoppt, wo man will und wenn man einen guten Fahrer mit Englischkenntnissen hat, erfährt man mehr über das Land, als in einem überfüllten Bus, in dem die Leute oft nach 5 Minuten das Interesse an einem verlieren. (Gebucht haben wir das Auto übrigens immer vor Ort, da wir über keinen genauen Reiseplan verfügten und so spontan wie möglich entscheiden wollten. Hier ist Hotelpersonal hilfreich, Taxistände an Bahnhöfen oder örtliche Reiseagenturen ebenso.)
Ach, übrigens: Die Straßen in MP sind zu einem großen Teil in einem bedauernswerten Zustand, viele werden seit Jahren repariert und für die o.g. 100 Kilometer sollte man gerne 4-5 Stunden Fahrzeit einplanen. Aber nicht nur der Straßenzustand behindert schnelleres Fortkommen, selbst auf den “Highways” finden sich unzählige heilige Kühe und letztlich wird die Straße von allen geteilt, die Beine oder Räder haben, um sich fortzubewegen…
Wer mit Bus und Bahn fahren möchte, erhält vom Personal in den Unterkünften gute Ratschläge, manchmal buchen Hotels die Tickets. Die Webseiten makemytrip (Bahn, Bus usw.), irctc (Bahn) und redbus (Bus) sind ganz gute Orientierungshilfen, bei den ersten beiden Plattformen ist es aber schwierig, etwas zu buchen, wenn man Ausländer ist.

Reisewetter

Der Winter, von November bis März, wird gemeinhin als die beste Reisezeit mit den erträglichsten Temperaturen empfohlen. Die Monate März bis Juni eignen sich Micro-Heizlüfter
Micro-Heizlüfter
hervorragend für Tigersafaris, da es fürchterlich heiß wird und die Großkatzen jetzt öfter an den Wasserstellen herumlungern. Städtetouren und Besichtigungen von Tempeln u.Ä. sind in sengender Sonne dagegen weniger erquicklich. Die Monsunzeit von Juli bis Oktober dürfte dem Reisespaß auch eher abträglich sein, allerdings entfalten sich in dieser Zeit Madhya Pradeshs Flora und eine Handvoll Wasserfälle zu voller Blüte.
Ob es nun am Klimawandel liegt? Der Winter 2019/2020 war außerordentlich kalt, in den Nächten gingen die Temperaturen auf den Gefrierpunkt zurück und in vielen Unterkünften scharten sich die Gäste (und das Personal) um Miniatur-Heizlüfter und erzählten sich beim heißen Tee die eine oder andere Anekdote zum Aufwärmen…

Sonstiges

  • Fotografieren: Aus China ist man ja schon einiges gewohnt, wenn es darum geht, fotografiert zu werden. Indien dagegen ist eine ganz andere Hausnummer und auf dem Land wird es gar schlimmer und besonders an den Sehenswürdigkeiten schallt es ohne Unterlass “Selfie, Selfie, please!”. Und doch: im Gegensatz zu Chinesen wird vorher stets gefragt, ob ein Foto genehm ist und mit entsprechender humoriger Antwort lassen die Inder gar von einem “Familienbild mit Ausländer” ab. Ansonsten gilt auch in Indien: Kamera weg von militärischen Einrichtungen und ansonsten vorher fragen, ob man Leute fotografieren darf, sie machen es ja (meistens) auch so.
  • Was (wirklich) nervt: Fotografiert werden! Eintrittspreise! Immer noch gilt: Der ausländische Tourist zahlt regelmäßig das Zwanzigfache am Ticketschalter. Unverschämt!
  • Informationen: Der Reichtum Indiens in Bezug auf Kultur und Natur spiegelt sich in der Informationsflut im World Wide Web wider. Es gibt ein gut geschnürtes Bündel an hilfreichen Internetauftritten: Madhya Pradeshs eigener Webauftritt (Englisch) ist eine erste gute Adresse und wichtig, um Unterkünfte des MP Tourism zu buchen. Eine weitere offizielle Webseite ist unter tourism.gov.in zu finden, unter den privaten Anbietern stechen besonders tourmyindia und Tourism of India hervor, die mit Informationen und Bildern nicht geizig sind. Auf Knowledge of India gibt es zudem Informationen zu kulturellen Aspekten, wie etwa zahlreiche Artikel zum Thema Hinduismus.
  • Und sonst?: s.d.a. unter Reiseziel Indien
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