Bergauf – bergab
Zamość, Perle der Renaissance, Padua des Nordens…, um nur einige Attribute zu nennen, die dieser Stadt verliehen werden. Nicht zuletzt wegen dieser Beschreibung wollte Frank so weit in den Südosten hinunter. Aber der Reihe nach. Vom Bahnhof ist es nur ein Steinwurf zum Zeltplatz, der es leider etwas an Charme und Atmosphäre vermissen lässt. Das Zelt ist schnell aufgebaut und wir fahren noch in die Stadt, um uns einen ersten Überblick zu verschaffen. Zamośćs viel gerühmter Marktplatz (Rynek) hält dann aber doch nicht den oben erwähnten Vergleichen stand, das haben wir auch schon in anderen Städten Polens gesehen, na ja, vielleicht nicht so gebündelt.
Die Stadt – so Franks Meinung – sähe zwar „nett“ aus, aber leblos. Es scheine so, als ob in diesen vielen Häusern kein Mensch wohne und man die Gebäude nur hierher gesetzt habe, um Touristen etwas zu bieten. Ein seltsamer Ort und keinesfalls einen Umweg wert (sagt Frank).
Nichtsdestotrotz ein paar Fakten für den, den es interessiert: Die „Idee“ zu dieser Stadt stammt von Jan Zamoyski, der im 16. Jahrhundert polnischer Großkanzler war und eine Stadt bauen wollte, die Kultur- und Handelszentrum und zugleich Festung sein sollte. Da nicht jeder polnische Kanzler, selbst wenn er einige Zeit in Italien lebte, auch Architekt ist, verpflichtete Zamoyski den Italiener Bernardo Morando, der die Stadt im Ganzen auf dem Reißbrett entwarf und wie gezeichnet bauen ließ. Nach nur elf Jahren konnte die Baustelle geschlossen werden und 217 Gebäude waren bezugsfertig. Schnell noch eine Befestigungsmauer drum herum, fertig ist die Stadt Zamość. Die hält dann auch über Jahrhunderte Angriffen aller Invasoren stand und selbst den Deutschen gelingt es nur, die Bevölkerung niederzumähen, nicht aber den Ort zu zerstören.
Der Tag neigt sich seinem Ende zu und um den Geldbeutel zu schonen, essen wir an einer Tankstelle einen Hamburger, der seinesgleichen sucht. Ein Fladenbrot von der Größe einer Einkaufstasche, bis zum Rand gefüllt mit geschreddertem Salat und den Köchen gelingt es gar noch, einen riesigen Fleischkloß in die Tüte hineinzuquetschen; Hut ab, ein echtes Werk polnischer Koch- und Verpackungskunst. Und so billig, dass der Laden voll ist wie eine Sardinenbüchse und man sich fragt, wie hoch die Gewinnspanne dieser Imbissbude ist.
Den Plan, zwei Tage in Zamość zu verbringen, geben wir schon am Morgen des nächsten Tages auf. Ungeachtet des historischen Wertes und der lebhaften Jazz-Szene der Stadt ist es letztlich der mückenverseuchte Campingplatz, der diesen jähen Abzug verursacht. Frank ist wirklich zu bedauern, jeden Abend zieht er lange Hosen und Hemden an, was die Mücken dazu veranlasst, ihn dann einfach in den Kopf zu stechen.
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Der Weg von Zamość nach Zwierzyniec (kaum auszusprechen) führt auf ordentlichem Geläuf durch den schönen Roztozce-Nationalpark, der über eine sehr reiche Flora und Fauna verfügt. Von der letzteren sehen wir leider überhaupt nichts, irgendwie haben wir auf dieser Reise kein Glück mit Tieren, jedenfalls nicht mit lebenden. Auf der Straße haben wir schon einiges tot gesehen, auch seltenere Tiere, aber wer will das schon. Zwierzyniec ist ein recht netter Ort und verfügt gar über ein paar Sehenswürdigkeiten, z.B. die Zwierzyniec-Brauerei, die „Kapelle auf dem Wasser“ als einzigem Relikt der Sommerresidenz der Familie Zamoyski und ein Naturkundemuseum. Außerdem gibt es ein sehr gutes Restaurant, das Karczma Mlyn, wir stopfen uns mit Pirrogen voll und begehen den Fehler, in der Mittagshitze wieder aufs Rad zu steigen. Kurz hinter Zwieyczyrzcz… wie auch immer, gibt es einen längeren Anstieg, der pralle Bauch und die dralle Sonne setzen uns mächtig zu.
Aber jede Medaille hat ihre Seiten, wir machen im Nationalparkwald halt, beobachten Schmetterlinge und die Einheimischen beim Blaubeerpflücken, atmen Kiefernausdünstungen ein und kühlen uns ab. Die letzten Kilometer nach Biłgoraj schaffen wir dann auch noch, werden dort Zeuge einer polnischen Hochzeit und stellen mit Schrecken fest, dass die Stadt nur über ein teures 3-Sterne-Hotel verfügt. Die Bedienung der auf der anderen Straßenseite liegenden Bar weiß jedoch mehr, dass Landschulheim am Ortseingang vermiete in den Ferien auch an Nicht-Schüler. Es lohnt sich, dass wir die vier Kilometer zurückfahren müssen, das Zimmer ist hübsch (wahrscheinlich ein Lehrerzimmer) und die Leute sehr freundlich, mehr kann man nicht wollen.
Die Fahrt von Biłgoraj nach Przeworsk wird eine harte Nuss. Zwar ist es Sonntag und viele Polen sind in der Kirche (und zwar so viele, dass ein Teil der Gläubigen außerhalb der Kirche stehen muss und die Messe über Lautsprecher verfolgt), die an sich gute Straße ist aber trotzdem voll und es wird richtig, richtig heiß, bergig und der Wind bläst von vorn. Die Landschaft ist nicht zu abwechslungsreich, mehr Felder als Wälder und die Dörfer etwas reizarm. Dafür wollen wir uns mit unserem ersten 3-Sterne-Campingplatz belohnen, daraus wird aber nichts. Das Restaurant vor ist gut und preiswert (trotz weißer Tischdecken), die Blockhäuschen sind in traditionellem Stil gehalten, für den Zeltcamper wird allerdings nicht viel geboten (eine Erfahrung, die wir auch schon in anderen Ländern – einschließlich Deutschland – machen mussten), vielleicht legen wir uns in der Zukunft doch lieber einen Wohnwagen zu, als Zelter steht man in der Campingplatz-Hierarchie irgendwie am unteren Ende.
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Aus unerfindlichen Gründen treibt uns der Wind nach Łańcut, stand so gar nicht auf der to-do-Liste. Aber wir sind im doppelten Sinne froh, einerseits verkürzt das den heutigen Arbeitstag erheblich, andererseits ist Łańcut wirklich reizvoll. Das Wetter bleibt heiß und schwül, nach 30 Kilometern des Auf und Ab haben wir schon genug. Dazu kommt auf halber Strecke noch ein kleiner Umweg zu einer Sehens-un-würdigkeit, am Ende wir sitzen am Straßenrand in Łańcut, knabbern Brot und Salami und werden von mindestens vier Leuten angesprochen. Drei von denen scheinen uns für Obdachlose zu halten, liegen doch die Fahrradhelme vor uns und der Griff geht zu den Portemonnaies. Der vierte, Alexandr, ist ein Kenner und Genießer und Frank unterhält sich 15 Minuten mit ihm in einem Englisch-Polnisch-Deutsch-Salat über CroMoly-Rohre, gemuffte Rahmen und andere Seltsamkeiten.
Ein Blick in den Reiseführer verrät, dass es in Łańcut ein Schloss der Familie Potocki gäbe, eine der reichsten Familien des alten Polen. Dazu gibt es noch eine drollige Geschichte. Die Familie verfügt(e) über viele Kunstschätze. Bei Herannahen der Russen gegen Ende des Krieges stopfte Jan Potocki einen Teil dieser Schätze in elf(!) Güterwagons und brachte sie außer Landes. Um den Rest und das Schloss selbst zu retten, brachte er an letzterem ein Schild mit der Aufschrift „Polnisches Nationalmuseum“ an. Ehrfürchtig sahen die Russen vor Plünderung und Zerstörung ab, alles blieb der Nachwelt erhalten.
Herbergen sind knapp in Łańcut, wir platzen nämlich in ein nationales Musikerausscheidungswasweißich hinein und wir können von Glück reden, das wir noch ein Dachkämmerchen im „Pałacyk“ bekommen, einem sehr stilvollen und urigen Herrenhaus. Die Unterkunft sieht ein bisschen aus wie die Kemenate des Dichters auf Spitzwegs Bild. Klimaanlage Fehlanzeige, nur eine Dachluke lässt sich öffnen, es ist heiß und stickig in der Bude und wir stehen die ganze Nacht unter der kalten Dusche.
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Der neue Tag beginnt wie der alte endet, es ist brüllend heiß und schwül und wir sind froh, dass wir das dreißig Kilometer entfernte Rzeszow erreichen, ohne vom Fahrrad zu fallen. Dagegen hilft nur eine Abkühlung, in Rzeszow in Form der neusten Attraktion, der Unterirdischen Touristenroute, deren Erstellung knapp 17 Jahre dauerte und Keller unterhalb des Marktplatzes zu einem 213 Meter langen Weg verbindet. Aus der normalerweise 30 Minuten dauernden Führung machen wir mit Bogdan 90 Minuten, nicht zuletzt, um der Hitze zu entfliehen. Ansonsten gibt es in Rzeszow, der „Hauptstadt“ des Karpartenvorlandes (Podkarpacie) nicht viel zu tun oder zu sehen, das Rathaus und der Marktplatz wären da vielleicht noch als sehenswert zu erwähnen. Und es gibt einen Bahnhof, an dem wir etwas essen und beim Schlürfen unserer Zurek die Entscheidung fällen, noch einmal in den Zug zu steigen und weiter bis Tarnów zu fahren, es ist wirklich sehr heiß heute, außerdem versprechen die 80 Kilometer zum nächsten Stop wenig Abwechslung. Im Regionalzug nach Tarnów ist es allerdings zehnmal heißer als auf der Straße, Klimaanlage Fehlanzeige, null Ventilatoren und die Fenster des alten Zuges schließen sich selbsttätig, so man sich nicht mit seinem Körpergewicht hineinhängt. Nach eineinhalb Stunden erreichen wir schweißgebadet Tarnów, die ersten Gewitterwolken dräuen am Firmament, nix wie zum Campingplatz. Dort treffen wir drei ältere polnische Radreisende, die auf dem Weg nach Bialystok sind, es wird richtig lustig, sie sprechen kein Englisch, wir kaum Polnisch und nach ein paar Gläschen Wodka weiß jeder alles von jedem. Der nette Abend endet mit einem Gewitter und Platzregen, an unserem Zelt brechen mal wieder die Verbindungsstücke der Zeltstangen und das ganze hängt im Regen herum, wie ein nasser Sack. Unsere Zufriedenheit und Geduld mit diesem Zelt wird wieder auf eine harte Probe gestellt und eigentlich ist es auch ein wenig peinlich zu sehen, dass billige Discounter-zelte wie gemauert dastehen, wohingegen sich unser hochpreisiger High-Tech-Tunnel krümmt, als habe er Schmerzen oder schäme sich für irgendetwas.
Auch Tarnów ist eine geschichtsträchtige Stadt, stammt (auch) aus dem 13. Jahrhundert und bietet (auch) einen schönen Marktplatz, ein paar Kirchen in gotischem und barockem Baustil, verfügt ebenfalls über ein Rathaus und macht einen sehr lebhaften Eindruck (anders als Zamosc). Frank lässt seine Uhr reparieren, endlich haben wir wieder einen Kompass und Höhenmesser zur Verfügung.
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In Tarnów hören wir das erste Mal von dem Szlak Architektury Drewnianej. Dabei handelt es sich um einen Weg (hauptsächlich) in Kleinpolen, der mit Holzarchitektur gepflastert ist. (Dazu gibt es auch eine kleine Bildergalerie.)
Herausragend sind dabei die Holzstabkirchen, von denen viele aus dem 15. Jahrhundert stammen, einige sind sogar älter und gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO. Neben diesem Holzkirchenweg gibt es übrigens noch andere Themenrouten, darunter die Käseroute, eine Burgenroute, Zisterzienser- und Piastenroute und vieles mehr. Uns haben es allerdings die Holzkirchen angetan. Unsere erste Kirche ist die des Heiligen St. Martin, etwa 15 Kilometer südöstlich von Tarnów. Das Gotteshaus stammt aus dem 15. Jahrhundert, weist viele gotische, spätgotische und barocke Elemente auf und liegt auf einem Hügel, der eine schöne Aussicht auf Tarnów bietet. Davor ist allerdings ein 5 Kilometer langer und zum Teil steiler Anstieg zu bewältigen. Als Belohnung gibt es dann auch eine entsprechend lange Abfahrt…
Wir werden uns in den nächsten Tagen an ein fröhliches Bergauf und Bergab gewöhnen müssen, befinden wir uns doch immer noch in den Vorderkarpaten. Die Straße nach Tuchow gibt uns jedenfalls schon einen kleinen Vorgeschmack, der Puls geht einige Male in bedenkliche Regionen.
Zwischenzeitlich ist der Sommer in Polen eingekehrt, ab Mittag ist an Radfahren erst einmal nicht zu denken, wir machen Pause in Tuchow, nerven die Angestellten des örtlichen Touristikbüros mit unseren Fragen, verdrücken ein Wagenrad Pizza und setzen uns vor dem Supermarkt in den Schatten, um die Mittagshitze an uns vorbeiziehen zu lassen. Just in diesem Moment spricht uns eine Polin mit traurigem Gesichte an, sehen wir so erbarmungswürdig aus? Nein, sie hatte gehört, dass wir Deutsch sprechen und lud uns daraufhin in das Haus ihres Mannes ein, quasi als Überraschung für denselben. Christoph ist ein echtes Original. Undefinierbares Alter, kaum noch Zähne im Mund, am frühen Mittag schon eine Wodka-Fahne, erfahren wir durch den dichten Zigarettenqualm, den er verbreitet, dass er Künstler ist. Nicht nur Lebenskünstler, sondern nebenher auch Bildhauer, der früher in der Hauptsache Figuren für Kirchen in ganz Europa schnitzte. Nicht ohne Stolz zeigt er uns ein Fotoalbum seiner Werke, bemerkt aber gleich dazu, dass er jetzt die Früchte seines Schaffens genieße, die Energie zum Arbeiten sei irgendwie verpufft. So sieht auch sein Haus aus, das zusammenzuklappen droht und in der Straße sicherlich das baufälligste ist. Aber er ist wirklich ein witziger Kerl. Sein jüngster Sohn, der in Tuchow als Zimmermann lebt, ist ein Abziehbild von ihm, die Werkstatt ist mehr als unaufgeräumt, überall stehen Bierdosen und überquellende Aschenbecher herum. Die Familie erfreut sich aber ihres Lebens, jeder hat irgendwie ein Auskommen und man ist mit der Regierung und der Entwicklung in Polen ganz zufrieden. Christoph zeigt uns zum Abschied einen Soldatenfriedhof aus dem Ersten Weltkrieg und ist dann auch bald auf dem Weg zum Supermarkt, um sich für den Abend mit Bier und Wodka einzudecken. Wir hingegen schwingen uns wieder aufs Rad, wer weiß, wie viele Kilometer wir noch vor uns haben.
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Wir schaffen es nur bis Zakliczyn, es ist auch am Spätnachmittag noch sehr heiß auf dem Fahrrad. Unterwegs besuchen wir in Gromnik und Siemiechow zwei weitere Holzkirchen und müssen in Zakliczyn mit Entsetzen feststellen, dass fast alle Herbergen von Wanderarbeitern belegt sind. Bei einer Unterkunft ist dies nicht weiter tragisch, scheint sie doch nebenbei eine Aufzuchtstation für Pferdebremsen zu sein. Auf dem Marktplatz des Ortes spricht uns eine ältere Frau an, Jola ihr Name, und sie erzählt uns, (neben vielen anderen Dingen, die wir nicht verstehen) dass sie über „wolne pokoje“ – freie Zimmer – verfügt. Sie habe aber erst etwas zu erledigen und brauche noch eine Stunde, allerdings sei ihre Tochter im Haus, selbige könne uns einweisen. Wir sind nachgerade dankbar für diese Neuigkeiten und futtern uns erst einmal im Ratskeller voll. Die Tochter spricht übrigens etwas Englisch, wir können unsere Fahrräder unterstellen und das Zimmer ist auch ganz nett, der Gebrauch des privaten Badezimmers jedoch etwas befremdlich. Als Jola nach Hause kommt, wird erst einmal der Selbstgebrannte hervorgekramt und wir „dürfen“ diesen mit ihr, der Tochter und deren Familie, die auf Besuch aus Krakau ist, bis auf den Grund der Flasche leeren. Es wird ein feuchtfröhlicher Abend, mit Händen, Füßen und ein bisschen Englisch erzählt jeder etwas aus seinem Leben und zufrieden und leicht angeheitert schwanken wir ins Zimmer und fallen lotrecht ins Bett. Ob der Schnaps schuld an den Kopfschmerzen des nächsten Tages ist? Hat er die belegte Zunge und das mangelnde Orientierungsvermögen verursacht? Wir verfahren uns jedenfalls erst einmal, was in dieser kleinen Ortschaft fast unmöglich ist. Macht aber nichts, Zakliczyn ist ein nettes Fleckchen und die Landschaft an der Donajec recht hübsch. Aber eigentlich fehlt die Zeit und die Kraft für irgendwelche Umwege und wir sind froh, bald wieder auf der Straße Richtung Lipnica zu sein. Die ersten Kilometer bis Jurkow und Tymowa sind aber nur bedingt erquicklich, handelt es sich bei der Straße 980 um einen Zubringer zur größeren Nr. 75 Richtung Krakau, der LKW-Verkehr ist hier schon ziemlich stark. Wir fragen uns, ob der Preis des Fortschritts an der Anzahl der fahrenden Autos zu messen ist und wo dies hinführen soll. 40-Tonner brettern mit 80 Sachen durch kleine, schnuckelige Dörfer, die Einwohner trauen sich schon gar nicht mehr auf die Straße und die Kinder müssen im engen Hinterhof spielen. Die Seitenränder der Straßen sind gepflastert mit den Leichen von Vögeln, Hunden und Katzen, Waschbären und Igeln und berechtigterweise mag man sich fragen „Mensch, qou vadis?“.
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An der Holzkirche von Tymowa stopfen wir uns mit Softeis voll und erreichen mit Ach und Krach Lipnica Murowana, dessen Hauptattraktion eine hölzerne Kirche aus dem 15. Jahrhundert (mittlerweile UNESCO-Erbe) ist, deren Ursprünge allerdings bis in das 11. Jahrhundert zurückreichen, als dort die erste Kirche auf den Ruinen eines heidnischen Tempels erbaut wurde. Vom Tempel ist noch eine Säule erhalten, die nunmehr Teil des Altars sein soll, auch im Altertum kennt man Recycling. Die Kirche ist geschlossen und wir müssen die Schlüsselfrau aus irgendeiner Sitzung herausklingeln, damit sie uns für fünf Minuten das Gotteshaus öffnet. Der die Kirche umgebende Friedhof ist auch sehr interessant, finden sich doch einige vergammelte Grabsteine aus dem späten 18. Jahrhundert (oder noch älter). Sabine ist wegen der tropischen Temperaturen zwischenzeitlich krebsrot im Gesicht und wir beschließen, heute nicht mehr weiterzufahren. Nehmen ein Zimmer (zu teuer, zu stickig, zu klein) im Dorfgasthof „Ulan“, stellen uns eine halbe Stunde unter die eiskalte Dusche und machen anschließend erst einmal gar nichts. Später haben wir noch so viel Kraft, um zur Holzkirche nach Rajbrot zu fahren, den Abend lassen wir mit guter polnischer Hausmannskost ausklingen.
Von Lipnica bis Wieliczka, unserem nächsten Etappenziel, sind es eigentlich nur knapp 60 Kilometer, der Sommer hat sich jedoch nunmehr mit Temperaturen über dreißig Grad etabliert und ein paar deftige Steigungen liegen vor uns. Bei Lapanow gibt es die nächste Holzkirche, die in 2010 Opfer einer Flutkatastrophe wurde, als das kleine Stadt-Flüsschen sein Bett verließ und den Ort mitsamt der Kirche bis in Hüfthöhe einnässte. Nach weiteren Anstiegen und noch einer Holzkirche (langsam reicht es) in Raciechowice gelangen wir nach Dobczyce, einem Wochenendausflugsort der Krakauer mit schöner Innenstadt, vielen Holzhäusern, einem Freilichtmuseum und einer Burg sowie dem Dobczyckie Stausee, einem beliebten Wassersportzentrum. Noch geht es ein paar Kilometer bergauf Richtung Wieliczka, gefolgt von einer kurzen, aber knackigen Abfahrt und wir sind bald in Krakau. Vorher wollen wir uns aber in Wieliczka das berühmte Salzbergwerk anschauen. Am einzigen Campingplatz des Ortes sind wir entsetzt über den Preis, 80 Zloty (etwa 20 Euronen) wollen die für ein Fleckchen Wiese haben, auf dem wir unser Zelt aufstellen dürften, Duschen und Toiletten sind in Dixie-Hartschalengehäusen untergebracht, alles sehr seltsam und event-like. Vor Wut über diese unhaltbaren Zustände nehmen wir stattdessen ein Zimmer für 140 Zloty (manchmal sind unsere Überlegungen nicht ohne weiteres nachvollziehbar), aber mit Klimaanlage, eigener Küche und plastikarmem Nasszellenbereich.
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Um unser Tagesbudget nicht zu überreizen, schließen wir uns einer polnischen Reisegruppe an und stiefeln die 130 Meter hinab in das Salzbergwerk von Wieliczko. Frank wird auf der Treppe ganz grün im Gesicht, die Stiege hat mindestens 400 Kehren. Dass unsere Gruppe polnisch spricht, macht nicht viel aus, haben wir uns doch tags zuvor etwas über das Bergwerk angelesen, etwa, dass es eines der ältesten und bekanntesten Salzbergwerke der Welt ist und der erste Schacht etwa 1280 abgeteuft wurde. Im 15. Jahrhundert kamen im Bergwerk erstmals Maschinen und seit dem 17. Jahrhundert auch Pferde zum Einsatz. Der Abbau erfolgte zunächst nur bis in 60 m Tiefe, später reichten die Solen bis in 340 m Tiefe. Das Besondere am Wieliczko-Bergwerk aber sind die riesigen Hallen, Kapellen und Kirchen im Berg, die durch den Abbau des Salzes entstanden und von den Bergleuten weiter ausgebaut wurden. Heutigentags wird das Bergwerk nur noch als Touristenattraktion und Sanatorium für Atemwegserkrankte offen gehalten. Nach einer fast vierstündigen Führung durch die Schächte sind wir froh, wieder die Sonne zu sehen und wir ziehen den imaginären Hut vor allen, die unter Tage ihren Lebensunterhalt verdienen oder verdient haben.

Frank verbringt den Rest des Tages mit dem Trocknen des Zeltes und ausgiebigem Kartenstudium, nichtsdestoweniger verfahren wir uns am nächsten Tag auf dem Weg nach Krakau. Na ja, nicht direkt verfahren, aber wir landen einige Male auf der Autobahn… Er entschuldigt sich mit mangelhafter Beschilderung durch die polnischen Straßenverkehrsbehörden und ganz Unrecht hat er nicht. Polen ist oft genug ein Reiseland für Eingeweihte. Entweder gibt es keine Schilder oder die Angaben treffen nicht zu oder die Angaben sind richtig, aber der Standort des Schildes nicht. Manchmal ist am Schild alles korrekt, aber es gibt nur eins und um dies zu finden, bedürfte es weiterer Schilder, die es jedoch nicht gibt… oder deren Angaben falsch sind oder…usw.
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Wie dem auch sei, wir erreichen die Innenstadt Krakaus auf unerklärlichem Wege und stehen am Wawel und jeder überlegt schweigend, was zu tun ist. Zwanzig Minuten später sind wir auf dem Campingplatz und keiner weiß so genau, wie dies geschah, unser Bewusstsein scheint heute sehr stark getrübt, vielleicht haben wir zu viel Salz inhaliert? Für Frank ist „Camping Smok“ mal wieder ein Platz, um Dampf abzulassen. Der Platz besteht aus mehreren Ebenen, die oberste in der Nähe der Sanitäreinrichtungen ist eigentlich den Zeltern vorbehalten. Als wir ankommen, ist diese Ebene jedoch schon mit Wohnwägelchen und Campermobilen verstopft, am Ende finden wir auf der untersten Ebene, direkt an der Straße ein Stück Wiese, allerdings stehen nach kurzer Zeit die Wohnwagen um uns herum wie die Festungsmauer der Marienburg. Aus jedem Wohnwagen schießt alsbald ein Hund in Ponygröße, aber die tun nichts und wenn doch, dann haben sie das vorher nie gemacht. Man muss zugestehen, dass dieser „Missstand“ letztlich auf das Konto der Platzverwaltung geht. Wahrscheinlich. Glauben wir.
Krakau ist eine schöne und interessante Stadt, wir halten es aber trotzdem nur zwei Tage aus. Ursprünglich war der Plan dergestalt, dass wir Krakau als Basis für Ausflüge in die Umgebung nutzen und dann mit Zug nach Deutschland fahren wollen. Ein Blick auf den Kalender lässt uns wissen, wir haben noch Zeit, bis nach Breslau zu radeln. Die zwei Tage in Krakau genügen uns, um die wichtigsten Sehenswürdigkeiten anzuschauen, die Wawelburg, den Marktplatz samt Rathaus, den Stadtteil Nova Huta mit seiner stalinistischen Arbeiterarchitektur, das jüdische Viertel und einen ganzen Haufen alter und schöner Kirchen. Das Schindler-Museum ist nett gemacht, hat aber nicht zu viel mit Oskar Schindler zu tun und wir sind mal wieder entsetzt, was unsere Altvorderen hier in Polen so alles angerichtet haben. Und es wird noch dicker kommen, ist unser nächstes Ziel Oswiencym, besser bekannt als Auschwitz.
Etappen: 8
Anstieg: 1409m | Abstieg: 1260m
Unterkunft in
Zamość – Camping Duet (Nr. 253), ul. Krolowej Jadwigi 14, 22-400 Zamosc
Biłgoraj – Schülerwohnheim auf der Zamojska (Straße 858)
Przeworsk – Camping Pastewnik (nr. 221), ul. Łańcucka 2, 37-200 Przeworsk
Łańcut – Pensjonat Pałacyk, ul. Paderewskiego 18, 37-100 Łańcut
Tarnów – Camping 202 Pod Jabloniami, Jozefa Pilsudskiego 28A, 33-100 Tarnów
Zakliczyn – privat, Namen leider vergessen
Lipnica Murowana – Restauracja Ułan, ul. Rynek, 32-724 Lipnica Murowana
Wieliczka – Eko Motel Na Wierzynka, Edwarda Dembowskiego 22, 32-020 Wieliczka
Krakau – Caming „Smok“, Kamedulska 18, 30-252 Kraków
Datum | Etappe von – nach | km | km total | Zeit | HöhM | Temp. | |
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29.06.12 | Bahnfahrt Czeremcha – Zamość | 380 | xxx | 6:17 | xxx | 25° | C |
30.06.12 | Zamość – Biłgoray | 51.59 | 1229 | 3:53 | 125 | 30° | H |
01.07.12 | Biłgoray – Przeworsk | 67.51 | 1296 | 4:11 | 190 | 33° | C |
02.07.12 | Przeworsk – Łańcut | 27.76 | 1324 | 1:56 | 170 | 34° | H |
03.07.12 | Łańcut – Rzeszów | 24.39 | 1348 | 1:51 | 65 | 36° | x |
03.07.12 | Bahnfahrt Rzeszów – Tarnów | 80 | xxx | 1:36 | xxx | 36° | C |
05.07.12 | Tarnów – Zaklyczin | 58.63 | 1407 | 4:32 | 445 | 34° | P |
06.07.12 | Zaklyczin – Lipnica Mała | 33.42 | 1440 | 2:18 | 145 | 34° | H |
07.07.12 | Lipnica Mała. – Wieliczka | 58.54 | 1499 | 4:13 | 525 | 33° | P |
09.07.12 | Wieliczka – Krakau (Kraków) | 20.66 | 1520 | 1:39 | 55 | 34° | C |