Die Luft wird dünner
Zum Vergrößern, bitte Karte anklickenIn Shangri-La bekommt man auch am frühen Morgen ein Taxi und so müssen wir drei Kilometer bis zum Busbahnhof nicht mit vollem Gepäck laufen. Wir sind bereits um 6.30 Uhr am Ticketschalter und keine 10 Minuten später können wir unsere nummerierten Plätze in einem etwas betagten Omnibus einnehmen. Wenn wir jedoch glaubten, die Fahrt begänne gemäß dem Fahrplan, so sehen wir uns getäuscht. Das Vehikel steht schon an der Schranke und wartet auf das OK irgendeines unersetzlichen Amtlichen, als der Motor mit einem markerschütternden Geräusch erstirbt und eine halbe Stunde nichts passiert, abgesehen vom wilden Durcheinander-Reden aller Fahrzeuginsassen. Es ist auch nicht herauszuhören, wo das Problem liegt, Leute steigen ein und wieder aus und wieder ein, es wird lebhaft gestikuliert und noch lebhafter diskutiert…, wer hört hier eigentlich wem zu?
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Gegen 8 Uhr ist es dann aber so weit, die Schranke hebt sich und wir verlassen den Bahnhof. Alles scheint gut. Die ersten Meter geht es auf gut geteerter Straße dahin und sobald die Grenzen der Ortschaft überschritten sind, erfolgt ein Wechsel der Fahrbahnoberfläche von Teer nach Schotter (durchsetzt mit Schlaglöchern). Angesichts vor uns stehender acht Stunden Fahrzeit schwant uns Fürchterliches, die Fenster des Busses sind nämlich nicht dicht und klappern wie wild in den Führungsschienen, die Sitze sind natürlich durchgesessen und Abstand zum Vordersitz ist auch kaum vorhanden. Na ja,… Aber es kommt erst einmal nicht so arg wie gedacht, die Schotterstraße ist in Abschnitten immer wieder von Teer-Teilstücken durchsetzt und so geht es eigentlich recht flott vorwärts.
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Zwangspause in QuweizhongNach etwa 2 Stunden Fahrt, es wird etwa in Höhe des Dorfes Quweizhong sein, gibt es die erste Unterbrechung, da ein Erdrutsch die Baustelle der neuen Brücke über den Wengshui-Fluss blockiert oder ein LKW hat ein technisches Problem oder beides,… oder ein Drittes. Wir stehen jedenfalls erst einmal, verrichten diverse Geschäfte, schauen schlau aus der Wäsche und sehen zu, wie ein gewiefter chinesischer Bagger-Fahrer mit seinem Bagger etwaige Probleme beseitigt.
Aber wenn wir glauben, es wird bei dieser einen Störung bleiben, werden wir uns tief geschnitten haben. Nach der Brücke wird die Straße besser, es geht durch kleine, aber uninteressante Dörfer und bald ächzt der Bus die Serpentinen hinauf in die Hengduan Bergkette (den genauen Namen dieses Teils des Hengduan haben wir vergessen und konnten es bei Google in China auch nicht nachvollziehen, weil…, na ja, das ist dann mal ein anderes Thema.).
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Die Höhenmesser-App unseres chinesischen Vordermanns zeigt gerade 4495 Meter an, der Busfahrer wechselt mit Gewalt in einen kleineren Gang, und das war es dann erst einmal mit Busfahren. Wir stecken fest, das Getriebe scheint im Eimer zu sein und draußen schneit es zur Freude aller wie toll. Wie es der Zufall will, sitzt im Bus ein Mann im halbfeinen Zwirn, der sich mit Getrieben auszukennen scheint. (Sabine meint später, dieser Mann sei in Shangri-La eigens herbeigekarrt worden, als ob die Busgesellschaft schon etwas ahnte; daher auch der verspätete Aufbruch.) Wie dem auch sei, der Mechaniker im Nadelstreifen-Drillich öffnet eine Klappe im Businnern, in der er dann für eine längere Zeit hälftig verschwindet. Bisweilen hört man ihn wie einen Chirurgen nach Werkzeugen rufen, unsere Mitfahrer werden bereits nervös, denn die Luft hier oben ist schon recht dünn und nicht alle Insassen sind höhengewöhnte Tibeter. Auch wenn es dauert, der Mechaniker versteht sein Handwerk und nach knapp einer Stunde Zwangspause kann es weitergehen. Bei Höhenmeter 4629 haben wir den Pass erreicht, der zudem die Grenze der Provinzen Yunnan und Sichuan bildet. Der Busfahrer ist zu Recht besorgt, daher gibt es am Pass auch keinen Foto-Stopp, es wird ausgekuppelt (Ob dies ein probates Mittel ist? Ein sicheres in jedem Fall nicht.) und wir rollen mit lautem Hurra in die Niederungen der Hochberge. Es geht noch knapp 2 Stunden über Stock und Stein, aber die Sonne kommt heraus und taucht die Berge und die jetzt schönen tibetischen Dörfer in ein warmes Nachmittagslicht. Ein paar Kilometer vor Ranwuxian – wir sind jetzt schon 9 Stunden unterwegs und ziemlich durchgeschüttelt – geht es zurück auf die Teerstraße, in Ranwuxian ist dann aber auch das Ende der Fahnenstange erreicht. In einer Haarnadelkurve muss der Fahrer herunterschalten, und das ist dann das Letzte, was er für heute tut, der Bus ist entzwei. Im Zeitalter mobiler Telefone ist jedoch schnell Hilfe herbeigeordert, diese kommt dann zwar nicht ganz so schnell, aber wir schaffen es immerhin bis 18 Uhr nach Xiangcheng (chin. 乡城县). Viele Reisende, die auf dem Weg nach Litang, Kangding oder Daocheng sind, unterbrechen ihre Fahrt oft in diesem Ort. Xiangcheng ist nämlich ein netter Flecken und man kann hier gerne ein paar Tage verweilen, um die schönen Dörfer mit ihren festungsartigen Würfelhäusern inmitten von Weizenfeldern oder die Berge in der Umgebung zu erkunden.
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Der neue Bus, der uns nach Xiangcheng bringt, fährt auch nicht weiter (vielleicht ist es ihm zu spät oder er ist müde), aber Chinesen wären keine Chinesen, wenn sie nicht organisieren könnten. Für die verbliebenen Passagiere, die in Shangri-La eine Weiterfahrt nach Daocheng buchten, werden kurzerhand PKWs requiriert und im Konvoi werden die letzten 120 Kilometer bis nach Daocheng zurückgelegt. Leider ist von der schönen Landschaft mit ein oder zwei 4000er-Pässen nicht mehr viel zu sehen, da die Sonne sich mittlerweile verabschiedet hat. Gegen halb zehn, jetzt sind wir fast 15 Stunden für insgesamt 310 Kilometer unterwegs, erreichen wir Daocheng und werden auf der Hauptstraße trotz guter Führung entlassen. Wir haben keine Unterkunft vorgebucht (kommt vor) und niemand weiß, wo die Jugendherberge im Ort ist (am nächsten Tag ist es plötzlich bekannt…) und so betreten wir das erstbeste Hotel und zahlen 150 Yuan für eine Doppel-Räucherkammer mit lauwarmer Heizdecke. Letztere sind um diese Zeit wichtig, da die Temperaturen in der Nacht und am frühen Morgen noch um 0 Grad Celsius sind und Häuser in dieser Gegend über keine Heizung verfügen. Klimaanlagen hingegen sind zu teuer bzw. verbraten sie zu viel kostbare Energie. Daocheng liegt auf einer Höhe von 3750m, der Ort selbst hat außer einer kleinen „Fußgängerzone“ nicht viel zu bieten, interessant ist allenfalls das bergige Umland nebst tibetischen Dörfern. Wir werden uns hier auch nicht lange aufhalten, sondern stapfen sogleich zur Jugendherberge, da wir uns noch nicht sicher sind, ob und wie wir heute nach Yading weiterkommen. Die Leute in der Herberge sind aber sehr hilfsbereit und wenig später sprechen wir mit einem Fahrer, der uns für 100 Yuan die 100 Kilometer bis nach Yading fährt, ein echtes Schnäppchen! Und: es kann sofort losgehen!
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Die Fahrt ist sehr kurzweilig. Sobald die Grenzen Daochengs überschritten sind, geht es lustig in Serpentinen bergan, links und rechts des Wegs knattern unzählige Gebetsfahnen, nach etwa 10 Kilometern folgt das erste Kloster an den Hängen der Buwa-Berge. Das Rewu-Kloster (热乌寺) teilen sich die Sakyapa- und Kagyupa-Schulen, die wiederum den tibetischen Rotmützen angehören. Wenig später passieren wir den Buwa-Mountain-Pass (4513m) und es geht wieder bergab durch zahlreiche kleine tibetische Ortschaften. Bei Kilometer 61 besuchen wir das Gongga Langji Ling-Kloster (贡嘎朗吉岭寺) im Dorf Zhala. Das fast 500 Jahre alte Kloster ist das größte der Region Daocheng und gehört der Gelupka-Sekte an. Darüber hinaus ist es ein schönes Kloster, der Duft der Räucherstäbchen zieht durch den Innenhof und die Mönche bewegen sich hier in einem Tempo, als gäbe es Wichtigeres, irgendetwas eilig zu erledigen. Zwanzig Minuten später erreichen wir Xiangelila (香格里拉 = Shangri-La)…, doch Moment mal, da waren wir erst gestern … Na ja, eigentlich gibt es (mindestens) zwei Shangri-Las, eins in Yunnan, eins in Sichuan und jedes reklamiert für sich, das „wahre“ zu sein, wären da nicht noch Yading und Muli, die wahrscheinlich in naher Zukunft ihre Ansprüche anmelden werden. Am Ende des Ortes, die Fahrer aus Daocheng laden die Touristen hier ungefragt ab, steht natürlich eine Ticketbude, die Fahrt nach Yading und der Besuch der „Daocheng Yading Scenic Area“ sind – selbstredend – nicht umsonst. Allerdings ist das Ticket unbegrenzt gültig (solange man in diesem Gebiet bleibt) und im Preis ist die Nutzung des Shuttle-Busses nach Yading-Dorf und von diesem zum Park enthalten. Wir entlohnen unseren Fahrer, kaufen unsere Billetts und steigen in den Bus zum „Sitz der Götter“.
Manchmal fragt man sich, ob man nicht lieber etwas mehr Geld investieren und dafür mit mehr Annehmlichkeiten fahren sollte. Für eine Jeeptour von Shangri-La nach Daocheng wird man schon ¥1000 (Stand 2015) hinblättern müssen, teilt man sich die Fahrt mit Freunden oder Unbekannten, relativiert sich das schon. Es ist natürlich noch erheblich teurer als der Bus, dafür bestimmt man die Pausen, kann zum Fotografieren anhalten und ist im Ganzen schneller und bequemer unterwegs. Wer das möchte, in Shangri-La im Hotel nachfragen oder die Fahrer, die am Eingang zur Fußgängerzone stehen. Naja, der Bus ist natürlich wesentlich günstiger und das ist auch sein einziger Vorteil. (Manche meinen, man bekäme zudem mehr Kontakt zu den Einheimischen. Aber: spricht man kein Chinesisch, verlieren die Einheimischen kurz hinter Shangri-La das Interesse.) Der Bus nach Xiangcheng kostet etwa 90 Yuan (2015) und braucht (wenn er es schafft) etwa 8-9 Stunden. Nach Daocheng (120 Yuan) sind es noch einmal knapp 3 Stunden. Der Bus verlässt Shangri-La etwa um 7.30 Uhr. Fliegen? Warum nicht. Daocheng hat den höchsten zivilen Flughafen der Welt (4.411m), aber hier kann einem schnell die Luft wegbleiben. Angeflogen wird Daocheng u.a. von Kunming, Chengdu und Xi’an.
Muss oder will man in Xiangcheng nächtigen, bitte beachten: der Ort besteht aus einem alten und einem chinesischen neuen Teil. Im ersteren steht das gute Bamu Tibetan Guesthouse (Zimmer bis 50RMB), wer es etwas komfortabler möchte, muss sich in den neuen Teil des Ortes begeben. Im Zha Xi Grand Hotel gibt es Biedermeier-Einrichtung und Frühstück für knapp 40 Euro. In Daocheng: Yading Horizon Hotel, DZ ab ¥230; International Youth Hostel (am Ende der Dexi Rd., über die Brücke), DZ ab ¥100 (unser Favorit, billig, sauber, freundlich).
Gongga Langji Ling-Kloster: ¥10, Daocheng Yading Scenic Area ¥180 (Stand 2015)