Trekking in Srinagars Vorgarten
Seit unserer Ankunft in Srinagar, der Sommerhauptstadt der indischen Provinz Jammu und Kaschmir, ist unser Blick auf die kommenden Treks in Ladakh gerichtet. Uns ist aber auch bewusst, dass wir in einer verheerenden konditionellen Verfassung sind. Das letzte sportliche Ereignis, an dem wir teilnahmen, war der 10-Kilometer-Lauf beim Shanghai-Marathon. Dies ist allerdings schon sieben Monate her, seitdem ist in Sachen Sport nicht mehr viel passiert. Unsere Devise ist: Training by doing, im Hochgebirge vielleicht eine etwas fahrlässige Einstellung. Bevor wir jedoch nach Ladakh aufbrechen, stehen uns noch zehn Tage zur Verfügung, diese „Zeitverschiebung“ ist das Resultat eines daheim unterlaufenen Planungsfehlers.
Hier kommt der Zufall in Gestalt des Inhabers unseres „Hotels“ in Srinagar ins Spiel und im Laufe eines anregenden Gesprächs über unser Woher und Wohin gibt sich eben jener Inhaber als Tourveranstalter (im Nebenberuf) zu erkennen und weiß, dass es angesichts unserer Vorhaben in Ladakh (mehrere Mehrtages-Touren) angezeigt sei, eine Art Trainings-Trek in Srinagars Umgebung zu versuchen. Da wir jedoch etwas schwächlich aussähen (O-Ton), wäre es zudem sinnvoll, gleich das Gesamt-Paket zu buchen, sprich: Führer, Pferde, Verpflegung. Damit wir von unserem Zeitplan nicht so weit abwichen, sei der Trek von Naranagh via Gangabal-See nach Sonamarg wie maßgeschneidert.
Wir sind eher skeptisch. Geführte Wanderungen sind nicht unser Ding und in der Regel ist der Tour-Preis, der vorher recht verlockend aussieht, schnell hinfällig, da nach Abschluss einer Tour gemeinhin Bakschisch erwartet wird. Es wird am Abend auf unserem Zimmer eine lange Diskussion, letztendlich entscheiden wir uns für das Angebot, weil der Gedanke der sportlichen Ertüchtigung nicht von der Hand zu weisen ist und wir ohnehin nicht genau wissen, was wir bis zu unserer Ankunft in Ladakh tun sollen. Zudem erscheinen uns 400 US-Dollar für sechs Tage und fünf Nächte (all inclusive) nicht übermäßig teuer. Und wir werden es nicht bereuen, der Trek selbst ist nicht schlecht, aber die Tage mit unseren Begleitern sind interessant und es wird ausnehmend lustig.
Bilder aus Srinagar
In den nächsten 36 Stunden sehen wir uns Srinagar an. 1800 Jahre alt und ebenso viele Meter über dem Meeresspiegel. Historische Architektur, interessante Moscheen, der Dal-See und seine Hausboote, die Mughal-Gardens oder das Treiben auf den Märkten, die Zeit in Srinagar vergeht wie im Flug. Um die Stadt herum gibt es fantastische Trekking-Routen, auf denen man sich für das Hochgebirgs-Trekking in Ladakh vorbereiten kann. Noch wichtiger als Sightseeing aber ist, dass wir das Geld für unseren Trek zusammenbekommen. Klugerweise haben wir den Verfügungsrahmen für unsere Kreditkarte auf „Wenig“ limitiert, wir müssen daher Geld am Bankautomaten abholen, was in Indien nicht einfach ist, da mehr als 10000 Rupien auf einen Schlag nicht abgeholt werden können, unsere chinesische Karte nicht anerkannt wird und die deutschen Karten mehrfaches Abheben ohne zusätzliche Gebühren nicht erlauben (noch so ein Planungsfehler). Aber irgendwie bekommen wir das hingebogen und los geht es zu unserem ersten Trek.
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Gegen sieben Uhr in der Früh stehen wir gestiefelt und gespornt vor dem Hotel, kommen allerdings erst gegen zehn Uhr aus Srinagar weg. Es gab – angeblich – Organisationsprobleme und der Koch ist auch noch nicht da. Kurz nach zehn geht es dann aber wirklich los, zuerst Richtung Norden über Gandarbal nach Wayul. Für die 25 Kilometer brauchen wir fast eine Stunde, es ist Stau, den die Polizei rigide mit Knüppeln aufzulösen sucht. In Kangan gibt es eine Pause, der Koch muss Lebensmittel einkaufen und auch wir haben die Gelegenheit, die eine oder andere Banane zu erwerben. In Kangan biegen wir von der NH1 nach Naranag, dem Startpunkt unseres Treks, ab. Es geht durch das schöne Tal des Wangat-Flusses, vorbei an Bergwiesen und Kiefernwäldern und eine halbe Stunde später sind wir in dem kleinen Ort, der fast nur noch vom Tourismus lebt. Naranag ist aber nicht nur „Basis-Lager“ für Wanderungen in die umliegende Bergwelt, es gibt auch eine bedeutende archäologische Anlage, ein Shiva-Tempel aus dem 8. Jahrhundert.
Am frühen Nachmittag erreichen wir Naranag (5 Stunden für 50 Kilometer, Hut ab!) und werden von unserem Führer R. in Empfang genommen. Er stellt sich uns als „Gypsy“ (Zigeuner) vor, wobei das Wort „Nomade“ wohl eher zutreffen würde. Als er uns mitsamt unserem Gepäck in sein Haus verfrachtet, fragen wir uns, was bei ihm von einem Zigeuner oder Nomaden noch übriggeblieben ist. Wie dem auch sei, in gebrochenem Englisch teilt er uns mit, heute sei ein Aufbruch unwahrscheinlich, es gäbe noch Probleme mit den Pferden (?), wir sollten uns in seiner Hütte wie zu Hause fühlen, was nicht so einfach ist. So nett sein Domizil von außen erscheint, inwendig ist es doch mehr denn schlicht. Unser Koch gibt uns in der Küche eine erste Kostprobe seines Könnens und im Gespräch (und nach eingehender Musterung) findet man heraus, dass wir uns den Plan, in 4 Tagen nach Sonamarg zu wandern, wohl abschminken könnten. Immerhin sind es fast 65 Kilometer und wenn wir nicht in exzellenter Kondition und höhenakklimatisiert seien, nee, wohl eher nicht. Aber versuchen könnte man es ja… Tolle Aussichten.
Wir beziehen die Dachstube des Hauses, in der es ordentlich zieht, in der Nacht wird es fast unmöglich zu schlafen, da es andauernd regnet und R. sein Haus sinnigerweise mit einem Blechdach ausgestattet hat. Irgendwann lässt der Regen aber nach, wir dösen ein und nach ausgiebigem indischem Frühstück geht unsere Wanderung in den Ganderbal los.

Indische Küchenzeile

Schlafgemach im Hirtenhaus
Gleich vorweg: Wir schaffen es tatsächlich nicht bis Sonamarg (so erklärt sich auch der Titel des Berichts) und der Grund ist einfach: Wir sind zu schlapp!
Mit unserem pakistanischen Koch A. (die Pferde sind immer noch nicht da), der – nebenbei bemerkt – sein Handwerk versteht und überaus humorvoll ist, gehen wir das erste Teilstück unserer Tour an. Schon diese Etappe bricht uns fast das Genick: Annähernd fünf Kilometer geht es durch schöne Kiefernwälder bis Bodpathri, dies jedoch ziemlich steil bergauf und wir schnaufen schon jetzt wie eine altersschwache Lokomotive, die Blicke unseres Kochs sind zu Recht voller Sorge. In Bodpathri gibt es ein „Hotel“, naja, genaugenommen einen Bretterverschlag, in dem Tee ausgeschenkt und Fladenbrote verkauft werden. Während wir hier pausieren, werden wir von „unseren“ vier (!) Lastpferden nebst Treibern überholt und wir sind etwas geschockt, da es keineswegs ausgemacht war für so viel Mensch und Tier Lohn und Brot zu zahlen. A. beruhigt uns, die Anzahl der Pferde sei nötig und damit auch die Treiber, wir hätten nichts extra zu zahlen. Das mag ja sein, aber die Höhe des Trinkgeldes wird sich dadurch auch verdoppeln. Dass es am Ende sogar fünf (!) Pferde sind, lässt sich einfach durch den Umstand erklären, dass für so viele Personen natürlich auch mehr Gepäck anfällt. Hm, Spontaneität hat wohl ihren Preis.
Ab Bodpathri sind die Anstiege nicht mehr so lang und steil, wir kommen gut vorwärts. Kurz vor der Siedlung Trunkhol gibt es bei der Familie eines unserer Begleiter noch einen Stopp, die Hütte ist gerammelt mit Nomaden aus der Familie und der Umgebung. Eine kleine Mahlzeit wird kredenzt und aus den Mienen der Hirten und wie sie uns mit leicht nach oben gedrehten Augen ansehen, glauben wir schließen zu können, wie sie unsere Vitalität und Fitness einschätzen. Bald sind die Weideplätze von Trunkhol erreicht, wir müssen uns polizeilich registrieren und unsere Führer sind der – von uns lebhaft geteilten – Auffassung, dass wir es heute nicht mehr bis zum Gangabal-See schaffen (was allerdings Voraussetzung wäre, wollten wir in der Zeit bis Sonamarg). Da haben sie wohl recht, wir sind fix und fertig, ein bisschen peinlich ist es schon, aber was kann man von Großstädtern schon verlangen. Wir errichten unser neues Zelt (s.d. unseren Zelt-Report), lecken unsere Wunden und warten auf das Abendessen, dass wir in großer Runde einnehmen.

Wangat Tal
Das Camp ist – wie erwähnt – auf einer großen Weide, Yaks, Schafe, Pferde und die Hirten beschnuppern schon am frühen Morgen neugierig unsere Unterkunft und angesichts dieser Exponiertheit fragen wir uns, wie und wo wir unsere Notdürfte verrichten werden. Gut, dass auf der Wiese der eine oder andere größere Felsblock herumliegt. Heute (schon) ist Ruhetag, naja, annähernd. Unser Guide schlägt jedenfalls einen solchen vor. Damit wir aber in Übung bleiben, wandern wir Richtung Mt. Haramukh und dann links zum Kolsar-See; von hier aus hat man einen guten Blick auf Trunkhol und die Berge in der Kulisse. Unterwegs machen wir an einer Hirtenunterkunft halt und bekommen einen frisch gebrühten Yakbutter-Tee, knorriges Fladenbrot und die Gelegenheit, in so ein Nomaden-Heim hineinzuschauen. Bequem und gemütlich ist etwas anderes, Hirten sind dann wohl eher pragmatisch, ein Fernsehsessel oder eine Stereoanlage wirkte hier deplatziert und wäre wohl auch unpraktisch. Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern (mit einem Geldgeschenk…), machen am Kolsar-See ein paar Blümchen-Fotos und lassen uns bergab nach Trunkhol fallen.
Beim Nachmittags-Tee erörtern wir dann mit unseren Begleitern das weitere Vorgehen. Für morgen ist die Wanderung zum Gangabal-See angesagt und je nachdem, wie wir uns schlagen, geht es noch am
Yakbutter-Tee im Hirtenzeltgleichen Tag weiter oder wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir nicht bis nach Sonamarg kommen werden. Ein weiser Plan.
Apropos Nachmittags-Tee: wie schon erwähnt, sind wir keine Freunde geführter Touren und haben auch wenig diesbezügliche Erfahrung. Am Ende waren wir mit unseren Leuten aber sehr zufrieden und es steht außer Frage, dass sie sich sehr viel Mühe geben. Und es ist sehr angenehm, drei feste (und leckere) Mahlzeiten am Tag zu bekommen, alle naselang erscheinen A. oder R. und fragen, ob wir Tee oder Knabbereien wollen oder ob etwas fehlt. Sie sind wirklich sehr bemüht, es uns recht zu machen. Wollen am ersten Abend gar unser Zelt aufbauen, am zweiten Tag wird für Sabine A. einen Paravent errichtet, auf dass sie sich frisch machen kann usw. Das einzige Manko ist vielleicht die Sprachbarriere, ihr Englisch ist rudimentär und unsere Kenntnisse in Urdu nicht vorhanden. Aber es wird erst richtig lustig, als wir ein paar Worte Urdu lernen und diese bei jeder (Un-)Gelegenheit kanonengleich abfeuern.
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Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt.
Von den Weiden Trunkhols bis zum Gangabal-See sind es – je nach Tempo – zwischen zwei und vier Stunden (wir sehen unsere Begleiter nur von hinten, obgleich sie nach uns starteten, hm, etwas unlogisch, aber Tatsache). Zwei längere Anstiege sind zu bewältigen, kurz vor dem Nandakol-See (einer der beiden „Zwillings-Seen“, der zweite ist der Gangabal) ist ein Gebirgsfluss zu überqueren, die Brücke besteht aus zwei alten wackeligen Baumstämmen. Am Nandakol campieren auch die meisten Wanderer (insbesondere die Gruppen-Reisenden), wir treffen eine zwanzigköpfige Mannschaft aus Taiwan, die sogar ein Klo- und Duschzelt dabei haben. Wohl dem…
Der See ist …kalt, von türkiser Farbe und der Mt. Haramukh spiegelt sich mit seinem Gletscherüberhang in den Wassern des Sees. Vom Nandakol ein letzter Anstieg, und man hat eine herrliche Sicht auf den Gangabal-See und die ihn umgebenden Berge. Wir suchen einen Platz zum Campen, was nicht so einfach ist, da die Ufer feucht und die Hänge geröllig sind und zwischenzeitlich habe ich (Frank) mir einen gehörigen Sonnenbrand an den Waden und Schienbeinen geholt (ich weiß, Anfängerfehler), der mich an diesem Tag etwas aus der Bahn wirft und wenig Lust auf irgendwelche weiteren Aktivitäten am heutigen Tag (und den nächsten Wochen und Monaten) macht. Unser Koch zaubert ein treffliches Mal aus angelaufenen Töpfen und auf rauchigem Kerosin-Brenner und wir bereden kurz die Lage. Nun ist es klar, wir werden Sonamarg (zu Fuß) nie erreichen, wir hätten heute wenigstens am nächsten planmäßigen Camp in Satsar (12 Kilometer von Gangabal, dazwischen ein Pass von über 4000 Meter Höhe) ankommen müssen, um annähernd im Limit zu bleiben. Unschaffbar! Der Guide schlägt vor, an das westliche Ufer des Sees zu wandern, dann gäbe es noch einen mehrstündigen Anstieg in die Berge und mit etwas Glück (abhängig vom Wetter) könnten wir die Spitze des K2 sehen. Mit etwas Glück. Wir versuchen dann lieber unser Glück beim Wettangeln mit unseren Begleitern, der Gangabal ist voller Forellen und es ist fast schon ein Unding, keinen Fisch zu fangen. Gemeinsam nehmen wir unseren Fang aus, der von A. köstlich zubereitet wird. Waren wir anfangs etwas enttäuscht, dass wir unser Ziel nicht erreichen werden, so ist es jetzt egal. Das Essen schmeckt und zwischenzeitlich ziehen bedrohlich dicke Wolken auf, die sich im Laufe des Abends im Verein mit einem heftigen Gewitter entleeren und uns fast in den See spülen.
Der nächste Tag ist denn auch sehr trübe, zum Wandern ist es allerdings angenehm, insbesondere mit Blick auf geröstete Waden. Wir werden es an diesem Tag bis nach Naranag schaffen und können noch einmal feststellen, dass der Anstieg von jener Ortschaft bis Trunkhol wirklich sehr anstrengend ist. Selbst bergab ist es eine echte Tortur und als wir in Naranag ankommen, sind wir erst einmal für eine Stunde nicht ansprechbar.
In Indien sind jetzt Ferien und auf dem Weg hinab ins Dorf kommen uns Horden (schweißgebadeter) indischer Touristen entgegen. Wir sind etwas froh, dass wir noch ein wenig Ruhe an den Seen genießen konnten, die scheint jetzt vorbei zu sein.

Wanderweg zum Gangabal
Fazit: (betr. Gangalbal-See, weiter kamen wir ja nicht) Eine wirklich schöne und abwechslungsreiche Mehr-Tages-Wanderung, die mit ein wenig Fitness sogar in zwei Tagen zu schaffen ist (dann aber etwas stressig). Zur Akklimatisierung – es geht immerhin bis auf 3.600m – und Gewöhnung an schwereres Gepäck bestens geeignet. Guides oder Träger (oder gar Pferde) sind – im Nachhinein gesehen – nicht notwendig, man kann sich nicht verlaufen und im Zweifelsfall sind Nomaden, die man nach dem Weg fragen kann, immer bei der Hand und auskunftsfreudig. Auch technisch ist die Wanderung nicht anspruchsvoll. Indische Ferien unbedingt meiden, es wird richtig voll.
Für uns war es wieder einmal eine lehrreiche Erfahrung, besonders in Bezug auf die Einschätzung der eigenen körperlichen Leistungs(un)fähigkeit und dahin, dass eine bessere Vorbereitung viel Geld sparen kann.
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Halt! Die Geschichte ist doch noch nicht zu Ende….
Als wir in Naranag ankommen, legen sich unsere Begleiter noch einmal mächtig ins Zeug, bauen sich und uns ein Zelt am Wangat-Fluss auf und wir essen noch einmal gemeinsam zu Abend, bevor sich unsere Pferde-Treiber verabschieden. Na ja, eigentlich bleiben sie im Dorf und wir sehen sie tags darauf geschäftig den nächsten Trek vorbereiten. Wir hatten in Srinagar abgesprochen, dass uns ein Fahrer in Sonamarg abholt und nach Kargil bringt. Daraus wird ja nun nichts, also neue Planung. Diese wird durch einen unerfreulichen Umstand erschwert. In Srinagar herrscht nach Unruhen Ausnahmezustand, das Militär schießt wild um sich und es besteht keine Möglichkeit, aus der Stadt hinauszugelangen. Allenfalls in der Nacht. Wir müssen also noch einen ganzen Tag in Naranag verbringen (werden aber von A. bestens bekocht) und besteigen in aller Frühe den klapperigen Jeep, der es trotz der Sperre aus Srinagar hierher schaffen wird.
2 Übernachtungen (nur Camping möglich)
Reisezeit – Anfang Juli
max. Höhe – 3700 m