Mountain-Hopping in Sichuan
Auch wenn beim ersten Lesen der Überschrift dieses Berichts für das ungeübte Auge der Eindruck entstehen mag, so ist Jampelyang und Gonggashan nicht der Titel tibetischer Prosa, vielmehr handelt es sich um zwei heilige Berge in der Provinz Sichuan (weitere Infos zu Yading gibt es hier). Doch der Reihe nach: Mit dem Eintrittsticket für das Yading-Gebiet bewaffnet, lassen wir uns in den Shuttle-Bus schieben, der uns zum Yading-Dorf bringen wird, in dem wir auch zu nächtigen gedenken. Noch einmal sind etwa 30 Kilometer abzusitzen, kurz vor Yading geht es um eine Kurve und mit einem Mal hat man einen herrlichen Blick auf den Mt. Chenresig (6032m).

Wenig später trudeln wir dann im Dorf Yading ein. Wie das in kleinen chinesischen Dörfern so ist, bald ist man umringt…, falsch, in Yading-Dorf scheint man tagelang auf der Straße stehen zu können, ohne dass irgendwer Interesse auch nur heuchelt. Es ist daher unsere ureigene Angelegenheit, uns nach einer Unterkunft umzusehen. Gästehäuser gibt es durchaus, allerdings sind wir angesichts der Zimmerpreise etwas geschockt. 100 Yuan für einen Raum mit vier Wänden und zwei Bettgestellen darin, mit Matratzen und Bettwäsche, die ihre beste Zeit schon lange hinter sich haben, das Klo auf dem Hof oder auf dem Gang (Luxus), hm…, das ist schon ein wenig viel. Am Ende (wie immer) zahlen wir zwar doppelt so viel in Page’s Tibetan Inn (gegen Ende des Dorfes, auf der rechten Seite), haben aber wenigstens ein eigenes „Badezimmer“ und einen schönen Blick auf Yadings Berge. Und ein Frühstück.

In der guten Stube des Gasthauses treffen wir auf einen jener Japaner, die man gemeinhin als „cool“ bezeichnen könnte. Guter Job, Taschen voller Geld, aber wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, dann können sie wirklich auf alles verzichten, schlafen im Freien, essen Beeren und Baumrinde usw. Ganz so schlimm ist es in Yading nicht, unser neuer Bekannter erzählt ein wenig von seinen Trekking-Erlebnissen und überlässt uns auch eine handgezeichnete Karte von der Umgebung. Da das Wetter noch gut ist, machen wir uns auch bald auf den Weg, besteigen den Shuttle-Bus zum Parkeingang und spazieren ein wenig im Naturreservat herum. Um diese Jahreszeit ist in Yading noch nicht so viel los, wir begegnen auf dem Weg zum Chong Gu-Grasland entlang des Gongga-Flusses zum Chong Gu-Kloster kaum Touristen, einige Einheimische drehen im Kloster ein paar Gebetsmühlen und das Wetter trübt ein, sodass von den drei heiligen Bergen Chenresig, Jampelyang und Chanadorje nicht viel zu sehen ist. Das fast 800 Jahre alte Kloster, in dem schon der berühmte China-Reisende und Botaniker Joseph Rock in den 20er- und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts Unterschlupf fand, ist klein, ein Paradebeispiel tibetischer Tempelarchitektur und auch heute noch für die tibetischen Gläubigen von einiger Bedeutung. Von hier hat man – bei gutem Wetter – auch einen fantastischen Blick auf die Nordflanke des Mt. Chenresig. Ein leichtes Schneetreiben setzt ein, uns wird kalt und wir verlassen für heute den Park. Im Gasthaus angekommen, ergibt es wenig Sinn, das Zimmer aufzusuchen, die Bretterbude werden wir mit zwei Heizdecken kaum mollig warm bekommen. Den Rest des Abends verbringen wir daher in der etwas geheizten Gaststube, quatschen mit anderen Gästen, lesen und schütten uns bis obenhin mit Tee voll.

In der Nacht hat es weiter, aber nur leicht geschneit. Die Wälder und Berge Yadings sind in ein zartes weißes Kleidchen gehüllt und ich habe etwas Kopfweh, sei es vom Tee, von der Höhe oder Tatsache, dass ich in der letzten Nacht schlecht schlafe, da ich wie ein Schneider friere (habe wohl eine schlechte Heizdecken-Aura). Nach einem typisch chinesischen Frühstück (Dampfnudeln mit Reissuppe) sind wir recht früh wieder zurück im Park, denn die Sonne strahlt, als hätte sie in der Lotterie gewonnen. Es ist noch schneidend kalt, aber die herrliche Natur lässt uns das schnell vergessen. Am Parkeingang kaufen wir ein Ticket für den Elektro-Shuttle zum Luorong-Grasland. Dieses Grasland auf 4100m Höhe ist ein guter Ausgangspunkt für Wanderungen oder Pferdetouren um den Mt. Chenresig bzw. zu dem berühmten Fünf-Farben-See und dem Milchsee. Zudem hat man von hier einen herrlichen Blick auf alle drei heiligen Berge. Von einer Pony-Tour sehen wir ab, zum einen ist es recht teuer und dann bin ich auch nicht gerade der passionierte Reiter. Für eine Umrundung des Chenresig (fast 20km) fehlt es uns an Zeit und Ausrüstung, wir lümmeln daher ein paar Stunden auf dem Grasland herum, kommen den grasenden Yaks gefährlich nahe und genießen einfach die Ruhe und die schöne Bergwelt. Gegen Mittag verlassen wir den Park, am Himmel ziehen schon wieder schwere Wolken auf, der April macht, was er will und in den Bergen sowieso.
Ein wenig froh sind wir schon, dass wir Yading verlassen, für den April in den Bergen waren wir doch vielleicht etwas zu schlecht ausgerüstet und nach Temperatursturz und Schneefällen froren wir in der Nacht, trotz defekter Heizdecke und fehlender Doppelverglasung und Wandisolation… Wie das in China auf dem Lande so ist, auf die Frage nach dem nächsten Bus wird gemeinhin mit „等一下“ (deng yixia, ‚warte ein bisschen‘) repliziert und wir stellen uns auf die Straße und warten ein bisschen. Dieses „ein wenig“ hat in China (oder vielleicht in ganz Asien) einen etwas anderen Sinngehalt als in heimischen Gefilden und kann von 5 Minuten bis endlos alles bedeuten, jedoch: es ist eine freundliche Variante für „Keine Ahnung, wie lange das dauert. Irgendwann passiert etwas.“. Es mag eine Stunde vergangen sein, in der wir das Treiben auf der Dorfstraße beobachten, als der Bus nach Neu-Shangri-La eintrudelt, durch die recht sauberen Scheiben haben wir einen Abschiedsblick auf die heiligen Berge und nach einigen Serpentinen und noch mehr Straßenkehren sind wir zurück in Neu-Shangri-La. Ein Taxifahrer, der am Busbahnhof auf Kundschaft lauert, macht uns ein derart gutes Angebot, dass wir nicht im Ort zu Mittag essen, sondern gleich Richtung Jinzhu/Daocheng davondampfen. Noch einmal kommen wir im International Youth Hostel unter (die Aschenbecher im Garten sind immer noch nicht geleert) und überfallen den Herbergsvater sogleich mit der Bitte, sich um einen Weitertransport nach Litang zu bemühen. Das dauert zwar seine Stunden, aber der junge Mann ist nicht nur freundlich, denn auch hilfsbereit; für morgen haben wir eine Mitfahrgelegenheit in einem „Kastenbrot-Wagen“ (chin. 面包车, miàn bāo chē), eine Art Taxi für, na ja, eigentlich 6-8 Personen, oft aber mehr. Man glaubt oft gar nicht, wie viele Personen in so einen Kleinbus hineinpassen…, wenn es sein muss. Angeblich sahen diese Taxis früher wie ein Laib Brot aus, daher der bis heute gültige Name.
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Wie auch immer, am nächsten Tag werden wir pünktlich von unserer Unterkunft abgeholt, außer dem Fahrer und uns sind nur noch fünf weitere Kerle im Taxi, die natürlich, sobald der Fahrer den Zündschlüssel umgedreht hat, rauchen, was die Zigarettenschachtel hergibt. Sabine und ich freuen uns wieder auf eine tränenreiche Fahrt und gut konservierte – weil geräucherte – Kleidung. Nun ja, so ein Brotwagen hat aber auch seine Vorteile, weniger Leute heißt schneller, kürzere Pausen und vor allem, anhalten, wo es nötig scheint, sei es zur Verrichtung der Notdurft oder für das ein oder andere Foto.
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Wir verlassen Jinzhu und bald darauf auch die Hauptstraße. Es geht über Stock und Stein, da noch zwingend ein Brief abgeholt werden muss, der einfach nicht mit der Post verschickt werden kann. Auch das ist typisch für Chinas Countryside, dass Busfahrer oft Dinge mitnehmen, die eigentlich mit der Post verschickt werden könnten, es ist – wohl – schneller und auch sicherer als der staatliche Zustelldienst. (Und niemand fragt, was sich im Paket befindet.). Es geht zurück auf die S216, die frisch geteert ist und glatt wie Seidenpapier, die nächsten drei Stunden bis Litang verfliegen wie Lösungsmittel in der Sommersonne, die Landschaft ist hochalpin, links und rechts der Straße sind schneebedeckte Berge zu sehen, hie und da taucht ein Bergsee in der Szenerie auf und am Tuer-Pass (4696 Meter ü.d.M.) dürfen wir den Brotlaib für ein schnelles Pass-Foto verlassen und dünne, aber rauchfreie Luft schnuppern. Nun geht es wieder bergab und es dauert noch etwa eine Stunde, bis wir Litang erreichen, zum Glück, denn auf dem Weg hierhin gibt es weder Baum noch Strauch, der Deckung zum Wasserlassen bietet, ein Umstand, der besonders für Damen sehr unerquicklich ist (aber auch für Herren).
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Litang (chin.: 高城镇 gao cheng zhen, tibet.: ལི་ཐང།) glaubte bzw. die Einwohner des Ortes glaubten dereinst, dass die Stadt mit 4014 Metern Höhe die höchstgelegene der Welt ist. Vielleicht war sie das auch einmal, mittlerweile ist dies aber überholt. Zugegeben: Allein 5 der 6 höchsten Städte liegen in China (in den Provinzen Tibet und Qinghai, alle über 4700m), Litang muss also noch daran arbeiten, wenn sie zurück auf das Podest will. Aber wahrscheinlich lässt sich mit einem derartigen Titel auch kein Geld verdienen, vonseiten der Regierung gibt es jedenfalls keinerlei erkennbare Anstrengungen mit Blick auf derartige Weltrekorde. Litang hat indes auch ohne diesen Mumpitz genug zu bieten, wobei es sich dabei mehrheitlich um Outdooraktivitäten handelt, etwa Pferde- oder Motorradtouren, Wanderungen (z.B. zum Zaga Sheshan-Berg) oder Spaziergänge im Ort (beispielsweise zum Ganden Thubchen Choekhorling, einem großen Kloster in Litang). In Bezug auf ausgedehntere Aktivitäten sollte man in seiner Unterkunft nachfragen, oft genug gibt es dort andere Touristen, die Anschluss suchen. Man kann aber auch einfach im Ort herumlaufen und zusehen, was die Einheimischen hier so den ganzen Tag machen, das ist interessant genug und so verbringt man locker ein paar Tage hier, ohne es zu bemerken. Achtung: Ein kleiner Hinweis sei erlaubt, Litang liegt über 4000 Meter hoch, eine Phase der Akklimatisierung ist nötig, erste Anzeichen einer Höhenkrankheit (wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlaf- und Appetitlosigkeit) sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der in Ort käufliche Sauerstoff in Flaschen hilft zwar bei akuten Problemen, ist aber nicht zur Langzeittherapie gedacht. Nicht unerwähnt bleiben darf hier natürlich das alljährliche, in der ersten Augustwoche stattfindende „Litang Pferdefestival“, zu dem die Nomaden vom tibetischen Plateau nach Litang herüberpilgern, um zu handeln, zu feiern und mit ihren tibetischen Ponys um die Wette zu reiten. Uns gefällt allerdings das Yushu Pferdefestival besser, vielleicht weil es abgelegener ist und (noch) nicht so vermarktet.
Litang – Pferdefest
Wie es nun manchmal ist…, man fühlt sich nicht so gut und hat dann auch keine große Lust, auf so etwas wie Komfort zu verzichten. Dabei ist man schon recht anspruchslos, aber eine aufkommende Erkältung und die Tatsache, dass im Ort die „Hotels“ mehr oder minder ausgebucht sind und nur noch Betten im Schlafsaal im „Pothala Hotel“ zu belegen wären, naja, darauf haben wir keine große Lust, irgendwie ist man aus dem Alter für Schlafsäle langsam heraus (anders, wenn es notwendig wäre und/oder wir zum ersten Mal nach Litang kämen). Dass die Hotels ausgebucht sind, hat übrigens einen triftigen Grund: Zurzeit ist es insbesondere unter jungen Chinesen „total angesagt“, die etwa 2400 Kilometer von Chengdu nach Lhasa (Tibet) mit dem Rad zurückzulegen und jedes Jahr versuchen sich Tausende an der Bewältigung dieser Aufgabe. So nimmt es auch nicht Wunder, wenn man auf den Straßen Richtung Chengdu ständig große Radfahrer-Gruppen sieht, die sich in die Berge quälen. Ein nur geringer Teil dieser zumeist sonntäglichen Radler schafft es übrigens tatsächlich bis nach Tibet, was auch damit zusammenhängen kann, dass man für die Tour nur 23 Tage Zeit hat (weil zumeist organisiert und man auch nur für 23 Tage bezahlt). Wer (aktives) Interesse an diesem Spektakel hat, mag z.B. hier einmal schauen.
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Die Entscheidung, Litang noch am selben Tag zu verlassen, ist also flott gefällt. Für heute können wir froh sein, wenn wir noch das etwa 9 Stunden Busfahrt entfernte Kangding erreichen. Flugs geht es daher auf die Hauptstraße des Ortes, man wird hier angesprochen, wenn man ein bisschen dumm und suchenden Blickes herumsteht. Da sich gleich mehrere Fahrer erbieten, können wir uns das günstigste Gefährt heraussuchen. Der Preis ist ok und alle Reisenden sind schon an Bord, sodass wir sofort losfahren können. In unserem „Kastenbrot“ geht es aus Litang in Serpentinen hinauf zum Kazila Pass (卡子拉山口, 4718m), der Fahrer ist leider ein harter Brocken und lässt uns kein Foto machen (wozu auch, wird er sich fragen). Weiter geht es auf der G318 nach Yajiang, einer modernen und reizfreien Ortschaft. Die Stadt ist nur insofern von Interesse, als sie ein Maß für den zurückgelegten Weg ist, hier hat man die Hälfte hinter sich. Bevor wir Xinduqiao erreichen, stellt sich ein weiterer Pass in den Weg, der Gaoersi Pass (4412m). Das ist nicht weiter tragisch, wäre nicht der „Highway“ von und zum Pass auf einer Länge von fast 24 Kilometern scheußlichste Schotterstraße. Zu allem Überfluss fahren hier fast täglich Tanklaster der chinesischen Armee in endlosen Konvois hin und her und zu weiten Teilen ist die Straße zu eng, um zu überholen. Vom Gaoarsi-Pass hat man allerdings – als Belohnung – einen wunderbaren Blick auf unser nächstes Ziel, den Mt. Gongga.
Yading: Grundsätzlich kann man im Reservat übernachten, z.B. in der Luorong Pasture Tent-lodge (4180M), tolle Aussicht, allerdings nicht im besten Zustand. Zelten ist möglich und im Rahmen der Umrundung der heiligen Berge sogar nötig. Vorher in Yading erkundigen, ob das Campen geht. Die meisten Leute schlafen im Yading-Dorf, das beste Hotel ist hier das Mofan Themed Hotel (zwischen dem Eingang zum Park und dem Dorf), ein Doppelzimmer ist ab 312¥ (ca. 45€) zu haben. Es gibt noch einen Haufen Hostels im Ort, die für hiesige Verhältnisse recht sauber sind, aber absolut spartanisch und in der Regel mit Gemeinschafts-WC. Im Page’s Tibetan Inn kostete uns ein schmuckloses Zimmer mit Bad und Heizdecke 200¥. Litang: Ist nicht berühmt für seine gemütlichen Hotels, beliebt war lange das Potala Inn im Zentrum. Wie das aber oft so ist, hat man erst seine Aufkleber von Lonely Planet, tripadvisor und Co. im Fenster, scheint es – trotz Höhenlage – nur noch steil bergab zu gehen. Auch das vielgelobte Peace Guesthouse hat schon friedlichere Zeiten gesehen. Wäre da noch das typisch chinesische Chongcao Hotel, die Einrichtung ist typisch, die Brandlöcher im Hochflor-Teppich, der Zigaretten-Mief undsoweiter.
Der Eintritt zum Yading Naturreservat kostet 160¥, der Shuttle-Bus vom Parkeingang (in Shangri-La II) noch einmal 120¥. Das Elektro-Auto von der Chonggu-Aue zum Luorong Grasland liegt bei 80¥ (hin und zurück) und 50¥ für den Hinweg (! Das Rückweg-Ticket kann man in Luorong nicht kaufen und der Weg ist lang…, 12km!).