Türkei pur!
Die nächste Etappe wird für uns zu einer echten Herausforderung werden. Die ersten 15 Kilometer sind noch flach. Sobald wir jedoch Richtung Domaniç abbiegen, gibt es eine erste lange Steigung in eine bergige Gegend, die wohl unter dem Namen Domaniç-Yırce Dağları bekannt ist, die wir aber mit unserer Serpentinenfahrtechnik ganz gut meistern. Schon haben wir uns auf 800 Höhenmeter hochgeschraubt und ich verspreche Sabine, dass es nun nicht mehr viel höher geht. Wie ich darauf komme, ist mir schleierhaft. Das Wetter verschlechtert sich, die Bergwelt um uns herum versinkt in Nebel und wenn wir erschöpft pausieren, wird es sogar richtig kalt. Der Höhenmesser zeigt mittlerweile 1000 Höhenmeter an und wir hören auf die Geräusche der aufwärts fahrenden LKW, ob sie hoch oder herunterschalten, ob sich diese quälenden Motorgeräusche verändern in etwas, das nach Abfahrt klingt. Fehlanzeige. Für einen Moment durchstoßen wir den Vorhang aus tief hängenden Wolken, der Höhenanzeiger steht bei 1100 Metern und wir sehen eine Hütte, die Stärkung verspricht. Ein Blick auf das Menü macht uns satt, wir trinken nur einen Tee und fragen mit Händen und Füssen, wie die Straße weiter verläuft. „Rampa, dört kilometre!“ Wie? Rampa? 4 Kilometer? Es ist wahr, 400 Höhenmeter liegen noch vor uns, hinter jeder Kurve eine neue Steigung, Autos versorgen uns unterwegs mit Früchten, Salzstangen und anderem. Wasser haben wir nicht nötig, gibt es doch alle 500 Meter einen Brunnen mit Frischwasser. Und endlich ein Schild: Rakim 1500. Der Pass ist erreicht, wir jubeln auf der Straße wie die Blöden und erregen damit die Aufmerksamkeit von Ahmed, einem Straßeninstandhalter, der mit seinem Kollegen hier oben haust und die Straße instand hält. Er lädt uns in die Straßenmeisterei ein, serviert Tee, Erdnüsse, Kekse und mehr, wir unterhalten uns auf Englisch, Türkisch und in Gebärdensprache, erfahren etwas über seine Familie, erhalten einen Gratiskurs in „Türkisch für Anfänger“ und sollen dann noch in der Meisterei übernachten. Wieder einmal sagen wir ab, sind wir doch nicht sicher, inwieweit diese Übernachtungsvorschläge ernst gemeint sind, Nüsschen servieren ist eine Sache, jemandem Obdach zu gewähren hingegen eine ganz andere Geschichte. Frisch gestärkt nehmen wir unsere Fahrt wieder auf und rauschen mit Tempo 50 bis nach Domaniç hinab. Der Himmel reißt sogar auf und taucht die wunderschöne Berglandschaft in ein warmes Nachmittagslicht.

Mühsamer Aufstieg zum Kocayayla Geçidi-Pass
In Domaniç dauert es nicht lange, bis wir umringt sind. Nuri, der Sohn des örtlichen Kleiderhändlers (dem übrigens der halbe Ort zu gehören scheint und der ein sehr politischer Mensch ist), bewirtet uns mit Tee und englischer Konversation und verschwindet bald, um seinen Cousin Umut zu holen, der schon in Deutschland und so weiter. Unmut ist – trotz seines Namens – ein netter Kerl, in Deutschland geboren und aufgewachsen, hatte ein bisschen Pech in Deutschland, lebt jetzt in Domaniç und langweilt sich ein wenig zu Tode, aber er ist sehr stolz auf die türkische Heimat seiner Eltern (die ihrerseits in Deutschland leben!!!), er quartiert uns im einzigen Hotel (Sabine bekommt in der angeschlossenen Eisdiele ein Frei-Eis) der Stadt ein und veranstaltet am Abend eine private Sightseeing-Tour zu den Sehenswürdigkeit der Gegend. Dazu zählen ein Dorf, das auf einer gigantischen unterirdischen Quelle steht und ein Baum, aus dessen Stamm eine Wiege für Osman I., den Begründer des osmanischen Reiches, geschnitzt worden sein soll. Wir erfahren eine Menge über das Leben in dieser Gegend und die aufrechterhaltenen schamanischen Traditionen Zentralasiens, nicht alle Infos sind zwar wichtig und richtig, aber der Abend ist interessant und kurzweilig. Eigentlich ist Domaniç ein guter Platz, um ein wenig auszuspannen, wir entscheiden uns aber doch dafür, am nächsten Tag weiterzufahren. Angesichts der Anstrengung des Vortages haben wir uns auch nicht zu viel vorgenommen, es soll lediglich bis Tavşanlı gehen. Die Fahrt ist auch unter dem Motto „Alltag“ abzuspeichern, es passiert nicht viel unterwegs, wir durchfahren die eher unattraktive Bergbaustadt Tunçbilek, die selten Touristen sieht und noch seltener Radtouristen, entsprechend groß ist die Freude der Einheimischen, kurz vor Tavşanlı zieht sich der Himmel bedenklich zu und wir treten auf der D595 noch einmal richtig in die Pedale und erreichen Tavşanlı bevor ein Gewitter hereinbricht, das seinesgleichen sucht.

Tavşanlı

Schlechtwetterfront bei Çavdarhisar
Wir stellen uns in der Fußgängerzone unter und es dauert keine fünf Minuten bis wir neue Freunde haben. Ismael, ein Oberschüler nebst einer Handvoll seiner Schulkollegen, fragt uns Löcher in den Bauch und erbietet sich, uns bei der Hotelsuche zu helfen. Campen ist bei dem Wetter nicht drin (jedenfalls nicht für uns). Wir klappern mit den Jungs alle Hotels des Ortes ab, die bezahlbaren verfügen entweder über unzureichende sanitäre Einrichtungen oder sind einfach total abgearbeitet und dafür unverschämt teuer.
Im „besten“ Hotel am Platz bekommen wir aber einen Sonder-Sonderpreis, weil Ismaels Freund jemanden kennt, der wiederum… na ja, so geht es um einige Ecken. Die Jungs schleppen unsere Räder in den Keller, das Gepäck auf das Zimmer und verschwinden einfach mit der Bemerkung, sie wollten einfach nur freundlich sein und helfen. Und das stimmt (wir müssten uns schon sehr täuschen). Nicht bei einem einzigen unserer bisherigen Helfer hatten wir auch nur ansatzweise das Gefühl, das sie eine Gegenleistung erwarteten. Außer vielleicht den Kontakt zu den Fremden, die ihre Stadt besuchen.
Quelle an der StraßeSonst gibt es über Tavşanlı nicht viel zu berichten…, auch dieser Ort ist vom Bergbau geprägt, und Fußball ist der Sport der Stadt, schafft das heimische Team doch fast den Aufstieg in die Süper Lig. Fast. In der Nacht wird es noch einmal richtig laut, es ist Wahltag und nach dem Sieg Erdogans steht die halbe Stadt auf dem Kopf (die andere Hälfte sitzt maulend zu Hause).
Wieder beginnt ein Tag regnerisch. Auch die Einheimischen sagen, dass es für diese Jahreszeit zu viele Niederschläge gibt. Entschädigt werden wir allerdings durch die schöne Landschaft, durch die wir fahren und wir sind froh, nicht die Hauptstraße über Kütahya genommen zu haben. Am Kayabogazi Baraji-See müssen wir uns wieder unterstellen, ein Unwetter bricht über uns herein und wir haben annähernd zwei Stunden zu warten. Der Blick in den Himmel verspricht aber keine Besserung und wir sind froh, trockenen Reifens nach Çavdarhisar zu kommen. In der Stadt und ein wenig außerhalb liegen die Ruinen des antiken Aizanoi, ein Zeustempel, ein Stadion und die Penkalasbrücke. Die Ruinen sind wohl eher ein Geheimtipp, außer uns sind keine Touristen vor Ort. Für Archäologen ist der Ort recht interessant, zeigt er doch das Leben einer Kleinstadt zur Zeit des Römischen Reichs. Çavdarhisar ist auch heute noch ein von Gott verlassener Flecken, aber wir treffen mindestens zehn Einheimische, die ein paar Brocken Deutsch sprechen, weil…, wir kennen die Geschichte. Trotz des wenig vielversprechenden Wetters beschließen wir zu campen, ein Blick in unsere Reisekasse zwingt uns zur Änderung unseres Übernachtungsverhaltens. Zehn Kilometer hinter Çavdarhisar finden wir einen angemessenen Platz, allerdings ist der Boden dermaßen aufgeweicht, dass wir unsere Räder kaum noch wiedererkennen, als wir ein für das Aufstellen des Zeltes geeignetes Gelände gefunden haben. Da es zu regnen droht, bauen wir schnell das Zelt auf, mit der Folge, dass wieder ein Gelenk in den Zeltstangen bricht. Nun gibt es keine Ersatzverbindungsstücke mehr und guter Rat ist teuer. Hier kommt uns unser Erste-Hilfe-Kurs zugute und wir schienen die Bruchstelle mit Radspeichen. Keine Lösung auf Dauer, aber für heute wird es reichen (müssen).

Abfahrt nach Gediz
Am nächsten Morgen ist der Dreck an den Fahrrädern hart wie Beton und wir quetschen unsere Drahtesel mit Mühe auf die Straße. Der Frühnebel hat sich noch nicht aufgelöst und wir frieren gar ein wenig auf dem Rade. Das ändert sich indes schnell, als wir zwei schwere und lange Anstiege auf über 1200 Meter Höhe auf der D240 bewältigen müssen, bevor es mit Schwung einige Kilometer abwärts Richtung Gediz geht. Am Ortseingang machen wir an einer Tankstelle halt und Sabine hat den guten Einfall, die Räder mit dem Hochdruckreiniger, der an jeder Tankstelle mehr oder weniger kostenfrei zur Verfügung steht, abzuspritzen (Natürlich ist uns bewusst, dass Hochdruckreiniger für Fahrräder nicht die beste Art der Reinigung ist, aber… die Faulheit obsiegt.).
Nachdem unsere fahrbaren Untersätze wieder glänzen, gönnen wir uns im Restaurant neben der Tankstelle ein opulentes Frühstück und sammeln Ideen, wie wir unser Zeltproblem lösen können. Das einzige, was uns einfällt, sind Metallhülsen, die über die verbindungsstücklosen Segmente der Zeltstangen zu schieben und dort irgendwie zu fixieren wären. Aber woher nehmen? In Gediz gibt es zwar einen Eisenwarenhändler, aber er hat nur Rohre in Oberarmdicke. Auf dem Weg durch Gediz sehen wir dann das Schild eines bekannten deutschen Heizungsherstellers, wollen mal sehen, ob die nicht… Tatsächlich finden wir dort Rohre, aus Aluminium, mit dem richtigen Durchmesser. Der Inhaber der Firma sägt uns eigenhändig das Rohr in die richtige Länge und will einfach keine Bezahlung annehmen. Heute ist unser Glückstag und das Zelten gerettet, falls uns nicht gleich drei Gelenke auf einmal wegbrechen.
Knapp 40 Kilometer liegen noch vor uns, bei Abide verlassen wir die D240 und sind wieder einmal auf der D595, folgen dem Lauf des Gediz Nehri durch bergige Landschaft (meist geht es aber talwärts), Felder und Fluren und durchqueren mehrere Dörfer, deren Einheimischen uns anwinken und „Tee, Tee“ (auf Türkisch) skandieren und einmal geht es sogar soweit, dass uns eine Gruppe aus einem Dorf, das wir schon lange hinter uns haben, mit Mopeds nachfährt, um uns zum Tee einzuladen. Sie haben aber Verständnis dafür, dass wir nicht in der Stimmung sind, 20 Kilometer extra für ein Glas Tee zu fahren. Zwischen Nichts und Nirgendwo und wenig vor Beylerhanı finden wir in der Dämmerung einen schnuckeligen Zeltplatz, duschen mit Wasser aus dem Wassersack und sinken befriedigt in den miefigen Schlafsack. Und, das Zelt hält! Für diese Nacht.
Die Stadt Uşak, bekannt für die Produktion von Orientteppichen, liegt auf knapp 1000 Meter Höhe; von unserem Zeltplatz bedeutet dies ein elendig langer Anstieg. Zum Glück haben wir heute nur knapp 25 Kilometer vor der Brust, langsam geht uns nämlich bei diesem Rauf und Runter die Puste aus. Außerdem macht uns seit Yalova der Straßenbelag zu schaffen, meistens handelt es sich um Teeruntergrund mit sehr grobem Kies darauf, das kostet eine Menge Kraft und ist alles andere als reifenschonend.
In Uşak finden wir ein Hotel, nach zähem Handeln drücken wir den Preis auf 70 Lira, sind aber noch nicht zufrieden und wir gehen erst einmal etwas essen, um uns für die weitere Suche zu stärken. In einem kleinen Restaurant treffen wir auf eine Frau, die lange Jahre in Deutschland… Sie lädt uns ein, mit ihr zu speisen und erklärt uns, es werde nicht leicht, in der Stadt ein billiges Hotel zu finden, aber der Bruder ihres Cousins, dessen Nichte usw. Ein paar Telefonanrufe später stehen wir wieder vor dem 70-Lira-Hotel und dank der Hilfe der netten Frau und viel Palaver bekommen wir das Zimmer schließlich für 70 Lira. Wir ziehen ein, es sieht nämlich wieder nach schwerem Gewitter aus, welches sich auch prompt einstellt, als wir die letzte Tasche auf das Zimmer gebracht haben. Unwetter in diesen Breitengraden sind ziemlich heftig, allerdings nicht sehr anhaltend. Als der Regen nachlässt, begeben wir uns in das örtliche archäologische Museum und bestaunen die Überreste des sagenhaften Schatzes des Königs Krösus.

Schätze des Königs Krösus



Unser Plan, mit dem Rad wenigstens bis nach Pamukkale zu gelangen, ist fast erfüllt. Nach Uşak wartet noch einmal ein 1000er-Pass auf uns, eine steile Abfahrt bring uns bis nach Çivril, von dort geht es bis Denizler (nicht Denizli) nur noch geradeaus. Allerdings macht uns das Wetter mit seinen schweren Regengüssen zu schaffen und nach 90 Kilometern müssen wir erst einmal an einer Tankstelle in Çitak ausruhen. Sabine hat für heute genug und auf die Frage nach einer Unterkunft erfahren wir, dass es in der Ortschaft keine solche gäbe, wir hätten schon bis Denizli zu fahren, das wären nur noch 80 Kilometer. Wir seien mit dem Rad unterwegs, geben wir zu bedenken. Der Tankwart ist erst einmal ratlos. Wenig später findet sich ein älterer Türke ein, der ein wenig Deutsch spricht, weil er Jahre …, in Österreich arbeitete. Es wird diskutiert und man bietet uns den Gebetsraum in der Tankstelle zur Übernachtung an. Hocherfreut nehmen wir an, das Wetter ist zu unbeständig. Wir warten allerdings noch ein wenig, zwischendurch erscheint der „Österreicher“ noch einige Male, bietet uns sein Haus zur Übernachtung an, aber wir haben uns jetzt für die Tankstellen-Moschee entschieden. Pech, denn zwischenzeitlich gab es einen Schichtwechsel und der neue Tankwart will von unserem Arrangement nichts wissen. Und der Österreicher ist weg. Und wild campen ist nicht so einfach, die Gegend ist flach wie ein Crêpes Suzette, ein Feld ist neben dem anderen und Sichtschutz tendiert zur Null. Wir beschließen daher, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu fahren und dann das Zelt im Schutz der Nacht auf- und vor Tagesanbruch wieder abzubauen. Schnell an der Tankstelle die Wassersäcke auffüllen (das dürfen wir, aber Tee gibt es keinen), wir müssen heute noch unterm Sternenhimmel duschen. Einige Kilometer vor Denizler finden wir einen Platz für unser Zelt, unbebautes Feld mit einem Hügel in der Mitte, der uns ein wenig von der Straße abschirmt und alle notwendigen sanitären Maßnahmen ermöglicht. Der Platz ist zwar mit meterhohem Gras bestanden, was den Aufbau des Zeltes erleichtert (der Aufbau ist fast im Stehen möglich) und wieder erschwert (wohin mit den Heringen?). Am Ende liegen wir das widerspenstige Gras platt und unser Heizungshülsenzelstangenzelt bleibt in der Nacht stehen wie eine Eins minus.
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Sabine hingegen geht es seit ein paar Tagen – gerade morgens – nicht so gut. Es ist zu hoffen, dass sie sich nichts eingefangen hat. Von Denizler bis Denizli ist es aber nicht sehr anstrengend, geht es doch fast 50 Kilometer bergab, das ist auch gut so, da jetzt die Temperaturen mit jedem Tag steigen. Die letzten Kilometer bis Pamukkale sind recht ereignislos und wir finden einen netten, bezahlbaren Campingplatz mit Swimmingpool in „der“ Touristenattraktion des türkischen Südens (abgesehen von den Stränden am Mittelmeer).
Wir halten es in Pamukkale fast vier Tage aus. Die Hauptattraktionen Pamukkales, die Kalksinterterrassen, die durch die Jahrtausende infolge der kalkhaltigen Thermalquellen entstanden sind, sind wirklich faszinierend, das Verhalten der Touristen, die überall herumklettern müssen und in jeder Terrasse für ein Foto ein Vollbad nehmen müssen, ist eher ernüchternd. Das zweite Glanzlicht Pamukkales ist der antike griechische Ort Hierapolis. Gegründet um 300 vor Christus hielt der Ort allen menschlichen und natürlichen Angriffen stand, erst im 14. Jahrhundert wurde er durch ein Erdbeben fast völlig zerstört. Zu sehen sind eine ausgedehnte Begräbnisstätte, ein großes Theater, der Apollotempel, die Philippus-Kirche, ein Gymnasium und große Teile der Stadtmauer.
Für uns gibt aber noch mehr zu tun, wir müssen langsam unseren weiteren Weg bestimmen. Der Weg über Syrien ist wegen der politischen Probleme versperrt, es gibt keine Visa. Einfach an die Grenze zu fahren und unser Glück zu versuchen? Zu viele Kilometer! Mit der Fähre nach Israel? Gibt es nicht! Direkt nach Ägypten? Wir sind noch willig, Rad zu fahren. Wir schieben die Entscheidung erst einmal vor uns her, es zieht uns magisch nach Kappadokien, einer Gegend, von der wir schon viel Gutes gehört haben. Allerdings werden wir nicht dorthin radeln, fast 700 Kilometer sind einfach zu viel.
Am Campingplatz in Pamukkale wird ausgecheckt und zurück nach Denizli geradelt, von hier fährt ein Nachtbus nach Göreme, dem Hauptort in Kappadokien. Die Angestellten am Busbahnhof Denizli haben wir uns in dieser Nacht nicht zu Freunden gemacht, sie sind doch ziemlich angesäuert, als wir mit unseren Fahrrädern aufschlagen. Aber unser Problem ist es nicht, denn wir kaufen die Bustickets im Vorhinein und weisen mehrmals und ausdrücklich auf unsere Räder hin, deren Transport wir zudem gesondert bezahlen müssen. Am Ende ist aber alles wohl verstaut und die 10 Stunden Fahrt vergehen auch irgendwie. Man ist ja schlimmeres aus China gewohnt und der Bus ist gar nicht schlecht. Auch die Busstopps, die alle zwei Stunden angefahren werden, sind im Vergleich zu China im Sanitärbereich spiegelblank und bieten im Imbissbereich eine reiche Auswahl an Snacks.
Kappadokien ist eine Landschaft in Zentralanatolien in der Türkei. Das klingt auf den ersten Hinhörer ziemlich nichtssagend und trocken. Tatsächlich ist dieses Gebiet, das die Provinzen Nevşehir, Niğde, Aksaray, Kırşehir und Kayseri umfasst, eines der interessantesten Naturschauspiele und ist Zeugnis byzantinischer Kunst und traditionellem menschlichen Lebensraums in Kleinasien. Nicht umsonst wurde dieses Gebiet schon 1985 in die List des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Jahrtausende andauernde vulkanische Tätigkeit überzog die Region mit
Radtransport nach Kappadokienweichem Tuffgestein, das durch Wind und Wetter bearbeitet wurde und heute dem Besucher eine wahrhaft bizarre Landschaft darbietet. Schon zur Zeit der Hethiter (2000 v.Chr.) sollen Höhlen in das weiche Gestein gegraben worden sein, eine Blüte erreichte die Höhlenarchitektur dann zur Zeit des Oströmischen Reichs (ab dem 4. Jh.).
Als wir nach vielstündiger Busfahrt Göreme erreichen und übermüdet und verknautscht aus dem Bus fallen und unsere Räder aus dem Gepäckraum zerren, sind wir nicht wenig beeindruckt. Die Landschaft mit ihren speziellen Felsformationen und Tuffkegeln, in denen seit mehr als 1000 Jahren Menschen hausen, ist wirklich einmalig. Wurde die Tufflandschaft anfänglich durch Christen besiedelt, die in dieser Region die Einsamkeit suchten, hatte diese Art des Wohnens in den späteren Jahrhunderten nach Christus durchaus handfeste Gründe. Hunnen, Perser und immer wieder Araber fielen in Kappadokien ein und spätestens jetzt begann die christliche Bevölkerung unterirdische Höhlen zu graben als Deckung gegen die Invasoren. Zudem boten die Wohnungen im Gestein Schutz vor Hitze und Kälte. Bis zum 11. Jahrhundert entstanden so mehr als 3000 Kirchen und zahlreiche Städte und Burgen, die in den Stein geschnitten wurden, die Palette der Bauwerke reicht von einfachen, schmucklosen Höhlen bis hin zu kunstvoll „geschnitzten“ und reich verzierten Sakralbauten.
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Natürlich ist Kappadokien schon lange kein Geheimtipp mehr. Touristisch mehr oder minder erschlossen, gibt es eine Handvoll einfacher Campingplätze in Göreme, sodass wir nicht auf teure Hotels zurückgreifen müssen. Viele der sehenswerten Höhlengebiete lassen sich von Göreme aus mit dem Rad oder zu Fuß erkunden, etwa das Taubental (Güvercin Vadisi) mit der Möglichkeit einer Wanderung nach Uçhisar oder das Kirchental zu Göreme (UNESCO-Weltkulturerbe). Ein paar Kilometer nördlich von Göreme, etwa auf der Höhe der Ortschaft Çavuşin liegt der Eingang zum Liebestal (Aşk Vadisi), in dem riesige Phalli aus Tuffstein herumstehen. In Çavuşin steht mit der Johanneskirche eine der ältesten Höhlenkirchen Kappadokiens (etwa 5. Jahrhundert) und die Taubenschlagkirche (Çavuşin Güvercinlik Kilisesi) aus dem 11. Jahrhundert. Absolut sehenswert ist Paşabağ (Monks Valley), in diesem Tal stehen Tuffsteinsäulen die wie Pilze aussehen, in Zelve, unweit von Monks Valley, sind weitere Wohnanlagen, Klöster und Kirchen zu entdecken, die bis 1953 in Gebrauch waren. Interessant ist auch die kleine Stadt Avanos, die durch ihre zahlreichen traditionsreichen Töpfereien und Ziegeleien bekannt ist. Wer das Ganze am Ende noch von oben betrachten möchte, jeden Morgen steigt eine Armada von Heißluftballons in den Himmel, das Fauchen der Brenner holt auf unserem Campingplatz noch den letzten Langschläfer von der Isomatte.
In den letzten Tagen haben wir Zeit gefunden, unsere Weiterfahrt etwas durchzuplanen. Die Entscheidung, bis an die Südküste zu fahren, um dort eine Fähre nach Zypern zu erwischen, ist gefallen. Wie wir von dort weiterkommen, wird sich zeigen.
Zunächst geht es auf der D300 in südwestlicher Richtung nach Nevşehir (hier geraten wir in ein lokales Radrennen) und vorbei an den Höhlen und Häusern am Hang in Göre und dann bergauf und direkt in den Süden bis Kaymaklı und dann bergab bis Derinkuyu, wo es eine der interessantesten unterirdischen Städte geben soll. Auf der Fahrt haben wir nach links immer einen schönen Blick auf das Taurusgebirge und den Vulkan Erciyes Dagi. Die Entstehungszeit der unterirdischen Stadt von Derinkuyu ist umstritten. Vermutungen gehen von 4000 vor Chr. bis zum 6. bzw. dem 10. Jahrhundert nach Chr. Allerdings soll die Stadt in ihrer heutigen Form auf die Christen des Altertums zurückgehen, die sich hier vor der Verfolgung durch andere versteckten. Wie dem auch sei, die unterirdische Stadt ist nichts für schwache Nerven, geht es doch fast 60 Meter tief in die Erde hinein. Am Eingang warnt denn ein Schild, dass sich Menschen mit Allergien, Herzproblemen, Platzängsten usw. besser an der Oberfläche aufhalten sollten. Archäologen haben bisher acht Stockwerke mit einer Fläche von 2500 Quadratmetern freigelegt. Die Stadt verfügt über alle möglichen Räume, von Wohnräumen über Kerkern und Wirtschaftsräume, die sogenannte „Kleeblatt-Kirche“ im siebten Stockwerk hat eine Länge von 25 und eine Breite von zehn Metern. Viele der Gänge haben Sicherheitstüren aus Stein in Form von steinernen Rädern, sodass bei Gefahr im Verzug die Gänge hermetisch abgeriegelt werden konnten. Angeblich sollen mindestens 3000 Menschen hier unten gewohnt haben und es wird vermutet, dass die Stadt durch einen fast 10 Kilometer langen Tunnel mit ihrer Schwesterstadt in Kaymaklı verbunden war.
Nach einer etwas beklemmenden Stunde Besichtigung und zwei weiteren Stunden im Schatten (Derinkuyu scheint auch voll von Deutschtürken zu sein, wir hatten jedenfalls viele Gesprächspartner) machen wir uns noch einmal auf den Weg. Die nächsten Stunden auf dem Rad sind herrlich. Es geht immer geradeaus, keine Steigungen, keine Abfahrten, die Felder sind bunt und in der Ferne leuchten die Berge des Taurus- und Aladaglar-Gebirges.
Kurz vor Niğde kehren wir noch in ein Tankstellenrestaurant ein, das Essen ist vorzüglich, trotz der Schwärme von Fliegen, die überall nervös herumschwirren. Niğde ist mit mehr als 100.000 Einwohnern eine größere Stadt in dieser Region Zentralanatoliens, die D805 zusammen mit der Q21 eine wichtige Nord-Südachse und entsprechend stark und unangenehm ist der Verkehr. In Niğde, das nach Funden einer Stele aus der Hethiter-Zeit zu
Unterkunft in Niğdestammen scheint, ist die Hotelsuche zunächst wenig Erfolg versprechend und wir drehen heute den Spieß herum und sprechen einfach einen Passanten an, der uns prompt zu Ögretmen Evi führt, einem „Lehrer“-Hotel, das für 40 Lira echten Luxus bietet, inklusive Frühstück. Wir ruhen uns gut aus, geben aber den Plan auf, durch die Berge Richtung Südküste zu fahren, uns ist beiden nunmehr zu heiß. Nachdem unser Vorhaben, durch Syrien und Jordanien zu fahren gescheitert ist, ist zudem bei uns beiden die Luft etwas heraus, schade.
Das Lehrer-Hotel ist so schön, dass es uns zwei Tage in Niğde hält und wir besuchen Eski Gümüş, eine in den Fels gehauene Klosteranlage im Dorf Gümüşler, etwa 10 Kilometer östlich von Niğde. Dieses Kloster stammt aus dem 11. Jahrhundert, die Kirche, das Refektorium und andere Räume sind mit wunderschönen Fresken und ordentlichen Steinmetzarbeiten versehen. Der Sakralbau ist ein echtes Kleinod kappadokischer Höhlenarchitektur und lange nicht so überlaufen wie die Anlagen in Göreme. In den zwei Stunden, die wir uns dort aufhalten, haben wir nicht eine Menschenseele gesehen. Zurück in Niğde buchen wir unsere Bustickets nach Taşucu nahe der Stadt Silifke am Mittelmer. Taşucu, das wir am frühen Abend erreichen, lebt vor allem vom türkischen Inlandstourismus, noch viel interessanter für uns ist, dass es eine Fährverbindung nach Kyrenia gibt. Damit ist unser Türkei-Abenteuer zu Ende, wir besteigen am nächsten Tag die Fähre nach Zypern und sind gespannt, was uns hier erwartet.
Etappen: 13
Anstieg: 3715m | Abstieg: 3633m
Datum | Etappe von – nach | km | km total | Zeit | HöhM | Temp. | |
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11.06.2011 | Inegöl – Domaniç | 50:12 | 3485 | 4:59 | 1033 | 25° | H |
12.06.2011 | Domaniç – Tavşanli | 38:73 | 3524 | 2:34 | 290 | 27° | H |
13.06.2011 | Tavşanli – Çavdarhisar | 68:22 | 3593 | 5:15 | 675 | 24° | C |
14.06.2011 | Çavdarhisar – Camping vor Uşak | 68:17 | 3661 | 4:17 | 335 | 32° | C |
15.06.2011 | Camping vor Uşak – Uşak | 21:27 | 3682 | 1:49 | 360 | 32° | H |
16.06.2011 | Uşak – Konak | 99:72 | 3782 | 6:37 | 427 | 30° | C |
17.06.2011 | Konak – Pamukkale | 66:59 | 3849 | 3:50 | 196 | 29° | C |
22.06.2011 | Busfahrt Pamukkale – Göreme | 684 | 3849 | 9:50 | ./. | 22° | C |
24.06.2011 | Göreme – Niğde | 96:50 | 3945 | 5:59 | 535 | 31° | H |
25.06.2011 | Niğde – Gümüşler – Niğde | 24:46 | 3969 | 1:57 | 191 | 33° | X |
25.06.2011 | Busfahrt Niğde – Taşucu | 295 | 3969 | 3:50 | ./. | 34° | H |