Endlose Weiten


Vor uns liegen die gewaltige Strecke von fast 2000 Kilometern und eine Landschaft, die sich auffallend vom chilenischen Teil Patagoniens unterscheidet. Während im Westen üppiger Regenwald, zerklüftete und unwirtliche Küsten und endlose Gebirgszüge die Szenerie beherrschen, ist der zentrale argentinische Teil Patagoniens geprägt von unermesslicher Steppenlandschaft, die mit dem Horizont verschmilzt, die Küsten im Osten sind sandig und strandig und bieten marinem Leben eine Heimat, während der Osten mit tiefblauen Seen, riesigen Wäldern und schneebedeckten Gipfeln als Hintergrundkulisse aufwartet und ein wenig an Österreich oder die Schweiz erinnert.
Wir fragen uns, wie es weitergehen soll und etwas ratlos stehen wir in Río Gallegos herum und schaffen es zudem trotz (oder wegen?) unserer Spanisch-Kenntnisse auf Anfängerniveau nicht, eine Straßenkarte von Argentinien zu erwerben. Na ja, erst einmal Richtung Norden, wie? Wir fahren auf die RN 3 und sind schon bald entsetzt, als auf einem Straßenschild die Entfernung nach Buenos Aires mit 2550 Kilometern angegeben wird… Nicht darüber nachdenken und die Strategie der kleinen Schritte anwenden.

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Seit zwei Stunden fahren wir durch staubiges, mit Gras bewachsenes Flachland, hier und dort eine Herde Guanacos oder ein Schrein von Gauchito Gil am Straßenrand, kleine Seen und Tümpel mit Flamingos und anderen Wasservögeln…, und kurz vor der kleinen Ortschaft Puerto Santa Cruz ein Abzweig zum Nationalpark Monte León. 600 km² patagonische Steppe und etwa 40 km Küstenlinie mit Felsformationen und Sandsteinklippen prägen das Bild dieses Parks. Unfruchtbar ist die Steppe keineswegs, Calafate-Sträucher, wilder Thymian und viele Blumen beleben das Gebiet nach den kalten Wintern, Pinguine, Kormorane, Seelöwen, Wale, Pumas und Guanacos teilen sich den Park als ihr Zuhause. Besonders interessant ist der eineinhalbstündige Pinguin-Wander(lehr)pfad quer durch die Steppe zu einer Aussichtsplattform, von der man einen Blick auf 75.000 Paare zählende Kolonie der Magellan-Pinguine hat, die aber auch am Wegesrand brüten und gut zu beobachten sind. Fährt man mit dem Auto zum Kliff Cabeza de León (Löwenkopf), führt ein 20-minütiger Marsch zu einer Seelöwen-Kolonie, die aber nur durch das Fernglas gut erkennbar ist.
Auf Zick-Zack-Kurs zwischen Landesinnere und Meer führt uns die RN 3 nach Puerto San Julián am Atlantischen Ozean. Der freundliche, aber unscheinbare Ort kann mit „großer“ Geschichte aufwarten, hat doch kein Geringerer als Magellan hier überwintert und erstmalig den Fuß auf patagonischen Boden gesetzt. Grund genug, eine Replik seines Schiffs „Victoria“ im Hafen aufzustellen. Ein Besuch des Fremdenverkehrsbüros am Busbahnhof lohnt sich, um sich über die Attraktionen in der Umgebung (etwa Touren zu Pinguin-Kolonien oder Commerson-Delfin-Watching) zu informieren. Und wem die RN 3 zu langweilig wird: eine holperige Schotterpiste führt für knapp 30 Kilometer entlang der Küste mit schöner Aussicht auf den Atlantik und Gelegenheit zur Vogelbeobachtung.

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Verlässt man die RN 3 bei Kilometer 2074 und fährt für etwa 50 Kilometer durch eine Mondlandschaft auf der recht guten Schotterstraße RP 49, gelangt man zum Monumento Natural Bosques Petrificados. Vor 150 Millionen Jahren stand hier ein riesiger Araukarien-Wald, der durch Vulkanausbrüche und Ascheregen vernichtet wurde, aber viele der Bäume zu Stein werden ließ. Auf El Gerosito / Caleta OliviaEl Gerositoeinem Rundkurs kann man sich die weltgrößte Ansammlung der versteinerten Zeugen einer längst vergangenen Welt ansehen. Viele der Bäume wurden schon von Touristen zerpflückt, sodass es heute strengstens untersagt ist, Souvenirs mitzunehmen.
Bevor sich die Sonne auf die Seite legt, sind wir in Caleta Olivia, einer Erdöl-Industriestadt am Atlantik mit dem Charme einer Erdöl-Industriestadt… Der einzige Campingplatz liegt neben einer Mülldeponie und Plastiktüten fliegen uns um die Ohren wie Kirschblütenblätter im späten Frühling in Tokyo. Dann doch lieber Hotel. Sehenswert in Caleta ist El Gorosito, eine riesige Statue eines Erdölarbeiters, der in der untergehenden Sonne golden glänzt.
Es geht zurück auf die RN 3, die nächsten Ortschaften sind geprägt von Fischerei oder Ölförderung und kurz hinter Comodoro Rivadavia gibt es eine Polizeisperre (nicht selten in Argentinien, wichtig ist, mit Abblendlicht zu fahren, sonst gibt es Knöllchen) und den Abzweig auf die RP 1. Diese ist zwar Schotterstraße, verläuft aber entlang der Küste und an der schönen Estancia Bahia Bustamante vorbei bis Camarones. Dieser Ort erscheint auf den ersten Blick wie eine Geisterstadt, nur vereinzelt schlurft wer über die Sträßchen und ist auch sofort wieder weg, die Strände sind leergefegt, auf dem Campingplatz bekommt man immer eine Stellmöglichkeit und 25 Kilometer südlich von Camarones liegt die Pinguin-Kolonie Cabo Dos Bahías, die nicht so groß ist wie im weiter nördlich liegenden Punta Tombo, dafür aber auch nicht so überlaufen ist. Und die Fahrt dorthin – Schotterstraße – ist schön, Guanacos weiden in den Hügeln und Füchse und ñandús (Rhea), Seevögel und Seelöwen sind neben einer ansehnlichen Pinguin-Kolonie zu sehen.

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Noch während wir den Pinguinen bei der Erziehung ihrer Kleinen zusehen, verabschieden wir uns von der Idee, nach Buenos Aires zu fahren. Keiner von uns hat Lust auf eine wimmelige Großstadt und wir haben es wieder einmal schätzen gelernt, am Busen der Natur zu sein.
Nur wenig hinter Camarones zweigt die RP 31 von der RN 3 und 80 Kilometer geht es auf gepflegter Schotterstraße Richtung Villa Dique Florentino Ameghino am Río Chubut. Ein schönes Stück Natur in einer Art Canyon, dem auch der Bau des Florentino Ameghino-Damms keinen Abbruch tut. Die Ecke ist so idyllisch, dass es hier gleich drei Campingplätze gibt, die allerdings rammelvoll mit argentinischen Wochenendlern sind, die hier lauthals Fiesta feiern. Ein erster Vorgeschmack auf die beginnende Ferienzeit, wir machen uns lieber aus dem Staub.
Bald gelangen wir auf die Ost-West-Tangente RN 25, und es wird westwärts gefahren, bis die Sonne verschwindet. Glücklicherweise finden wir in der kleinen Siedlung Las Plumas ein Hotel, dürfen wählen zwischen „Luxus“-Doppelzimmer in plüschigem Blau oder Vier-Wände-und-ein-Bett und da die Preisdifferenz nicht sehr hoch ist, kuscheln wir uns alsbald in azurblaue Kunstseide ein.
Die Ruta 25 folgt auf einer Strecke von fast 140 Kilometern dem Lauf des Río Chubut und führt durch das Los Altares Valley (Valle de los Altares). Es handelt sich dabei um ein wüstenähnliches Tal, das von Sandsteinformationen, sog. „clastros“ umschlossen ist. Diese Formationen bestehen aus mehreren – durch Korrosion und Erosion entstandenen – rötlichen Schichten, die steil nach oben gehen und an Altäre erinnern (sollen). Amerika-Reisende finden hier vielleicht Vergleichbares.

Los Altares Valley
Los Altares Valley
Chubut River / Los Altares Valley
Chubut River / Los Altares Valley

Noch liegt ein großer Haufen Kilometer vor uns und erst am frühen Nachmittag erreichen wir die kleine Stadt Esquel, die in einem grünen Gebirgstal im Westen der Provinz Chubut ruht. Esquel erinnert ein wenig an einen der behäbigen Orte in den europäischen Alpen mit einer Fülle an möglichen Outdooraktivitäten. Außer Mountainbiking, Skilaufen (La Hoya), Wandern und Bergsteigen, laden schöne Bergseen zu eiskaltem Bade und es gibt auch ein wenig Kultur und Geschichte in Form von Museen (ein kleines, interessantes Tehuelches-Museum etwa 20 km östlich), einer Fahrt mit dem Patagonien-Express La Roca…, na ja, und mehr.
Esquel ist aber für viele – auch für uns – vor allem Drehkreuz für den nahe liegenden Parque Nacional Los Alerces, der Hauptsehenswürdigkeit in dieser Region.
Der Nationalpark Los Alerces, seit 2016 UNESCO-Weltnaturerbe, ist eine durch Gletscher geformte Landschaft mit Gletscherkaren, Moränen, und Klarwasser-Seen. Dichte Wälder gehen in alpine Wiesen über und schneebedeckte Andengipfel bilden den krönenden Abschluss. Die wirkliche Attraktion ist aber der gefährdete und unverwechselbare Alerce-Wald. Der Alerce-Baum ist mit mehr als 3600 Jahren die zweitälteste lebende Baumart der Welt. Neben ausgedehnten Wanderungen im Park sind Segeln und Kanufahren, Fischen und Mountainbiking die Aktivitäten erster Wahl.
Und doch bleiben wir nur eine Nacht. Hiking ist wegen des vor zwei Monaten operierten Knies noch nicht drin und zudem treibt uns ein Umstand schnell wieder aus dem Park: der Massentourismus, mit all seinem Wohl und Wehe. In Argentinien ist jetzt Hauptferienzeit und das ganze Land scheint sich im Park versammeln zu wollen (später, in Bariloche wird es noch schlimmer). Auf den Campingplätzen steht – ohne Zwischenraum – Zelt an Zelt, unzählige Grills rösten fingerdicke Steaks und machen die Luft geradezu fettig. Auf der Schotterpiste rund um die Seen stauen sich die Automobile und der Himmel verdunkelt sich in Wolken aus Staub und Abgas. Und das Schlimmste (und Peinlichste): Wir sind ein Teil des Ganzen!
Am nächsten Morgen suchen wir die Ruta 40 und machen uns auf den Weg in den Norden.

Ein paar Details

: Entfernung Río Gallegos – Parque Nacinal Los Alerces: ca. 1755 km
:Übernachtung in:
Comandante Luis Piedra Buena – „Hoteles Río Santa Cruz“ – DZ 900 AR$ incl. Frühstück
Caleta Olivia – „Capri Hotel“ 2-Sterne-Hotel, Frühstück extra, Parkmöglichkeit im Hof, DZ 850 AR$
Villa Punta Delgada – Hostal San Gregorio, DZ 32.000 CL$ incl. Frühstück, gutes Restaurant
Las Plumas – „Hotel El Viejo“ – DZ 750 AR$ incl. „knuspriges“ Frühstück
: Eintritt usw.:
Parque Nacional Monte León – (noch) frei
Monumento Natural Bosques Petrificados – Eintritt frei; Achtung: es gibt keinen öffentlichen Transport zum Park
Cabo Dos Bahías – 50 AR$ (Punta Tombo 180 AR$)
Nationalpark Los Alerces – 300 AR$
: Land-/Straßenkarten gibt es außerhalb der großen Städte Argentiniens allenfalls (und mit Glück) an Tankstellen; besser eine Karte von zu Hause mitbringen

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