Ein großer Kringel


Bekanntlich wird unser Leben ja eher von Zufälligkeiten bestimmt, denn durch planvolles Vorgehen. So nimmt es auch kein Wunder, dass ein Foto in einem Restaurant in Leh unser nächstes Ziel, das Kloster Phuktal, diktiert. Auch wenn die Ablichtung nicht sehr gelungen und schon etwas angejahrt und ausgeblichen ist, zeigt sie immer noch genug von der Faszination dieses buddhistischen Klosters im Nirgendwo und der es umgebenden, atembenehmenden Natur. Allein die Frage bleibt: Wie gelangen wir dorthin? Denn: Ausgangspunkt eines Treks zum Phuktal-Kloster ist in der Regel die Ortschaft Padum im Zanskar-Tal. Um aber nach Padum zu gelangen, gibt es normalerweise (nur) folgende Optionen: a) eine die Kräfte zehrende zwölftägige Wanderung von Lamayuru über Photoksar und Lingshed mit drei Passüberquerungen über 4800 Meter oder b) eine Fahrt von mindestens zwei Tagen über die Ortschaft Kargil nach Padum.

Route Leh - Padum
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Obgleich uns der Markha-Valley-Trek noch ziemlich in den Knochen steckt, sind wir ernsthaft daran interessiert, die Wanderung nach Padum zu wagen. Allerdings: Am Gangabal haben wir uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert und die Markha-Tour war ein hartes Stück Arbeit…, Zweifel kommen auf, ob wir den Lamayuru-Padum-Trek ohne fremde Hilfe schaffen. Wohl eher nicht, und Nachfragen bei diversen lokalen Reiseagenturen lassen uns den Wanderplan rasch verwerfen. 1000 € pro Person und Start erst in einer Woche…, so viel Zeit und Geld haben wir dann auch nicht.
Dann also doch in der Variante B und mit einem fahrbaren Untersatz Richtung Padum. Wir entscheiden uns früh gegen den öffentlichen Bus, da noch ein Besuch der Klöster von Likir, Alchi und Lamayuru, s.a. Klöster in Ladakh, sowie des Minderheiten-Dorfes Dha auf unserem Wunschzettel steht.

Info Bei der Planung beachten: Leh ist eine gute Basis für Ausflüge in die Umgebung. Für einige Ziele (u.a. Tso Moriri, Dha, Nubra Valley, Pangong Tso) ist jedoch ein sog. „Inner Line Permit“ notwendig. Diese Erlaubnis erhält man beim Leh DC office, indem man seinen Reisepass und etwa Rs 400 (Stand: 2016) auf den Tisch legt. In der Regel ist ein solches Permit nur eine Woche gültig. Die Permits werden auch von Reiseveranstaltern als Teil einer Tour organisiert.

Eine Tour nach Dha ist rasch gebucht. Dort angekommen, läge ein Weiterkommen nach Kargil allein bei uns, so die Vereinbarung mit einem lokalen Reiseveranstalter. Tags drauf starten wir in der Frühe. Unser Fahrer spricht nicht viel; und wenn, dann auch etwas Englisch. Eine erste kurze Unterbrechung gibt es nach etwa 30 Kilometern am Zusammenfluss Indus/Zanskar und nicht wenig später, bei Nimmu, sind alle hungrig genug, um die Einkehr in ein Teehaus zu rechtfertigen. Für einen Besuch der Klöster von Likir und Alchi bleibt ausreichend Zeit, bevor es weiter zum Lamayuru Monastery geht. Auch hier verweilen wir so lange wie nötig, nach einer kurzen Mittagspause fahren wir zurück nach Khalatse und von dort auf die Indus Valley Road in Richtung Dargoo.

Moonland / Ladakh Moonland bei Lamayuru
Zanskar River / Ladakh Zusammenfluss Zanskar und Indus

Das Dorf Dha


Etwa 60 Kilometer geht es durch das zum Teil recht enge, aber interessante – weil sich stets verändernde – Indus-Tal. Kleine Dörfer schmiegen sich als grüne Tupfer an die staubigen Berghänge, der Indus rauscht wild in Sichtweite entlang der Straße, hinter jeder Kurve bietet sich eine andere Szenerie, die Fahrt bleibt abwechslungsreiche. In Höhe Dargoo sehen wir aber auch, wie unerbittlich die Natur sein kann, hier tritt im Winter der Indus über die Ufer, einige Häuser stehen bis zum Hals im Wasser, andere sind zerstört oder gar nicht mehr da. Etwa 12 Kilometer hinter Dargoo, am Zusammenfluss von Indus und Shyok, liegt das „Land der Arier“, Heimat der Brokpa- oder Drokpa-Sippe. Diese Gesellschaft ist indogermanischen Ursprungs und man glaubt, dass sie die Nachfahren der Armee Alexanders des Großen sind und schon mehr als 2000 Jahre in dieser Gegend leben. Die Brokpa haben ihre eigene Kultur und heiraten nur ihresgleichen. Viele der etwa 2000 verbliebenen Brokpa haben ein indogermanisches Äußeres, etwa blaue Augen. Berühmt sind auch der Blumen-Kopfschmuck dieser Volksgruppe und ihre pittoresken Dörfer, auf deren Feldern vornehmlich exzellente Aprikosen und Äpfel angebaut werden.
Wir bleiben nicht lange im Dorf, da wir uns doch ein wenig wie Gaffer vorkommen. Die Einwohner sind sehr zurückhaltend und für Fotos werden harte Rupien verlangt; legitim, aber nervig. Da der Tag noch nicht zu Ende ist, geben wir den Plan, in der Umgebung zu übernachten, auf. Vielmehr lassen wir uns von unserem Fahrer zurück zur Sanjak-Zamba-Brücke fahren. Dort stehen – zum Glück – noch einige Miettaxis und ein Chauffeur eines solchen erklärt sich bereit, uns noch heute nach Kargil zu bringen, er müsse sowieso dorthin, daher sei der Preis „unter normal“. Nun denn. Der Fahrer ist noch recht jung, er holt aus dem Wagen heraus, was dieser hergibt. So rasen wir auf der Khangral-Sanjak-Road dahin, es geht durch kleine – von Landwirtschaft geprägte – Dörfer, vorbei an den Ruinen des legendenumwobenen Chiktan-Forts aus dem 16. Jahrhundert, wieder über den Namika Pass (3700 m) und es ist bereits dunkel, als wir in Kargil eintrudeln.

Chitkan Fort / Ladakh Chitkan Fort (16. JH)

Wieder ist es das PC Palace-Hotel, in dem wir unterkommen und noch an diesem Abend wird eine Weiterfahrt nach Padum klargemacht. Grundsätzlich ist es möglich, mit dem öffentlichen Bus von Leh nach Padum zu gelangen. Diese Busse fahren einmal in der Woche, stoppen in Kargil über Nacht und fahren am nächsten Tag nach Padum. Der Kargil-Busservice bedient Padum nicht; Busse, die hier starten, gehen täglich (nur) nach Sankoo, Panikhar bzw. Parkachik. Diese Art des Transports ist sicher die billigste, allerdings auch zeitraubend, unbequem und unflexibel. Ebenfalls günstig ist es, ein Taxi mit anderen zu teilen. Allerdings ist man auch hier von den anderen Fahrgästen abhängig, die – in der Regel Einheimische – möglichst schnell irgendwo ankommen wollen. Pinkel- oder Fotopausen = Mangelware. Und es wird eng im Auto!
Wir entscheiden uns für ein privates Taxi, es kostet uns fast dreimal so viel wie die anderen Optionen, aber wir können in der Nacht vorher ausschlafen, haben während der Fahrt unsere Ruhe, viel Platz und können bei Bedarf anhalten (lassen). Wer weiß, ob wir noch einmal hierherkommen, da möchten wir doch möglichst viel von Land und Leuten sehen.

Suru Valley / Jammu-Kaschmir Suru-Tal in Jammu-Kaschmir
Parkachik / Suru ValleyParkachik im Suru-Tal

Durchs wilde Suru-Tal


Pünktlich um 9 Uhr fährt Mustafa am Hotel vor. Die Fahrt geht zunächst durch eines der fruchtbarsten Gebiete Ladakhs, das Suru-Tal. Dieses Tal erstreckt sich bis Parkachik und ist gespickt mit kleinen malerischen Dörfern, die Einwohner sind in der Mehrheit Anhänger des Shi’a Islam und sie leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Himalaya-Murmeltier
Himalaya-Murmeltier
Grüne Felder, Maulbeer- und Apfelbaumplantagen werden von Bergen der Great Himalayan Wall eingerahmt, am Ende des Tals stehen mit Nun und Kun zwei 7000er-Berge Wache und der Shafat-Gletscher stiehlt sich heimlich an den beiden Bergriesen vorbei, fast bis an die Pforten der Ortschaft Parkachik.
In Sankoo, einem beliebten Ausflugsziel der Einheimischen, gibt es einen kleinen Basar, Grund genug für Mustafa, eine Frühstückspause mit Tee und Samosas einzulegen. In Panikhar haben wir einen Zwangsaufenthalt, mal wieder gibt es eine Polizeikontrolle und wir müssen uns zahlreichen Fragen stellen und ein langes Formular ausfüllen. Wer das wohl lesen wird? Als wir uns Parkachik nähern, werden die Straßen schlechter, die Dörfer seltener, immer öfter tauchen Himalaya-Murmeltiere am Straßenrand auf und bald sind die herrlichen Gipfel von Nun und Kun in der Ferne zu sehen. In Parkachik gibt es eine kleine Mittagspause in einem Teehaus an der Zungenspitze des Shafat-Gletschers, wir können ein paar Fotos machen und feststellen, dass das Wetter schlechter wird. Gleiches gilt für die Straßen, von solchen kann nunmehr keine Rede sein, die Schotterpiste wird jetzt des Öfteren von kleinen Bächen gekreuzt, zum Teil sinkt unsere Reisegeschwindigkeit unter 10km/h. Das Suru-Tal wird jetzt sehr eng und eigentlich müssten rechter Hand die Gipfel des Nun und Kun zu sehen sein, diese verbergen sich aber schamhaft hinter grauen Wolken (auf der Rückfahrt indes werden wir freie Sicht haben). Das Tal wird nun wieder etwas weiter, der Suru River wird gerahmt von grünen saftigen Wiesen und hier und dort sehen wir Pferde- und Schafherden und Zelte tibetischer Nomaden.

Nun und Kun / Jammu-Kashmir 7000er-Geschwister Nun und Kun
Drang-Drung-Gletscher / Jammu-Kaschmir Drang-Drung-Gletscher am Ende des Suru-Tals

Das Padum-Tal


Knapp sieben Stunden sitzen wir jetzt im Auto, zusammen mit Mustafa und seine eine Kassette mit indisch-arabischer Musik können wir schon lange auswendig mitsingen. Endlich ist die Hochebene Rangdum (3600m) erreicht. Das gleichnamige Dorf besteht aus mehreren Weilern, in einem dieser Siedlungen gibt es eine Art Truck Stop, in dem zum Mittag Linsensuppe mit Fladenbrot kredenzt wird. Bald geht es weiter, vorbei am Kloster Rangdum (18. JH), an dessen Pforten unsere Reisepässe von den örtlichen Sicherheitskräften aufs Peinlichste unter die Lupe genommen werden und nur eine Stunde später erreicht die Reise ihren Höhepunkt am Pensi La-Pass (4400m), von dem man einen herrlichen Blick auf den Drang Drung-Gletscher und den dahinter liegenden Mt. Doda (6573 m) hat. In Serpentinen geht es hinab ins Tal des Stod River, der seinen Ursprung im o.g. Gletscher hat. Das Tal wir immer breiter, das Wetter immer besser und im goldenen Licht der sich langsam verabschiedenden Sonne tauchen die ersten tibetischen Siedlungen auf. Akshu, Abran, Phey… kleine Dörfer, die von der Landwirtschaft leben, deren Häuser im traditionellen Still gebaut sind und in denen man das Gefühl hat, die Zeit vergeht etwas langsamer. 25 Kilometer vor Padum könnte man zum tausendjährigen Dzongkul-Kloster abbiegen, allerdings wird es jetzt langsam dunkel, so dass auch ein Ausflug zum Tungri Nonnenkloster am heutigen Tag entfällt. Als man die Hand kaum noch vor den Augen sehen kann, erreichen wir Padum!

Ein paar Details

gefahrene Kilometer: Leh nach Kargil (via Likir, Alchi, Lamayuru Dha, Chiktan) – 312 km / Kargil – Padum (via Panikhar, Rangdum) – 232 km
Fahrzeit: Leh nach Kargil (incl. Besichtigungen) – 13 Std. / Kargil nach Padum – 10,5 Std
(privates Taxi) Leh nach Kargil – etwa ₹7500 / Hotel in Kargil: ₹2200 / Kargil nach Padum – etwa ₹7000
max. Höhe – 4486m (Pensi-La Pass)

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