Tropischer Tiergarten
Ein gewaltiges Stück Weg liegt vor uns, wir haben es uns tatsächlich in den Kopf gesetzt, von Mendoza im mittleren Westen bis zu den Iguazú-Wasserfällen im Nordosten Argentiniens zu fahren. Ein erster Überschlag der zu fahrenden Kilometer (> 2000) führt zu akutem Herzflimmern, aber noch steht genug Zeit zur Verfügung, und wenn es nicht klappt…
Eine mit dem Lineal gezogene direkte Verbindung zwischen Mendoza und Puerto Iguazú sieht schon ziemlich lang aus, eine Strategie der „kleinen Schritte“ scheint angebracht, und die zentral-argentinische Stadt Córdoba wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Indes: schon beim ersten Schritt straucheln wir, als wir nahe der kleinen Ortschaft Hualtarán an der RN 147 den wenig besuchten Nationalpark Sierra de las Quijadas anfahren, der sich durch seine herrlichen roten Sandstein-Felsformationen, eine reichhaltige Fauna und einen Eintrittspreis auszeichnet, der uns den Atem stocken lässt. Sollen sie sich ihre Eintrittskarten von jemand anderem vergolden lassen, wir hingegen verbuchen die ersten nutzlos verfahrenen Kilometer.
Reisekarte
Mit Fehlern ist es wie mit Küchenschaben: hat man erst mal eine im Haus, lassen die anderen nicht lange auf sich warten. Und dank mangelhafter Karten und veralteter Navigationssoftware ist der zweite Bock auch schnell geschossen. Anstatt auf der RN 20 weiter Richtung Norden zu fahren, treibt es uns zunächst nach Süden, über San Luis fahren wir so lange, bis uns der Sprit und das Licht ausgeht und wir in Río Cuarto einen Zwangsstopp einlegen müssen. Am nächsten Morgen haben wir dann aber wieder unsere Sinne beisammen, das kleine Ferien-Örtchen Embalse, rund 100 Kilometer nördlich von Río Cuarto, ist an einem Stausee gelegen, aber so mit argentinischen Touristen zugeparkt, dass wir es links liegen lassen und auf den Weg nach Villa General Belgrano und La Cumbrecita in den Bergen der Sierras de Córdoba machen. Villa Belgrano verdankt seine Entstehung der Ansiedlung der Kriegsschiffsbesatzung der Graf Spee, letztere wurde im Zweiten Weltkrieg von deren Kapitän vor Montevideo versenkt, die vorher von Bord gegangenen Seeleute wollten/konnten nicht wieder zurück in die alte Heimat und fanden in Villa Belgrano eine neue. Der Ort, der bis heute in Architektur und Traditionen – neben Kuckucksuhren gibt es ein Oktoberfest und Apfelstrudel – deutsche Spuren zeigt, ist heute ein beliebtes Touristenziel. Noch „schöner“ ist La Cumbrecita mit seinen im Alpenstil gebauten Häusern und im Nachhinein denken wir uns, dass ein Besuch der beiden Orte für uns als Deutsche doch etwas unsinnig war und unter „Kurioses“ archiviert werden kann.

In der kleinen und hübschen Bergstadt Alta Gracia, die um ein Jesuiten-Landgut aus dem 17. Jahrhundert erbaut wurde, sehen wir uns das Museum Che Guevaras an, der hier einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte. In Alta Garcia erfahren wir auch zum ersten Mal etwas über die Jesuiten-Missionen in Argentinien und das Weltkulturerbe der UNESCO, die Missionen in Misiones.
Bis Córdoba ist es jetzt nicht mehr weit, zwei Tage verbringen wir in der zweitgrößten Stadt Argentiniens, die eine der bedeutendsten Universitäten des Landes beherbergt und einen ganzen Haufen kolonialer Bauwerke anzubieten hat.
Über Jesús María, das ebenso wie Alta Gracia aus einer Jesuiten-Farm entsprang, heute über ein entsprechendes UNESCO-Kulturerbe sowie ein Gaucho-Fest, das bekannte Festival de Doma y Folklore, verfügt, geht es auf der RP 17 und zum Teil durch Mais- und Sojafelder über mehrere hundert Kilometer nach Westen, bis wir kurz vor Ladenschluss die kleine Ortschaft Cayastá am Río San Javier erreichen. An sich hat der Ort nicht viel zu bieten, außer dass er auf dem richtigen Weg liegt und einen ziemlich interessanten archäologischen Park sein Eigen nennt, der an der Stelle des früheren und von den Fluten des San Javier verschlungenen Cayastá liegt und mit Mumien übersät ist. Aus irgendeinem Grund finden wir den Park aber nicht, es bleibt daher bei einer Stippvisite auf dem hiesigen Campingplatz.
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Wer in Argentinien Lust auf Wildlife und insbesondere auf Vogelbeobachtung hat, kommt am Parque Esteros del Iberá nicht vorbei. Dieses einzigartige Feuchtgebiet, 120 Kilometer nördlich der Stadt Mercedes (Provinz Corrientes), ist nicht nur Heimat der seltenen Sumpfhirsche und Mähnenwölfe, der Park kann zudem mit nicht weniger als 350 verschiedenen Vogelarten punkten.
Aber der Reihe nach: Mercedes in der Provinz Corrientes liegt östlich des gewaltigen Stroms Río Paraná, von Westen kommend ist man gehalten, den Fluss zu überqueren. Eine solche Flussquerung ist auf einer Strecke von etwa 550 Kilometern aber nur an drei Stellen möglich, in Santa Fe (südlich von Cayastá) und in Resistencia (nördlich von Cayastá) gibt es Brücken über den Río Paraná, in Reconquista, etwa auf gleicher Höhe wie Mercedes, lässt man sich per Autofähre über den Fluss tragen. Somit erscheint uns Reconquista als die ökonomischste Variante. Als wir den Ort am frühen Nachmittag erreichen, erhalten wir die Hiobsbotschaft, dass der Fährbetrieb wegen irgendetwas für einige Tage ausgesetzt wurde. Der Weg über Santa Fe, anfangs der kürzere, wäre nun länger…, was bleibt, ist die Fahrt nach Resistencia und dann entlang des Flusses wieder Richtung Süden, bis man irgendwann auf die RN 123 nach Mercedes gelangt.
Doch trotz der vielen Meilen ist die Fahrt recht kurzweilig, langsam kommen wir ins Gaucho-land, immer wieder sieht man die argentinischen Cowboys mit ihren Viehherden und in den Kanälen und im Buschwerk entlang der Straße tummeln sich Vögel, Echsen, Schlangen und anderes Getier. Mehr als einmal werden wir wegen unserer langsamen Fahrweise ausgehupt, aber schließlich sind wir gekommen, um etwas zu sehen!
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Mercedes ist eine kleine, nette, von der Viehwirtschaft geprägte Stadt in Zentral-Corrientes. Die Gauchos (argentinische Cowboys) mit ihren steifen schwarzen Bolero-Hüten, großen Gürtelschnallen und Ponchos sind allgegenwärtig, selbst im Supermarkt stehen sie brav in der Schlange an der Kasse. Der Volksheld Gauchito Gil erblickte hier das Licht der Welt und verschwand auch hier von dieser und Mercedes ist zudem Hauptzugangspunkt zum 120 Kilometer nordöstlich gelegenen Parque Esteros del Iberá.
Obgleich die RP 40 Richtung Colonia Pellegrini („Basislager“ des Parks) nicht geteert ist und wir ordentlich durchgeschüttelt werden, ist es eine der schönsten Touren in ganz Argentinien (! kein öffentlicher Transport). Auf mehr als 100 Kilometern entlang des sumpfigen Weidelandes sieht man Vögel aller Art, in den kleinen Kanälen erfrischen sich Wasserschweine und Sumpfhirsche, Schlangen und große Echsen kreuzen die Straße und bezahlen dieses Abenteuer oft mit ihrem Leben. Gegen Nachmittag erreichen wir den Campingplatz in Colonia Pellegrini und buchen gleich eine Bootsfahrt auf dem großen Lago Iberá.
Das Feuchtgebiet Iberá, das zweitgrößte in der Welt, besteht aus Seen und Lagunen, die sehr seicht sind und nur vom Regenwasser gespeist werden. Im Frischwasser gedeihen Wasserpflanzen, die sich zu schwimmenden Inseln verbinden und zahllosen Vogelarten und Reptilien (unter anderem Kaimane) Lebensraum bieten. Für Naturliebhaber ist der Park eine wahre Fundgrube, dass wir nur zwei Nächte bleiben, hat zwar auch etwas mit den Myriaden von Mücken zu tun, Hauptgrund ist, dass man schnell die paar Wanderwege abgelaufen hat und ein tieferes Eindringen in den Park nur mit einer Tour möglich ist und die meisten der guides nur wenig Englisch sprechen.
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Wer den Parque Esteros del Iberá von Norden besuchen oder verlassen will, kommt nicht um ein geländetaugliches Fahrzeug herum. Von Pellegrini bis zu einem Punkt, an dem die RP 40 in 90 Grad nach rechts abknickt, besteht die Straße aus einem Lehm-Sand-Gemisch, das bei Regen (und es regnet oft) fast unbefahrbar ist und auch bei Trockenheit kann man sich sehr gut festfahren. Als wir einmal steckenbleiben, läuft ein Mähnenwolf träge über die Straße und sieht uns mitleidig an.
Wir haben mit der RN 14 wieder Teer unter den Rädern und fahren weiter nordwärts. Kurz vor der Stadt Gobernador Ingeniero Valentín Virasoro (kein Witz, wir übernachten gar hier) geraten wir eher zufällig auf Argentiniens größte Yerba Maté-Tee-Plantage Las Marias. Auf wenigstens 7000 ha wird hier seit die Zutat für Argentiniens Nationalgetränk Nr. 1 angebaut. Wer Argentinien bereits bereist hat, wird es wissen: Jung und Alt, und zu jeder Tageszeit trägt der Argentinier seine Thermoskanne mit Heißwasser, einen ausgehöhlten Kürbis als Tasse (bzw. modernere Varianten) und die Bombilla, einen Metallstrohhalm, mit sich herum. Yerba Maté-Tee wird von früh bis spät getrunken und das Teilen des Tees mit Freunden und Bekannten gehört zum sozialen Leben.
Die sicherlich interessante Führung durch die Plantage und den Produktionsbetrieb müssen wir uns entgehen lassen, da heute nur spanische Führungen stattfinden.
Nur ein paar Kilometer hinter Virasoro beginnt die Provinz Misiones, bis zu den Iguazú-Wasserfällen sind es jetzt nur noch knapp 400 Kilometer auf direktem Weg. Da wir uns vorher noch die Jesuiten-Mission Santa María la Mayor ansehen und über Oberá und Dos de Mayo wieder auf die RN 12 Richtung Puerto Iguazú zurückkommen, verfahren wir ein paar zusätzliche Kilometer. Hier noch ein Tipp: die beiden Reservate Yaboti und Moconá im Osten von Misiones, die wenig vom Tourismus überlaufen sind und Wanderwege inmitten unberührter subtropischer Wälder bieten. Wir schaffen es zwar nicht bis dorthin, aber schon ab Santa María ist zu spüren, wie schön und ruhig der Osten von Misiones ist.
Zugegeben: Die Iguazú Wasserfälle sind wirklich beeindruckend, zum Teil 70-80 Meter hoch, Millionen von Kubikmetern Wasser, die über mehrere Etagen in die Tiefe donnern und das Ganze eingebettet in subtropischen Regenwald, sehr stimmungs- und geheimnisvoll. Allerdings: Besucher, wohin das Auge blickt, Gedränge und Geschiebe am Devil’s Throat-Katarakt und an den Shuttle-Eisenbahnen, ein Eintrittspreis, der ein großes Loch in die Reisekasse brennt und eine Atmosphäre wie auf dem Jahrmarkt…
So spektakulär und schön die Fälle sein mögen, am Ende des Tages ist man froh, dem Gewusel des Parks entronnen und wieder auf seinem Zimmer in der Herberge zu sein. Vielleicht sollten wir doch endlich umdenken, und der Natur die ihr zustehende Ruhe belassen. Wir werden keine Freunde des Massentourismus werden und bei vielen Menschen hat man doch den Eindruck, es geht um das Abhaken irgendwelcher Punkte auf irgendwelchen Reise-Wunschlisten. Na ja, aber jeder wohl so, wie er mag…
Übernachtung in:
Rio Cuarto: Hotel Familiar Malvinas, DZ incl. FS 600 AR$, günstig und direkt neben Tankstelle
Villa General Belgrano: Camping Veilchental, schöner Platz eines Schweizers, ruhig und sauber, 50 AR$
Córdoba: Cozy Apartment, Apartment mit Küche, 1250 AR$
Cayastá: Camping Complejo Punta Arena am Rio San Javier, 80 AR$, nett, aber moskitoverseucht
Empedrado: kleines Hostel kurz vor Ortseinangang an der RN 12, einfache DZ 400 AR$
Colonia Pellegrini: Camping Iberá, 50 AR$, schöner Platz direkt am See
Gobernador Virasoro: Hotel Ardais, einfache DZ 800 AR$
Puerto Esperanza: Hotel Brisas, einfaches DZ 1000 AR$
Puerto Iguazú : Casa Yaguarete B&B , nettes DZ in eigener Hütte 1000 AR$
Eintritt usw.:
Museo del Che Guevara – Eintritt 75 AR$
Estancia Jesuítica de Jesús María – Eintritt frei
Parque Esteros del Iberá – Eintritt frei, zweistündige Bootstour 300 AR$/p.P.
Establecimiento Las Marias – Eintritt frei, einstündige Führung 0 AR$
Parque Nacional Iguazú – Eintritt 600 AR$, Parkgebühr 100!!! AR$