Hoch hinaus
Die Zeit jagt nur so dahin.
Mit Verwunderung stellen wir fest, dass unsere Tage in Ladakh gezählt sind und nur noch eine Handvoll davon bis zum Heimflug nach Shanghai verblieben ist. Nach den kräftezehrenden Bergwanderungen und dem Tempel-Hopping verspüren wir noch Lust auf „etwas anderes“ und entscheiden uns leichten Herzens für den Besuch einer der Bergseen der Region. Die beiden bekanntesten Gewässer Ladakhs sind zweifellos der Pangong See (4238 m ü.d.M.) und der Tso Moriri See (4522 m ü.d.M). Hat man das Zeitpolster für nur einen der Seen, fällt die Wahl nicht leicht. Denn: Beide Seen sind ein echter Genuss für Augen und Seele! Der riesige Pangong ist der meisten Touristen liebstes Kind mit der Folge, dass er oft „überlaufen“ ist. Grund dieser Popularität ist u.a. die leichte Erreichbarkeit (Tagesausflüge sind möglich) und die geringere Höhenlage. Der abgelegenere Tso-Moriri ist ein atemberaubend schöner, ruhiger und – für die Ladakhis – heiliger See, an seinem westlichen Ufer liegt das 400 Jahre alte und für buddhistische Pilger wichtige Korzok-Kloster. Der See befindet sich zudem – anders als der Pangong – komplett in Indien und die Chance, hier Wildtieren zu begegnen ist recht groß.
Ergo: Auf zum Tso Moriri!

Bis in die jüngste Vergangenheit war die beste und wohl einzige Möglichkeit, zum Tso Moriri zu gelangen, die Anmietung eines privaten Taxis oder Motorrades. Die Schlagzahl des Busverkehrs von Leh zum See hat sich noch nicht wesentlich verbessert, aber mit dem Anstieg des Tourismus in Ladakh, ergeben sich mehrere Möglichkeiten, Tso Moriri zu erreichen.
- Bus: Es gibt drei Busse…, pro Monat. Sie starten in Leh um 6.30 Uhr am 10., 20. und 30. jeden Monats, die Fahrt dauert mit Pausen etwa 10-12 Stunden und das Ticket kostet ca. Rs340 (Stand 2018).
- Taxi: Die Fahrt mit dem Taxi gehört nicht in die Kategorie ‚Budget-Reisen‘. Ein privates Gefährt kostet locker Rs10.000 (ca. 120 €) für eine Zwei-Tages-Tour, das sog. ’shared‘-Taxi hingegen nur etwa Rs500. Hier gilt es sorgfältig abzuwägen, ob man seine Unabhängigkeit vergolden mag. Bequemer ist ein privates Taxi in jedem Fall.
- Motorrad: Die anstrengendste und sicherlich schönste Art, um zum Tso Moriri zu kommen ist bestimmt das Zweirad. Ein solches schlägt mit etwa Rs1200-2000/Tag zu Buche und die Fahrt mit einer Enfield durch die Berglandschaft ist sicher ein Erlebnis der besonderen Art. Allerdings: Man sollte sich mit Motorrädern auskennen!
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Für den Bus fehlt uns die Zeit, für das öffentliche Taxi die Geduld und fürs Motorrad der Führerschein. Der Inhaber des Reisebüros, der uns bei der Reise zu den Dha-Leuten half, macht uns ein gutes Angebot für einen privaten fahrbaren Untersatz, inklusive Inner Line Permit für den Tso Moriri.
Ca. 240 Kilometer liegen vor uns, wieder haben wir einen guten Fahrer, er fährt angemessen, spricht etwas Englisch und belässt die Musik auf erträglicher Lautstärke. Wir folgen dem geteerten Leh-Manali-Highway bis Upshi, danach geht es weiter auf der schotterigen Pangong Lake Road durch die wilden Berge, in die der Indus-River sein Bett gefräst hat. Dörfer hat es nur eine Handvoll, oft sind die Täler zu eng, um etwas anzubauen, Vieh zu halten oder sonst seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst in Chumathang, zwei Drittel des Weges sind geschafft, weichen die Berge etwas zur Seite und bieten den Bewohnern mehr Raum zum Leben und Atmen.
Eine Handvoll Kilometer hinter Chumathang liegt ein Polizeiposten, an dem wir unsere Permits vorzeigen und Richtung Rupshu-Hochebene abbiegen müssen.


Wir folgen dem Lauf eines kleinen Stromes, passieren die Ortschaft Sumdho (die mittlerweile ein Flüchtlingslager für Tibeter sein soll) – hier könnte man zum Salzsee Tso Kar ins Puga-Tal abbiegen – und unser 2×4-Fuhrwerk schraubt sich gemächlich in Serpentinen weiter in die Höhe zum Namshang Pass (4960 m). Auf der Passhöhe knattern hunderte buddhistischer Gebetsfahnen im kalten Wind und durchbrechen die sonst vorherrschende Stille des wüstenähnlichen Rupshu-Tals.
Das Rupshu-Tal ist eine westliche Erweiterung des tibetischen Plateaus und variiert in der Höhe zwischen 4500 und 5500 m. Die Höhe ist auch dafür verantwortlich für extreme Temperaturen und Trockenheit, die keine Landwirtschaft und nur begrenzt Viehwirtschaft zulassen. Man gelangt in eine Wildnis, in der nur ein paar Nomaden – die Changpas – leben, die ihre Yak- und Schafherden in den Weiten grasen lassen. Das Rupshu-Tal liegt zudem auf einer der alten Handelsrouten nach Tibet und auch heute noch soll es noch Karawanen geben, die diese alten Wege zum Warenaustausch nutzen.


Nicht weit hinter dem Namshang Pass weichen die Berge zur Seite und machen Platz für einen kleineren Salzsee, den Kyagar Tso (4705 m), der gern von Nomaden als Lagerplatz genutzt wird (also die Wiese drumherum). Die letzten Kilometer bis zur Ortschaft Karzok sind jetzt schnell abgesessen, obgleich die Straße noch einmal sehr holperig wird. Aber es dauert nicht mehr lang, bis sich der türkisblaue Tso Moriri, in dessen Oberfläche sich die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Berge spiegeln, zeigt.
Ansichten eines Sees
Karzok ist kein wirklicher Urlaubsort und die Zahl der Unterkünfte ist sehr übersichtlich. Es gibt wenigstens zwei Zeltcamps mit dem Charme eines Pfadfinderlagers und zwei oder drei „exklusivere“ Unterkünfte, die – unseres Erachtens – den verlangten Mietpreis nicht wert sind. Ein wenig weg von der Hauptstraße finden wir eine günstige Herberge bei einer Familie, die in der Hauptsaison ein paar ihrer Räume vermietet. Das Haus ist im tibetischen Stil errichtet, alles ist sehr einfach, man schläft (lieber) auf dem mit Matratzen bedecktem Boden (die Betten im Zimmer wackeln bedenklich) und teilt sich den Sanitärbereich mit anderen Mietern. Das späte Abendessen wird gute und einfache Hausmannskost im Kreis der Familie sein. Bei Bedarf kann man bei der Zubereitung des Mahls helfen. Für die Vermieter ist es ein wichtiges Zubrot, die Hauptsaison ist hier oben nicht sehr lang und wenn der erste Schnee fällt, wird es schwer für Mensch und Tier, ein adäquates Auskommen zu finden.
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In einem Kiosk an der Hauptstraße stärken wir uns an einem Linsengericht mit einer Tütensuppe als Vorspeise und brechen nach Spiritueller Tanzdem Dessert zum nahen Korzok Gompa auf. Das Kloster ist etwa 400 Jahre alt und gehört der tibetischen Drukpa-Schule an. In diesen Tagen wird das zweitägige Korzok Gustor Festival gefeiert, das jährlich im 6. Monat des tibetischen Mondkalenders stattfindet und die soeben abgehaltene Zeremonie symbolisiert den Sieg des Guten über das Böse und ist eine ‚Hommage‘ an die Ermordung eines verräterischen tibetischen Königs durch einen buddhistischen Mönch. Nun erklärt es sich, dass so viele Einheimische in der Stadt sind und es vor dem Kloster wie auf dem Jahrmarkt zugeht. Im Innern des Gompa vollführen die Mönche einen Tanz in Kostüm und Maske, die ‚Kapelle‘ spielt die zugehörige Musik mit tibetisches Langhörnern, Trommeln und Becken. Es ist alles sehr laut und die Gäste nehmen lebhaft am Schauspiel teil.
Da wir die spirituelle Tragweite des Dargebotenen nicht in Gänze überblicken und verstehen, brechen wir zum See auf. Es wird höchste Zeit, denn das Wetter droht umzuschlagen. Schon sind die Berge wolkenverhangen und von der leuchtenden Farbe des Sees ist kaum noch etwas vorhanden. An den Ufern des Tso Moriri grasen die Pferde der Nomaden und hie und da tauchen Streifengänse, Schwarzhalstaucher und Braunkopfmöwen auf und verschwinden auch wieder. Das legendäre ‚blaue Schaf‘, die Bergziege und den tibetischen Wolf bekommen wir leider nicht vor das Objektiv.

Kloster Korzok
Auf dem Rückweg ins Dorf, dass an einem Hang am See liegt, bekommt man deutlich die hiesige Höhe zu spüren: bergauf schlägt das Herz bedenklich schnell und wir schnaufen wie altersschwache Arbeitspferde, als wir unsere Unterkunft erreichen. Zwischenzeitlich ist es dämmerig geworden und die meisten einheimischen Gäste machen sich auf den Heimweg, denn auch für sie ist dieser sicherer, sofern noch etwas zu sehen ist. Nach dem Abendmahl in unserer Pension wird schnell noch lauwarm per Wassereimer geduscht und wir machen es uns auf der Bodenmatte so bequem, wie es eben geht.
Bereits am nächsten Morgen geht es zurück nach Leh, das Wetter hat sich nicht verbessert (die Schotterpisten leider auch nicht) und wir hängen – angesichts unserer baldigen Abreise – unseren Gedanken nach und lassen das Erlebte noch einmal Revue passieren.
Zwei Tage später sind wir wieder in Shanghai…
1 Übernachtung in Korzak
Reisezeit – Anfang August
max. Höhe 4960m (Namshang Pass, kurz vor dem Tso Moriri)