Zurück ins Tiefland
Wir stehen immer noch am Gaoersi-Pass und bestaunen den Gonggashan oder Minya Konka (chin. 贡嘎山, 7.556m). Dass wir hier noch stehen (trotz unseres stets auf Eile drängenden Fahrers) hat einen recht profanen Grund. Die etwa fünfzig vor uns zockelnden Tanklaster der chinesischen Armee haben sich dank ausgefeilter Fahrkunst auf der engen Passstraße hinab nach Xinduqiao derart verheddert, dass es fast eine Stunde dauert, bis das Gewirr entwirrt ist. Aber nichts ist endlos, gegen 5 Uhr nachmittags können wir endlich weiter und bald in der kleinen und netten Ortschaft Xinduqiao.
Xinduqiao ist ein nettes kleines Örtchen, etwa 85 Kilometer vor Kangding. Viele tibetische Würfelhäuser und einen lebhaften Markt gibt es hier zu sehen, die Gegend um den Ort herum ist bekannt als „Paradies für Fotografen“, besonders im Herbst lassen sich in der Gegend herrliche Fotos von klaren Seen, bunten Wäldern und schneebedeckten Bergen machen.
Unserem Kastenbrot-Taxifahrer ist das alles wurst, es dämmert langsam und er will vor Einbruch der Dunkelheit in Kangding sein. Und wirklich, nur eine Stunde später laufen wir in Kangding ein, der Fahrer wirft uns irgendwo heraus, wir entlohnen ihn irgendwie und machen uns an unsere „Lieblingsbeschäftigung“, die Suche nach einem Schlafplatz.
Im Zeitalter ausgereifter Technologien und Zillionen diverser Handy-Apps an sich kein Problem, wir haben es aber nach fünf Jahren Aufenthalt in China immer noch nicht für nötig gehalten (oder geschafft?), uns einen Handy-Anschluss mit Internet zuzulegen. Also bleibt nur die klassische Variante, das zeitintensive Abklappern von Übernachtungsmöglichkeiten. Kurz bevor wir aufgeben und uns mit dem Gedanken vertraut machen, unter einer Brücke zu schlafen (die Hotels sind entweder belegt oder zu teuer oder zu… „billig“), stoßen wir auf das Kangba-Hotel, in dem wir ein günstiges Zimmer dadurch bekommen, dass wir die Angestellten erst um das Wifi-Passwort bitten, um das Zimmer dann in der Lobby des Hotels über das Internet zu buchen. Ob es noch komplizierter geht? Die Stube sieht ganz nett aus, ist aber völlig verqualmt und auf die Frage nach der Möglichkeit eines Zimmertausches erhalten wir zur Antwort, dass dies nicht möglich sei und wenn es uns störe, dass alles im Raum (von der Bettwäsche über die Handtücher bis zum Toilettenpapier) nach Zigarettenrauch dufte, so könnten wir doch das Fenster öffnen!?!
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Kangding (2600m), die größte Stadt in West-Sichuan, hat – nach unserem Dafürhalten – als Stadt nicht so viel zu bieten. Die meisten Gebäude sind „modern“ und viel, außer einer Handvoll Tempel und ein paar kuriosen Märkten, gibt es im Ort nicht zu sehen. Als Tagesausflüge lohnen sich Fahrten zu den heißen Quellen von Er Dao Qiao und nach Mugecuo (3200m), einem Nationalpark mit Seen, Wäldern, Bergen, tibetischer buddhistischer Felsmalerei und Grasland. Die Landschaft um Kangding herum ist es dann wohl auch, die einen chinesischen Dichter zu einem Liebeslied inspirierte, durch das Kangding in ganz China berühmt wurde. Kangding ist zudem der Ausgangspunkt der 5-7tägigen Pilgerwanderung um den heiligen Gongga Shan, unserem nächsten Ziel.
Nach einem ausgedehnten Stadtspaziergang holen wir im Hotel unsere Rucksäcke ab und chartern ein Taxi nach Luding am Dadu-Fluss. Luding ist relativ bedeutungslos, wäre da nicht der Busbahnhof und die wichtige Kreuzung der Straßen G318 (Richtung Norden nach Chengdu) und S221 (Richtung Süden nach Panzhihua). Luding ist aber auch berühmt für seine gleichnamige Brücke aus der Qing-Dynastie (1644 bis 1912). Diese Brücke besaß wirtschaftliche Bedeutung, da sie Tibet und Sichuan verband, militärisch bedeutsam war sie in der „Schlacht um die Luding-Brücke“ während des „Langen Marsches“ der Roten Armee in 1935.
Gründe, um zum Gongga Shan (chin. 贡嘎山) zu fahren, gibt es viele. Für Tibeter ist der Berg heilig, für andere ist er der „König der Sichuaner Berge“, eine Handvoll will ihn besteigen oder umrunden, für viele Besucher ist es hingegen der Gletscher im Hailougou Glacier Park (chin. 海螺沟冰川公园), der sie interessiert und fasziniert. Oder alles zusammen. Wir haben es auf diesen Gletscher abgesehen. Schon einmal waren wir in dieser Gegend und mussten unverrichteter Dinge von dannen ziehen, weil man im Nebel die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. (Für mehr Infos, s. unter Gonggashan)
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Die kleine Ortschaft Moxi (chin. 摩西, sprich: Moa Chsi) ist Ausgangspunkt eines Besuchs des Gongga Shan-Gletschers. Von Luding ist es ein Zwei-Stunden-Ritt in einem klapprigen Mini-Bus, der entlang des Duda-Flusses fährt und an jedem Ascheimer hält. In der Höhe des kleinen Dorfes Huashibao biegt er dann rechts ab und überquert den Duda. Knapp 10 Kilometer später ist man in Moxi. In 2015 brauchen wir für diese Strecke allerdings fast eine Stunde. Grund ist ein massiver Erdrutsch (wegen starker Regenfälle) kurz vor der Ortschaft und die notwendig gewordenen Instandsetzungsarbeiten.
In Moxi angekommen, brauchen wir etwa eine Stunde, bis wir ein geeignetes Hotel finden, meine Sturheit ist daran nicht unschuldig, glaube ich doch, jene Unterkunft wiederzufinden, in der wir vor etwa 10 Jahren das Haupt zur Ruhe betteten. Aber auch Moxi ist mit der Zeit gegangen und heute gibt es viele Herbergen. Wir entscheiden uns für eine Bude im Hailuogou Jindu Express Hotel, simpel, aber sauber und recht günstig (gelegen). Der Inhaber ist auch ein netter und durchaus witziger Kerl (spricht jedoch weder Deutsch noch Englisch), er wird uns später eine Tour anbieten (wie erwartet), die im Vergleich zu vielen anderen Angeboten akzeptabel ist. Viel können wir an diesem Tag nicht mehr machen, ein kurzer Gang durch die neue und doch nette Altstadt und wir finden ein richtig gutes Restaurant auf der Tianyu Dadao (Name vergessen, aber man kann draußen sitzen), dessen Köche zaubern, was die lokale Küche an Köstlichkeiten zu bieten hat.
Bei unserem ersten Besuch Moxis glaubten wir doch tatsächlich, wir könnten zum Hailuogou Park wandern, und das an einem Tag! Wer das vorhat, sollte sich das auch schnell wieder aus dem Kopf schlagen. Selbst mit dem Rad ist es eine echte Tor“tour“, auf dem Hinweg geht es fast 30 km, bis zur ersten Seilbahn-Station bis auf etwa 2800 Meter, nur bergauf. Also lieber das Kombi-Ticket für Eintritt und Shuttle-Bus kaufen.
Am frühen Morgen ist die Fahrt hinauf zur Seilbahn schon ein erstes Erlebnis, wenn sich nämlich der Frühnebel langsam aus den Tälern erhebt und die Umgebung in eine magische Landschaft verwandelt. Mit der schaukelnden Seilbahn durchbrechen wir die Wolkendecke und befinden uns in einer zweiten solchen. Pech! Vom Gletscher werden wir heute nicht zu viel sehen, interessant ist es hier oben allemal, die Luft in über 3.500 Metern Höhe allerdings etwas dünn. Wer mag, kann von der Aussichtsplattform an der Seilbahn hinunter auf den Gletscher klettern, eine schweißtreibende und angesichts der dünnen Luft ziemlich anstrengende Unternehmung.
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Zurück in Moxi lassen wir uns in einem kleinen Restaurant eine „Berghuhn“-Suppe aufschwatzen, nicht zum ersten Mal bekommen wir dies in China angeboten und jetzt greifen wir einmal zu. Das Huhn schmeckt noch, wie es soll, allerdings ist es vom vielen Bergsport auch recht muskulös und wir kauen lange an der Suppe. Dem Inhaber unserer Herberge gelingt es später, uns für den nächsten Tag zu einer kleinen Rundtour zu gewinnen (heute sind wir in Geberlaune), allerdings lohnt sich die Fahrt zum „Tal der roten Felsen“.
Nächsten Tages in der „Frühe“ (wir warten etwa eine Stunde auf unseren Fahrer) geht es auf der kleinen Landstraße, die Moxi mit Kangding verbindet, Richtung Norden. Nach vielleicht 30 Kilometern über Stock und Stein und durch kleine Dörfer gelangen wir zum Hongshitan. Soweit das Auge reicht, sieht man diese seltsamen roten Steine in einem Flussbett, bei blauem Himmel sicher ein toller Anblick. Die Felsen sind von einem roten Mikroorganismus bedeckt, der nur unter den einzigartigen Bedingungen des Hochgebirges überleben kann. (Wissenschaftler brachten dieses Moos dereinst in andere Gegenden, in denen es sofort abstarb. Wie schade…)
Nach diesem Naturschauspiel dürfen wir uns – weitere 50 Kilometer nördlich – den Yajia Love Lake ansehen, einen See in der sogenannten Conch-Schlucht, der bei schönem Wetter den Gipfel des Mt. Riwuqie (6376m) wiederspiegelt. Bei schlechtem Wetter hingegen reflektiert der See das schlechte Wetter. Die Gegend in und um den Conch Gully herum soll auch Heimat vieler Tierarten sein, etwa des Roten Pandas, der Bergschafe und des tibetischen Rhesus-Affen, aber irgendwie haben die Tiere heute andere Pläne und wir sehen lediglich eine Handvoll Spatzen und ein paar Haushühner.
Die Tage am Gongga Shan sind gezählt, am nächsten Morgen gegen 7 Uhr in der Frühe werden wir den Direkt-Bus nach Chengdu, der Hauptstadt Sichuans, besteigen. Gegen 15 Uhr laufen wir in Chengdu ein. Lange hatten wir überlegt, ob wir statt der Panda-Aufzuchtstation in der Stadt lieber die Reservate Wolong Panda Center oder Bifengxia Panda Base besuchen sollen. Ersteres ist nach dem Erdbeben von 2008 aber schon wieder zugänglich, aber letztlich entscheiden wir uns – wider besseres Wissen, denn die beiden Parks sind (unseres Erachtens nach) interessanter und nicht so überlaufen – für die Station in Chengdu. Wohl aus Faulheit, liegen diese beiden Center doch wieder einige Stunden Busfahrt von Chengdu entfernt.
Für den kommenden Tag steht jedoch erst ein Besuch des Sanxingdui (Drei-Sterne-Hügel) Museums auf dem Plan.
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Sanxingdui Museum / SichuanSanxingdui ist nach drei Ausgrabungsstätten benannt, die – etwa 30 Kilometer nördlich von Chengdu – in der Nähe der Stadt Guanghan liegen und in denen die meisten der Exponate gefunden wurden. Die ersten dieser außergewöhnlichen Artefakte aus Jade und Bronze (insb. Köpfe, Masken, Schmuck, Figuren und religiöse Gegenstände), die Archäologen über Dekaden hinweg beschäftigten, wurden 1929 von einem Bauern entdeckt, als er einen Brunnen aushob. Die interessantesten und schönsten Relikte fand man dann – per Zufall – allerdings erst in den 80ern des 20. Jahrhunderts in zwei Opferstätten. Einige Wissenschaftler halten die Relikte angesichts ihres Alters und der kulturellen Bedeutung für eine der wichtigsten Ausgrabungen (der Neuzeit). In dem 1997 endlich eröffneten Museum sind die schönsten Zeugnisse der alten Sanxingdui-Kultur (11.-12. Jh.v.Chr.) zu sehen, einer Zivilisation, die Bestandteil des antiken Shu-Königreiches (2050? – 361 v.Chr.) war. Über diesen Staat ist bis heute wenig bekannt, da es aus dieser Zeit keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, 1046 v.Chr. wurde die Shu in der „Schlacht von Muye“ kurz erwähnt, eigentlich gibt es erst um 340 v.Chr. verlässlichere Notizen zu diesem mysteriösen Königreich.
Ein Besuch des Museums lohnt sich in jedem Fall und wer sich sattgesehen hat, kann sich im großen anschließenden Park stundenlang die Beine vertreten.
Sanxingdui-Museum
Unsere Yunnan-Sichuan-Tour ist an ihr Ende gelangt. Unser Versuch, im Chengdu Panda Research der großen schwarz-weißen Bären in der Natur angesichtig zu werden, scheitert kläglich. Zum einen ist es so heiß, dass die Pandas ihre Freizeit lieber in ihren Käfigen verbringen, zum anderen – es ist Wochenende – ist der Park so voll, dass wir fast hindurchgeschoben werden. In den letzten 15 Jahren hat sich in Sachen Tourismus in China viel getan (immerhin sind sie jetzt auch Tourismus-Weltmeister!) und die Zeiten, als man fast alleine durch Parks und zu Attraktionen wandelte, scheinen endgültig vorbei.
Was bleibt, ist ein Blick auf den großen, traurigen Bären hinter Glas und den etwas weniger bekümmerten kleinen Roten Panda im Gehege, der Abschieds-Genuss hervorragender Sichuan-Küche und die Erkenntnis, dass wir zwei aufregende Wochen hinter uns haben und die beiden Provinzen immer noch zu unseren Favoriten in China gehören. Es bleibt nur zu hoffen, dass der Tourismus Chinas Westen nicht auffrisst…
Oder mit den Bussen 1, 49, 53, 71, 83, 85, 87, 90, 156 oder 530 zum Zhao Jue Si (Zhaojue Tempel) Station. Hier den Bus nach Guanghan City nehmen (insg. etwa 45 Min). Dann mit Bus Nr. 6 zum Museum.
Kangding: Beliebt ist das Zhilam-Hostel , das von Amerikanern geführt wird und auch mit vielen Infos aufwartet, ganz nett ist auch das Yongzhu Hotel, ansonsten mal bei ctrip.com schauen. In Moxi gibt es nicht viel Luxus. das Hailuogou Moxi Holiday Hotel (249¥/DZ) ist noch ein besseres Hotel, an der Moxigu-Road liegen viele kleinere Hotels, die ein spartanisches Doppelzimmer für etwa 100¥ vermieten. In Chengdu sind bei Backpackern Hostels sehr beliebt, hier einfach bei den großen Hotel-Platformen inspirieren lassen. Hostels in Chengdu bieten oft ein sehr breitgefächertes Angebot an Aktivitäten an, von Koch- bis Sprachkursen über Exkursionen und Touren (Zimmer ab 13€).
Der Eintritt in den Gongga-Gletscher-Park kostet 92¥, der Touristen-Bus 70¥, die Seilbahn zum Gletscher 150¥. Das Ticket in das Sanxingdui-Museum reißt ein 80¥ großes Loch ins Portemonnaie, das Giant Panda Breeding Research kostet 58¥ pro Nase.