Die Faszination der Wüste
Über den Paso de Jama im Nordwesten Argentiniens kehren wir nach Wochen der Abstinenz nach Chile zurück. Aus der argentinischen Hochwüste Puna ist mit dem Grenzübertritt die Atacama-Wüste geworden, obgleich der Staub und die Steine dieselben geblieben sind. Aber jedes Ding will seinen Namen und jedes Land einen solchen vergeben.
Die Ruta National 52 hat sich auf wundersame Weise in die 27-CH verwandelt und mit jedem Kilometer, den wir in Richtung Westen fahren, geht es höher hinauf und die Natur wird immer lebensfeindlicher. Die viel gebrauchten Vergleiche der Atacama-Wüste mit dem Aussehen der Mondoberfläche oder des Planeten Mars erscheinen auf einmal nicht mehr weit hergeholt und zur Realität geworden. Und doch: nur 15 Kilometer hinter der Passhöhe und auf 4200 Meter Höhe plantscht eine Handvoll Flamingos in den salzigen Wassern des Salar de Quisquiro. Ganz sicher sind wir uns nicht, aber wir glauben außerdem, in der Ferne die Überreste von mehreren Vicuñas, den kleineren und in den Hochanden lebenden Verwandten der Guanacos, ausmachen zu können. Wenig später drängt sich der Salar Aguas de Calientes ins Bild, in dessen Fluten kekskrümelgroße Wasservögel (in der Sommerzeit ziehen sich die Gewässer hier oben sehr weit zurück und unser Fernglas liegt daheim) ihre Kringel drehen…, lebensfeindlich ja, aber es gibt überall auf der Welt Lebewesen, die sich an schwierigste Bedingungen anpassen und sie zu ihrem Vorteil nutzen.
Reisekarte

Anden-Straße Ruta 27
Vulkankegel reiht sich an Vulkankegel, man glaubt, die Vulkane stehen hier für irgendetwas Schlange, und wenn auch uns und unserem Auto bei 4835 Metern Höhe langsam die Luft ausgeht, so sind wir einfach fasziniert ob der Kargheit, Wildheit und Unbezähmbarkeit dieser Landschaft.
Apropos „Luft ausgehen“: die Motorkontrollleuchte des Mitsubishi ist jetzt ein Dauerbrenner und bergauf zieht das Auto wie ein Greis einen Handkarren. Später wird sich herausstellen, dass der Mitsubishi-Dieselmotor an bauartbedingter „Höhenkrankheit“ leidet, ab 4000 Meter ü.d.M. muss man Abstriche an Leistung und Zuverlässigkeit machen!?! Bevor die Angst, in unserer jetzigen Höhenlage übernachten zu müssen, psychotisch wird, erreichen wir bei 4650 m Höhe den Abzweig zum Hito Cajón, der Passstraße nach Bolivien an der Südostflanke des Cerro Juriques (5704 m) und in Sichtweite des Vulkans Cerro Licancabur (5916 m).
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Norte Grande („Großer Norden“) ist eine der fünf Naturregionen Chiles. Er reicht von Peru im Norden über den Pazifischen Ozean im Westen und die Altiplano-Ebene Boliviens im Osten bis etwa zum Río Copiapó im Süden und gilt als eine der trockensten Regionen dieser Welt. In der Atacama-Wüste, einem Teil des Großen Nordens, gibt es Orte, an denen es noch nie Niederschlag gegeben hat. Während im Westen vereinzelt Vegetation zu sehen ist, die sich ihr Wasser über die Nebel über dem Meer oder tief hängende Wolken holt, ist die Mitte in Richtung der Anden regenlos, unfruchtbar und unwirtlich.
Der Osten liegt auf einer Durchschnittshöhe ab 3000 bis 4000 Meter, zahllose Vulkane prägen das Bild dieser Region ebenso wie große, flache Salzseen, die in den Sommermonaten durch erhebliche Niederschläge im bolivianischen Winter wieder aufgefüllt werden und Heimat einer Reihe von Vogelgattungen sind, darunter verschiedene Flamingo-Arten.
Und: Die Vorstellung, die wir gemeinhin von einer Wüste im Wortsinn haben, wird hier nicht bedient; statt gelber Sandberge beherrschen die spektakuläre Szenerie Hügel und Berge in allen Formen und Größen, deren verschiedenartige mineralischer Zusammensetzung zu einem verschwenderischen Feuerwerk an Farben führt, das je nach Blickwinkel und Tageszeit ständig variiert. Ein Fest für die Augen!
Die letzten Kilometer nach San Pedro de Atamaca rasen wir im Leerlauf bergab und erreichen den Ort am frühen Abend. Da zwischenzeitlich auch in Chile die Ferien begonnen haben, wird es nicht möglich sein, eine Unterkunft zu finden, sodass wir wieder einmal im Auto übernachten müssen. Auf der Suche nach einem Stellplatz in einem sandigen Flussbett spielt der 4×4-Antrieb unseres Automobils seine Stärken aus und rettet uns vor mühseliger Schaufelei. Die kommende Nacht wird es unter Begleitung eines infernalischen Gewitters stundenlang und äußerst heftig regnen und wir sind froh, das Zelt nicht aufgebaut zu haben.
San Pedro und die Atacama-Wüste sind es eigentlich wert, eine längere Zeit des Aufenthaltes einzuplanen, reichlich ist zu sehen und zu tun. Nach zwei Tagen ist für uns leider Schluss, zum einen fehlt nunmehr die Zeit (der Wagen ist bald in Santiago zu retournieren), Hotels und Nationalparks sind hoffnungslos überlaufen, der Motor des Mitsubishi tanzt nicht nach unserer Pfeife und die Heckklappe klappert wieder.
Das letztgenannte Problem lässt sich in Calama gegen Hergabe eines großen Haufens chilenischer Peso, die unser Vermieter in Santiago zähneknirschend erstatten wird, beheben. Das Herz wird schwer, als wir die Gegend um San Pedro und die zahllosen faszinierenden Nationalparks verlassen und während wir in Calama auf die Reparatur des Mitsubishi warten, durchfährt uns ein Ruck und wir beschließen, über Chiu Chiu zu den Geysiren El Tatio und von dort im Bogen nach San Pedro und in einen der Parks, Valle de la Luna oder Reserva Nacional Los Flamencos zu fahren.


Die Ruta 21 führt durch eine grelle, fast weiße Wüste, die in den Augen schmerzt. In einer gefährlichen Rechtskurve, bei Kilometer 35 liegt das kleine Dorf Chiu Chiu, dessen Hauptattraktion die Iglesia de San Francisco, eine Kirche aus dem 16. oder 18. Jahrhundert (Genaues weiß niemand) ist, die es immerhin geschafft hat, zum Nationaldenkmal in Chile zu avancieren. Kurz hinter Chiu liegt die fast kreisrunde und etwa 80 Meter tiefe Laguna Inca Coya, in der Jaques Cousteau dereinst abtauchte. Am Abzweig nach Aiquina geben wir dann auf: die Teerstraße wird sich in Schotterstraße verwandeln (schlecht für die Heckklappe), die Geysire sind dann doch nicht so toll und wenn wir an die vielen Menschen in San Pedro denken…, irgendwie haben wir darauf keine rechte Lust.
Und so geht es wieder zurück Richtung Süden, durch weite Windkraftanlagen-Felder und vorbei an Kupfer und Kali-Minen, bis wir an den Abzweig auf die Ruta 5 kommen, der mit fast 3500 Kilometern längsten Straße Chiles. Obgleich es durch eine der trockensten und ödesten Landschaften des Landes geht, so richtig langweilig wird es nie!

Etwa 50 Kilometer hinter María Elena an der Ruta 5 führt eine kleine Straße zu Oficina Pedro de Valdivia, ehemals eine Stadt mit 5000 Einwohnern, einem Sportplatz, Restaurants, einer Kirche und alles was zu einer Stadt eben so gehört. Gegründet wurde die Oficina 1936, nur 60 Jahre später verließ der letzte Einwohner den Ort und hinterließ eine Geisterstadt. Pedro de Valdivia, wie auch die berühmteren Anlagen Humberstone und Santa Laura (nahe Iquique) sind Orte, die im Salpeter“rausch“ aus dem Boden gestampft wurden. Ist der Taumel dann wieder vorbei und der Kopf klar, wird man wieder Mensch und lässt Dinge, die man nicht braucht, einfach in der Gegend liegen oder wirft sie weg. Immerhin haben wir so die Chance, die Beklommenheit, die von einer verlassenen Stadt ausgeht, auf uns einwirken zu lassen.
Über Antofagasta, unser nächstes Ziel und Übernachtungsort, können wir nicht viel sagen, eine Hafenstadt eben. Hinter Antofagasta wird die Landschaft wieder bergiger und wüstenähnlicher. Kurz vor dem Abzweig auf die B-70 verlassen wir die Hauptstraße und fahren in die Wüste hinein, um die Sandtauglichkeit unseres 4×4 auszutesten. Ergebnis: Geht so, zumindest bleiben wir nicht stecken. Bei Kilometer 1310 (Ruta 5) erhebt sich unversehens eine elf Meter hohe Hand mit gestreckten Fingern (Mano del Desierto) aus dem Sand, ein Werk des chilenischen Künstlers Mario Irarrázabal. Angeblich soll diese Plastik aus Stahl und Beton an die Verletzlichkeit und Hilflosigkeit des Menschen gemahnen…, sehenswert ist sie in jedem Fall… und nachdenklich macht sie auch.

Kurz vor der erwähnten „Mano“ besteht die Möglichkeit, auf der B-70 an die Westküste zu fahren. Die 75 Kilometer bis El Cobre sind eine Fahrt durch das Nichts, links, recht, vorne und hinten gibt es nur Stein, Staub und Sonne. Kurz bevor man an die herrliche und wilde Küste mit zum Teil schönen Stränden kommt, gibt es mehrere Kupferminen und hier kommen wir auf die Idee, uns die Mina San José anzusehen, doch dazu später mehr. Apropos schöne Strände: eigentlich wären sie perfekt, aber Umweltschutz scheint in Chile auch nicht gerade als primäres Ziel angesehen zu werden, viele Abschnitte des Küstenstreifens scheinen oft mit Mülldeponien verwechselt zu werden.
Gemütlich schaukeln wir auf der Ruta 1 entlang dem Pazifik bis in die kleine und adrette Hafenstadt Taltal mit einem Strand und so, kurz hinter Taltal geht es zurück auf die Ruta 5 und für 150 Kilometer durch die bergige Atacama-Wüste, die auf diesem Streckenabschnitt so ziemlich alles an Farben zeigt, was eine Wüste hergibt: weiß, schwarz rot und gelb… und über alledem: der blaue Himmel. Zwischen Taltal und der Hafenstadt Chañaral liegt der Nationalpark Pan de Azúcar, der besonders für seinen Artenreichtum in puncto Kakteen und marine Lebensformen bekannt ist. Chañaral selbst hat einen ganz interessanten Leuchtturm und ein paar schöne Strände, die aber zum Baden ungeeignet sind.
Von Chañaral führt die Ruta 5 nun entlang der Pazifik-Küste Richtung Süden, es geht durch einige kleinere Fischerdörfer (in Flamenco gibt es einen – wenn auch staubigen – Campingplatz) und bei KM 920 kann man in der Posada „La Ovallina“ eine recht ordentliche Fischsuppe essen. Bald ist Caldera erreicht, ebenfalls eine Hafenstadt, deren Hauptanziehungspunkt der schneeweiße Strand Bahía Inglesa ist.
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Nicht mehr lange wird es dauern und der „Große Norden“ Chiles liegt hinter uns. Vorher biegen wir indes von der Ruta 5 in Höhe Calderas auf die C-351 Richtung Osten ab, und erreichen nach etwa 50 Kilometern das Kupfer- und Goldbergwerk von San José. Am 5. August 2010 ereignete sich hier infolge eines Bergschlags ein Grubenunglück und schloss 33 Bergleute für mehrere Wochen in etwa 700 Meter Tiefe ein. Nach 69 Tagen gelang es, mit einer international viel beachteten Rettungsaktion alle eingeschlossenen Bergleute zu befreien.
Übernachtung in
Antofagasta: Check In Hotel (einfach, aber gut), DZ 21.000 CL$
El Chaltén: Refugio Chalten Hostel, DZ DZ 900 AR$
: Eintritt usw.:
Oficina Pedro de Valdivia – Eintritt frei
Mano del Desierto – Eintritt frei