Fernstraße mit Kult-Charakter


Mit entrücktem Blick sprechen die Argentinier von ihrer „La Cuarenta“ („Die 40“) und nicht wenige versuchen, ihren Traum, die Fernstraße, die den Ruf als eine der wildesten und am wenigsten befahrenen Straßen der Welt hat, von Norden nach Süden (oder vice versa) – wenigstens etappenweise – zu verwirklichen. Schon Ernesto „Che“ Guevara bereiste einen Großteil der Ruta 40 mit seinem Motorrad, hielt seine Erlebnisse in seinen berühmten Tagebüchern fest und setzte der Straße spätestens jetzt ein Denkmal. Die sentimentale Bedeutung der Straße für die Einheimischen manifestiert sich denn auch in ganz profanen Dingen, viele Hotels am Wegesrand tragen den Namen „Ruta 40“, es gibt Kaffeebecher und Aufkleber mit dem Logo der Straße und oft genug sehen wir unterwegs, dass Autos, Motor- oder Fahrräder stoppen, um ein Bild von sich und einem Ruta-40-Straßenschild zu schießen. Und Hand aufs Herz: auch wir können uns bald nicht mehr dem Zauber dieser nationalen Legende entziehen.
Mit über 5000 Kilometern Länge gehört die Ruta Nacional 40 (RN 40) zu einer der längsten Fernstraßen der Welt und ist international als klassischer Road Trip, vergleichbar mit der Route 66 in den USA, bekannt. Sie beginnt an der bolivianischen Grenze und verläuft parallel zu den Anden durch das Herz Patagoniens, vorbei an verschneiten Hochgebirgsketten, Gletschern und riesigen alpinen Seen und einzigartigen Waldlandschaften bis nach Puerto Natales (Chile) und zur Spitze Südamerikas.
Streckenverlauf RN 40
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Je länger wir im Land sind und unsere Reisepläne schmieden, umso mehr wird uns bewusst, dass man die Ruta 40 getrost als das Rückgrat Argentiniens bezeichnen kann und die auf ihrem langen und manchmal beschwerlichen Weg 18 wichtige Flüsse und 20 Nationalparks und Naturschutzgebiete quert und nicht weniger als 11 Provinzen verbindet. 1935 nahm dieser Mythos Ruta 40 bei Chos Malal
Ruta 40 bei Chos Malal
in Mendoza seinen Anfang und führt heute durch die unterschiedlichsten Klima- und Kulturzonen entlang der Anden zu zahllosen hochkarätigen Attraktionen hin.
Schon bald ist der schöne, aber staubige Los Alerces-Nationalpark nur noch eine Erinnerung und spätestens seit der kleinen Ortschaft El Bolsón sind wir wieder auf der Ruta 40. Unser nächstes Ziel ist das etwa 120 Kilometer nördlich gelegene San Carlos de Bariloche und der vielgerühmte Lake District. Tatsächlich ist diese Region ein echtes argentinisches Highlight, mit unzähligen kristallklaren Seen zwischen schneebedeckten Anden-Gipfeln, Postkarten-Ortschaften mit riesigen Wäldern im Hinterhof laden zum Nachmittagstee und das Freizeitangebot ist unüberschaubar. Schattenseite der landschaftlichen Schönheit: während der argentinischen Sommerferien ist die Gegend hoffnungslos überlaufen, der Verkehr staut sich über Kilometer, die Unterkünfte sind ausgebucht oder völlig überteuert und an den Tankstellen gehören Wartezeiten von Stunden zur Normalität. Und natürlich gibt es kaum einen Platz, an dem man wirklich allein ist und die Szenerie in Ruhe genießen kann. Vielleicht sind wir zu zimperlich, aber ein wenig anders haben wir uns das in unserer Einfalt schon vorgestellt. Was bleibt, ist eine Fahrt entlang des schönen und riesigen Nahuel Huapi-Sees auf der fruchtlosen Suche nach einem Schlafplatz (selbst das Parken wird in Bariloche zu einer Herausforderung) und auch außerhalb Bariloches hören wir als Antwort auf die Frage nach einem Zimmer oder Zeltplatz immer „está ocupado“ (= alles belegt).

Ruta 40 – Impressionen


Am westlichen Ende des Nahuel Huapi-Sees macht die Ruta 40 einen rasanten Knick nach links. Glauben wir wenigstens, denn die Ruta 40 ist hier etwas trübes Flickwerk. So fährt man bis Angostura auf der ehemaligen Ruta 231 und bis San Martin (weiter im Norden) auf der Ruta 234, die dann wieder in die (eigentliche) Ruta 40 mündet. Die Hintergründe für diese Zahlenspielereien sind etwas undurchsichtig, aber wir hören, Ziel des argentinischen Tourismus-Ministeriums war es, eine geteerte RN 40 für den Tourismus zu schaffen. Dafür erhielten die Provinzen Geld aus Buenos Aires, einige Provinzen gaben es für die Instandhaltung/-setzung der Straße aus, in anderen Provinzen verschwand das Geld und bereits geteerte Straßen wurden kurzerhand in RN 40 umbenannt. Ob diese Behauptung wahr ist…, wer weiß, jedenfalls sollte man in dieser Gegend ein wenig achtgeben, nicht alle Straßenkarten (weder Papier noch digital) sind auf dem neuesten Stand.
Wie auch immer: Entlang des Nahuel Huapi-Sees geht es bis nach Villa La Angostura, ein Kurort der etwas gehobeneren Klasse und Eingang zum nahen Skigebiet Cerro Bayo, vorbei an den Seen Espejo und Correntoso. Von einem Abstecher in das schöne Örtchen Villa Traful am gleichnamigen See sehen wir ab, selbst unser Reiseführer warnt vor den Ferienmonaten Januar und Februar. Bevor die Sonne ganz untergeht, finden wir einen Campingplatz am Lago XXX und bleiben dort für zwei Nächte, da der Platz ruhig und die Natur schön ist.

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In San Martin de Los Andes, einem kleinen attraktiven Ort am Lago Lácar und dem Tor zum Parque Nacional Lanín in dessen Zentrum der fast 4000 Meter hohe Vulkan Lanín steht, endet schließlich die berühmte „Ruta de Los Siete Lagos“ (Route der sieben Seen) und ein wenig sind wir froh, dem Trubel entwichen zu sein. Denn sobald man wieder auf der „echten“ Ruta 40 ist, ändert sich das Gefilde schlagartig, die dichten immergrünen Wälder weichen Graslandschaften und bald taucht in der Ferne Zapala auf, ein bescheidenes kleines Örtchen, in dem die Einwohner mit sich selbst zufrieden sind und es in einem Steak-Haus kein Steak gibt. Interessant für Reisende ist Zapala allenfalls als Bus-Stop in Richtung Norden oder als Ausgangspunkt für den vogelreichen Nationalpark Laguna Blanca. Oder wenn man einfach nur duschen, essen und übernachten will.
Je weiter man auf der Ruta 40 in den Norden fährt, umso nackter und wüstenähnlicher präsentiert sich die Natur. Ab und an wird das Einerlei aus Stein und Sand unterbrochen durch kleinere oasengleiche Ortschaften, die durchaus ein etwas wildromantisches Flair versprühen. In Chos Malal, einer solchen Oase ca. 200 Kilometer hinter Zapala, kann man gut Pizza essen und den Zusammenfluss von Río Neuquén und Río Curi Leivú „bestaunen“, weiter nördlich wird die Wüstenlandschaft immer wilder, Namen windgepeitschter Dörfchen wie Buta Ranquil, Barrancas oder Ranqil Norte rauschen am Autofenster vorbei und jetzt begegnen uns kaum noch Autos auf der Straße. Kurz hinter Barrancas wird es richtig einsam und wir überlegen, was im Falle einer Autopanne zu tun wäre. Die Gegend hingegen ist wirklich spektakulär, wir sind umgeben von Bergen, die durch Mineralablagerungen in allen Farben leuchten, Vulkan reiht sich an Vulkan und dass die Teerdecke in Schotterpiste übergeht, macht das Ganze nur noch abenteuerlicher. Etwa 60 Kilometer vor Malargüe, in der Höhe der Ortschaft Bardas Blancas (in der es einen versteinerten Wald und eine Hexenhöhle gibt) am Río Grande geht es zurück auf die Teerstraße und in die Provinz Mendoza. Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich Malargüe.

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Malargüe hinterlässt einen recht verträumten Eindruck, in der Hauptsache verdienen die Leute ihr Geld mit Landwirtschaft, im Winter wird die Stadt zum Ausgangspunkt zu Fahrten in das Skigebiet Las Leñas. Durch das Pierre Auger Observatory kommen ab und an Europäer in die Stadt, 100 Kilometer nordwestlich stürzte 1972 der Uruguayan Air Force-Flug 571 in den Anden ab, die Überlebenden des Absturzes aßen in ihrer Verzweiflung die toten Mitreisenden auf, bevor sie 72 Tage später gerettet wurden.
Noch etwa 350 Kilometer sind es bis nach Mendoza, die Hauptstadt der Provinz Mendoza, von der wir so viel gehört haben. Wenn man anfangs noch entlang der Anden fährt und linker Hand einen schönen Blick auf die Schneegipfel hat, wird es im weiteren Verlauf ein wenig flach und eintönig und je näher wir Mendoza kommen , umso mehr nimmt der Verkehr zu.
Die Wüstenstadt Mendoza gehört (u.a. neben Mainz, Porto und Bordeaux) zu den neun großen Weinhauptstädten dieser Welt. Zu den Hauptattraktionen gehören daher auch mehrere Hundert Weingüter, auf den man sich bei Touren durch exzellente Produkte schlürfen kann. Wem das nicht gefällt, der Mt. Aconcagua ist nicht weit und andere Anden-Abenteuer wie Skilaufen, Rafting oder Thermalbäder stehen auf der Angebotsliste der lokalen Reiseveranstalter. Die Stadt selbst ist sehr weltbürgerlich, auf den großen Plazas treffen sich des Abends in den Restaurants, Bars und Cafés Alt und Jung und genießen das Leben. Ist man hingegen kein Wein-Afficionado und hat auch nicht genug Geld in der Reisekasse für teure Ausflüge oder Restaurants, dann ist Mendoza – so unsere Meinung – eine Stadt, die man auch gerne nach zwei Übernachtungen wieder verlassen kann.

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Wir kehren nicht nur Mendoza, sondern auch der Ruta 40 für eine Zeitlang den Rücken und machen uns auf den Weg in den Nordwesten Argentiniens, da wir zwischenzeitlich davon überzeugt sind, es bis zu den Iguazú-Wasserfällen zu schaffen. Die Ruta 40 hat uns jedenfalls mit ihren offensichtlichen und versteckten Highlights in ihren Bann geschlagen und wer weiß, vielleicht schaffen wir es eines Tages doch, das „Ruta 40-Erlebnis“ in seiner Gänze zu erfahren!

Abschließend ein paar Tipps
  • Die Route von Río Gallegos im Süden bis nach Puna in der Provinz Jujuy ist etwa 5200 Kilometer lang und führt durch verschiedene Klimazonen, Regionen und Höhenlagen, bei der Planung beachten.
  • Der höchste Punkt der Ruta 40 ist bei Abra del Acay, die Straße führt hier in eine Höhe von 4.972 Metern. Hier sind Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Höhenkrankheit zu beachten und bei der Planung zu berücksichtigen.
  • Zwar ist ein großer Teil der Ruta 40 bereits geteert, es gibt aber noch große Schotterpisten-Abschnitte. Ein 4×4-Geländewagen ist zwar auch hier kein Muss (Ausnahme: Abra del Acay im Winter), erleichtert aber das Vorankommen ungemein.
  • Die Distanzen zwischen den Siedlungen sind oft sehr groß, daher ist es ratsam, sowohl Trinkwasser als auch Wasser für die Motorkühlung in ausreichendem Maße mitzunehmen. Ein wenig Werkzeug in der Kiste und rudimentäre Kenntnisse über Fahrzeugreparatur können sich als Glücksfall erweisen.
  • In den Hochlagen im Norden kann es auch im Sommer (Dezember-März) richtig kalt werden, entsprechende Kleidung sollte im Gepäck sein. Darüber hinaus auch der übliche Kram fürs Hochgebirge, sprich: Hut, Sonnenbrille und -creme.
  • Karten: In Zeiten von App und Navi nicht mehr so wichtig, zudem ist es recht schwierig, sich zu verfahren, da die Ruta 40 gut beschildert ist. Ansonsten: Karten an argentinischen Tankstellen kaufen oder von Daheim mitbringen.
  • Fotoapparat nicht vergessen, es gibt so viel zu sehen!
Ein paar Details

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