Viel-Gesichter-Land
Es ist kaum zu glauben, dass Serbien bis 1999 in den Balkankonflikt verwickelt war, spricht man mit Serben, hört man auch hie und da noch Geschichten „aus dem Krieg“. Es ist in jedem Fall ein fröhlicher Tagestrip, an der Grenze treffen wir zwei Deutsche mit Rad und ein englisches Paar mit dem Tandem, die einen auf dem Weg ins Donaudelta, die anderen haben Istanbul als Ziel.
An der bulgarischen GrenzeDie erste bulgarische Grenzstadt Bregovo, hinterlässt eher einen müden Eindruck, kaum Menschen auf der Straße, selbst Hunde lassen sich nicht blicken. Bis zur nächsten größeren Stadt Vidin sausen wir 25 km auf recht ordentlicher Straße dahin, auf dem Weg kommt es zu einer ersten Reparatur, ein Sattelklemmbolzen brach vom vielen Auf- und Zudrehen.
Ist es das trübe Wetter, ist es die Stadt Vidin, irgendwie kommt uns Bulgarien viel ärmer vor als Serbien und selbst Rumänien. Die Häuser des Ortes machen einen sehr vernachlässigten Eindruck, wir werden das erste Mal seit Beginn unserer Reise von Bettlern angesprochen und die Menschen blicken etwas düster drein. Später erfahren wir, dass der Norden Bulgariens zu den ärmsten Regionen des Landes gehört und von den Politikern in Sofia vergessen wurde. Im Norden wird in der Hauptsache Landwirtschaft betrieben, es gibt keine wirklich Geld bringende Industrie, na ja, so kommt dann eins zum anderen, wer nix hat, um den kümmert man sich auch nicht, jedenfalls in der Politik.
Aber halt: Vidin hat schon ein gerüttelt Maß an Geschichte auf seinen Schultern, von den Kelten gegründet, später von den Römern erweitert, mal zum Osmanischen Reich, mal zum bulgarischen Zarenreich gehörend, stolze Besitzerin der ältesten mittelalterlichen Burg Bulgariens, der Baba Wida, und der zweiten Donaubrücke nach Rumänien. Außerdem gibt es ein paar interessante Museen in der Stadt, die zudem Sitz des Nationalen Puppentheaters ist.

Die Donaubrücke 2 zwischen Vidin und Calafat (ROM)
Die Tagesetappe ist zu kurz, Campingplätze gab es einmal, die Hotels laden nicht zum Verweilen ein, wir fahren daher weiter. Geplant ist, eine Zeitlang der Donau zu folgen, vielleicht bis Ruse, um den in den Süden abzubiegen. Der nun kommende Teil des Donauradwegs ist sehr schön, obschon man kaum etwas von der Donau sieht, aber es geht recht flott über relativ gute Straßen voran. Wir passieren eine Menge kleinerer Dörfer und die Menschen winken uns zu, allerdings oft erst, wenn wir gegrüßt haben, dann winken sie jedoch umso heftiger. In Archar, einem Quellwasser-Pausekleinen Ort etwa 30 km hinter Vidin, lebt eine recht große Gemeinde von Sinti und/oder Roma, die dort am Stadtrand ihre Hütten und Häuser gebaut haben. Warum am Rande der Stadt in einer Art Ghetto, können wir zunächst nicht erfahren. Später erzählt man uns jedoch, dass diese Volksgruppe auch in Bulgarien keine allzu große Lobby hat (wie fast überall auf der Welt), Berichten zufolge erinnere die Diskriminierung der Zigeuner im Lande stark die Apartheid in Südafrika. So gebe es getrennte Schulklassen, keinen Zugang zu Schwimmbädern oder Restaurants, die Zigeuner lebten am Rande des Existenzminimums. Was davon stimmt, können wir nicht herausfinden, tatsächlich haben wir aber den Eindruck, dass uns die Zigeuner am freundlichsten entgegentreten, vielleicht haben sie mehr Verständnis und Interesse für Menschen, die frei in der Welt umherreisen. Und Archar ist ein weiteres schönes Beispiel für die Habgier des Menschen: Schon zur Römerzeit war der Ort, damals noch Ratiaria, nicht zuletzt wegen seiner Goldvorkommen eine prosperierende Siedlung und wechselte im Laufe der Jahrtausende seine Herrscher, wie andere Leute ihre Unterwäsche. In der neueren Zeit, die Gelüste nach Gold sind unausrottbar, fand man einige Goldmünzen und als die Regierung Bulgariens aus Geldnot ihre archäologischen Aktivitäten einstellen musste, rief dies illegale Schatzsucher auf den Plan, die ohne Rücksicht auf Verluste gruben, was die Schaufel hielt und dabei wertvolle historische Schätze zerstörten.
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Wir fahren indes weiter an der Donau entlang und als die Kräfte nachlassen, taucht in der Ferne aus dem Nichts ein Motel wie eine Fata Morgana auf. Als wir uns nähern springt ein junger Mann die Treppen des im
Storchennestbajuwarischen Stil gehaltenen Hauses hinab und ruft uns ein zünftiges „Grüß Gott“ im akzentfreiem Bayerisch entgegen. Sabine und ich sehen uns verwundert an, aber eigentlich wundert uns schon lange nichts mehr. Man trifft Deutsche doch in allen Winkeln dieses Planeten. Es stellt sich heraus, dass der Jüngling, in München geboren und aufgewachsen, seiner Mutter ins Heimatdorf Dobri Dol, einem gottverlassenen Flecken an der bulgarischen Donau, folgte. Die Mutter hatte hier ein Haus geerbt und dieses in ein Motel verwandelt. Allerdings vergaß sie beizeiten, dringend notwendige Verschönerungen an ihrer Herberge vorzunehmen und alles ist sehr einfach gehalten und zeigt deutliche Spuren des Zahns der Zeit. Das ist uns heute egal, wir sind mal wieder fix und fertig und einfach nur froh über eine Absteige. Irgendwie sind wir für wildes Camping immer noch nicht bereit oder einfach nicht geschaffen, wollen sehen, was die Zukunft bringt. Wie dem auch sei, das Zimmer ist eher mäßig, die Matratze anständig durchgelegen und die Wäsche vielleicht frisch, das Essen hingegen ist trotz seiner Einfachheit gut, es gibt riesige Portionen für ein paar Cents.
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Wir folgen der Donau, es geht über die alte Stadt Lom nach Kozloduj, zwischendurch erhascht mein einen Blick auf den Fluss, die Straße wird schlechter, es geht zudem auf und ab, die Temperaturen steigen auf über 28 Grad und kurz vor Kozloduj setzen wir uns einfach in den schattigen Straßengraben, um der Mittagshitze zu entfliehen. Kozloduj (wie fast alle Orte in der Gegend von den Thrakern gegründet) hat mehr Charme als Vidin oder Lom, dies hängt vielleicht mit dem dortigen Atomkraftwerk (das einzige Bulgariens) zusammen, die Leute strahlen hier mehr als in den vorigen Städten, wir gehen davon aus, dass das AKW vielen Leuten Jobs gibt und damit den Unterhalt sichert und gar für einen gewissen Wohlstand sorgt.
An diesem Tag radeln wir es noch bis Orjachovo an der Donau, allerdings gibt es den Campingplatz, der auf unserer Karte verzeichnet ist, nicht oder nicht mehr. Tollwütige Hunde scheinen sich hier jedoch wohlzufühlen, Sabine bekommt eine Krise und wir mutmaßen, dass es die Grenzfähre von Orjachovo nach Rumänien ist, die diesem kläffenden Wahnsinn ins Land bringt. Kein Campingplatz, viele Hunde, Sabine gestresst… Kurz vor Orjachovo dann ein nettes Hotel mit Namen Paradise. Hier treffen wir auch die Deutschen und Engländer wieder, die bereits einige Stunden eher eintrafen und noch ein Zimmer bekamen. Uns weist man die Tür mit der Begründung, das Hotel sei belegt. Komisch, außer den anderen Radlern ist hier niemand zu sehen…
Wir quartieren uns im Hotel Central in Orjachovo ein, eine ehemalige Kaderunterkunft der KP Bulgarien, die ihre besten Zeiten wohl noch zu Zeiten Präsident Kolarows (in den 50er Jahren) hatte, in der Rezeption steht sogar noch eine Büste Lenins auf dem Sims des längst erloschenen Kamins. Den Tipp mit dem Central hatten wir von drei Kfz-Mechanikern, die am Ortseingang stehen und auf Kfz-Kundschaft warten. Einer der Mechaniker stellt sich im Gespräch als Polizist heraus, der in seiner Freizeit einer zweiten Tätigkeit nachgehen muss, um seine Familie zu versorgen. Auf die Frage, ob der Beitritt Bulgariens zur EU keine Vorteile gebracht habe, antwortet er verbittert, dass es natürlich Vorteile gebe, indes nur für eine Handvoll Leute, die sich an den Geldern aus Brüssel schadlos halten. Als der Bürgermeister Orjachovos in einem amerikanischen Schlitten vorbeirauscht, seufzt unser Polizeiobermeister aus tiefem Herzen und zuckt mit den Schultern. Will man den Leuten in den ehemaligen Ostblockstaaten Glauben schenken, erhält man ein Bild von der EU, das einem Selbstbedienungsladen für Politiker und Unternehmer gleicht. Der kleine Mann (nach Hegel wiederholt sich Geschichte ständig) bleibt wie immer auf der Strecke.

Es geht nach…???

Kartenstudium

Freunschaften in Pavlikenni

Hotelzimmer-Chaos in Plewen
Manchmal ist einem das Radfahren verleidet, sei es, dass tags zuvor eine anstrengende Etappe zu absolvieren war, sei es, dass das Hinterteil schmerzt, der Gründe gibt es genug. Zurzeit aber leiden wir eher unter Schreibhemmungen, dafür gibt es wenig Gründe, außer vielleicht, dass der Kopf leer ist. Wie dem auch sei, wo waren wir stehen geblieben? Ah ja, Orjachovo !
Der nächste Tag beginnt mit einem kurzen aber heftigen Anstieg, nach zwei Kilometern sind wir bereits schweißgebadet. Die nächsten 30 Kilometer Richtung Knezha dagegen sind leichte Arbeit, wir fahren auf einer Art Hochebene, Felder so weit das Auge reicht. Zwischendurch fegt uns ein Propellerflugzeug, welches hier Insektenschutzmittel versprüht, fast von der Straße. Der Pilot hat uns wohl, wenn überhaupt, zu spät gesehen. Einige hundert Meter fahren wir mit angehaltenem Atem, der Gestank ist nasebetäubend und wir fühlen ein unangenehmes Kratzen im Hals. Vielleicht ist alles auch nur Einbildung…
In Knezha gibt es, außer Mittagessen, nicht viel zu tun, schnell werden wir wieder von Leuten umringt, die Interesse an unserem Vorhaben bekunden. Die Vokabeln aus dem Volkshochschulkurs Russisch sind schnell aufgebraucht und nach einiger Zeit ebbt das Interesse denn auch ab, Würstchen essende Radfahrer sind dann doch nicht so spannend, dass sie Attraktion für eine längere Zeit sind. Aus der sich auflösenden Menge schält sich noch schnell ein älterer Herr, der leidlich Deutsch spricht und uns seine Lebensgeschichte erzählt, ehemals staatlicher Touristikangestellter, Deutschlanderfahrungen aus DDR-Zeiten, jetzt Rentner und etwas gelangweilt, Knezha hat nicht so viel an Abwechslung zu bieten. Wir müssen den Mann seinem Schicksal überlassen und machen uns auf in Richtung Osten. Einige saftige Steigungen versperren uns noch den Weg nach Pleven, können aber bezwungen werden. Historisch hat Pleven vielleicht nicht so viel wie Lom oder andere Städte zu bieten. Allerdings war die Stadt entscheidend für den Ausgang des russisch-türkischen Krieges (1877-78), nach mehr als fünfmonatiger Belagerung wurden die Türken unter ihrem General Osman Pascha in Pleven belagert und mussten schließlich wegen Hungers kapitulieren, das Ende des Krieges folgte einen Monat später. In der Stadt kommen wir in einem inoffiziellen (?) Hotel des Militärs unter und bleiben auch gleich zwei Tage…, aus Regenerationsgründen. Pleven ist eine recht nette Stadt, es gibt eine Fußgängerzone mit vielen Freiluftcafés, in denen sich am Wochenende allerhand Volk tummelt. Außerdem sind gerade Abiturfeiern in Bulgarien, die Absolventen feiern das Ende ihrer Schullaufbahn mit Pomp und in feinster Garderobe. Wir hingegen spannen aus, waschen schmutzige Wäsche, ziehen an den Rädern ein paar Schrauben nach und futtern uns durch die bulgarische Haute Cuisine.
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Es ist wie verhext, schon wieder beginnt ein Tag mit einer lang gezogenen Steigung, warum kann man nicht mal ein paar Kilometer geradeaus fahren, um altes Gebein geschmeidig zu machen? Dann, Duplizität der Ereignisse, ein Plateau, welches uns nach mehr als 70 Kilometern nach Pavlikenni bringt. Es ist wieder einmal so ein Tag, der in die Rubrik „Keine besonderen Ereignisse“ fällt, denken wir zumindest. Man radelt und radelt, kauft sich etwas zu essen, verrichtet diverse Geschäfte, radelt weiter, hört auf Geräusche am Rad, keine besonderen Laute, man radelt weiter, ohne besonders darüber nachzudenken, was man tut und warum. Es geht eben weiter. Überhaupt ist ein Großteil des Reisens, sei es mit Rucksack in Bus oder Bahn oder mit dem Fahrrad, angefüllt mit …, sagen wir, Alltäglichem. Natürlich sieht man unterwegs oft Dinge, die andere nicht sehen (können), Bauern auf dem Feld in traditioneller Kleidung, fremde Speisen, Läden, die ein unbekanntes Warenangebot feilbieten. Nach gewisser Zeit wird dies aber zur Normalität, der Mensch gewöhnt sich dann doch schnell an sich verändernde Umstände. Nicht umsonst „bewegt“ man sich als Reisender; stets auf der Suche nach neuen Eindrücken. Oder man bleibt an einem Ort und wird Teil desselben und wundert sich über nichts mehr. Wahrscheinlich sind wir in der heutigen Zeit zu vielen – rasch aufeinander folgenden – Reizen ausgesetzt, ständig auf der Suche nach etwas Neuem, Unbekanntem, Spannendem. Vielleicht ist diese Suche eine Eigenheit des Menschen, was ihn letztlich dazu brachte, sich aufzurichten, der Blick auf den Boden gab nichts mehr her. Und wenn man sucht, findet man auch etwas, und oft genug kommt dieses „Etwas“ auf einen zu, ohne dass man sich darum bemühte.

Pavlikenni
Auf dem Marktplatz in Pavlikenni unterhalten wir uns laut darüber, wo wir übernachten und aus dem Nichts ertönt eine Stimme. „Sprechen Sie Deutsch?“. Gute Frage, parlieren wir doch in unserer Muttersprache! Die Stimme gehört einem älteren Mann mit ergrautem Haar, der uns – kleiner als Sabine – ein freundlich Lächeln schenkt. Er stellt sich als Alexander vor, wir können ihn auch Sascha nennen oder bei einem seiner anderen zahllosen Spitznamen. Er fragt nach dem Woher und Wohin, und bestimmt, dass wir für heute im örtlichen Park-Hotel unterkommen. Alexander lässt es sich nicht nehmen, Sabines Rad die 1500 Meter bergauf zum Hotel zu schieben, er regelt den Check-In, trägt unser Gepäck ins Zimmer, erklärt uns den Gebrauch des hoteleigenen Swimmingpools und verabschiedet sich mit der Bemerkung, wir müssten uns jetzt ausruhen, um 18 Uhr werde er uns abholen und in sein Haus einladen. Punkt. Wir sind etwas baff, folgen aber seinen Anweisungen. Am Swimmingpool sorgen wir mit unserer uneinheitlichen Hautfarbe (Radkleidung sei Dank) für
Pavlikenni-Bürgerinnenallgemeine Erheiterung, aber wir genießen einfach das kühle Nass, ein gutes Bier und sind in Erwartung der Ereignisse des Abends. Der zwar nicht so spektakulär wird, wie man vielleicht erwartete, dafür aber sehr nett. Alexander hat bulgarische Hausmannskost aufgefahren, ein paar Nachbarn eingeladen, darunter die örtliche Englischlehrerin, die sich redlich müht, alles zu übersetzen, was nicht in des Hausherrn deutschen Wortschatz passt. Wir sehen uns Familienfotos an und Alexander erzählt uns von seiner „Karriere“ als Rettungsschwimmer am Goldstrand (Schwarzmeerküste), zeigt seine Rettungsschwimmermedallien und erklärte, dass er den Rettungsschwimmernachwuchs Pavlikennis ausbilde, was er auch sofort unter Beweis stellte, indem er kurzerhand einige seiner Schützlinge anruft und einlädt. Alles in allem ist es ein lustiger und interessanter Abend und das, obgleich Alexander fast jeden seiner Sätze mit „Verstehen Sie, bitte!“ beendet und wir wissen bis heute nicht, ob es bei seiner Aufforderung um Verständnissicherung oder Toleranz geht. In jedem Fall nutzen wir auch heute noch diese Phrase und erinnern uns gerne an den netten kleinen Mann aus P. Tags darauf treffen wir ihn noch einmal, Bulgarien feiert den „Tag der Sprache“ oder so ähnlich, das ganze Kaff ist auf den Beinen, Reden werden gehalten, die besten Schüler und Lehrer geehrt und irgendwie erinnert alles an die gute alte sozialistische Zeit, in der nur die Arbeiterschaft gemeinsam und tatkräftig zum Wohle des Volkes und Vaterlandes…, man kennt das ja.
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Schließlich müssen wir uns von Sascha und seinem Freund Mitja verabschieden, es gibt noch ein paar Berge zu bezwingen und wir fahren alsbald in Veliko Tarnovo ein, ein echtes Highlight in Bulgarien. Ursprünglich wollen wir hier campen, es stellt sich aber heraus, dass der Campingplatz 8 Kilometer außerhalb der Stadt liegt, das ist dann doch zu weit weg und wir entscheiden uns für ein Hotel, welches zentral liegt und billig ist und darüber hinaus gemütliche Zimmer anbietet.
Veliko Tarnovo, im Mittelalter Hauptstadt des Bulgarischen Reiches und Keimzelle des Widerstandes gegen die Byzantiner, hat einen Haufen an Sehenswürdigkeiten zu bieten, darunter die Festung Tsvarets, einen ganzen Strauß an Kirchen und Klöstern sowie eine pittoreske, gut erhaltene Altstadt mit Häusern im typisch bulgarischen Stil. Darüber hinaus geht es in der Stadt, wenngleich touristisch, doch auch sehr gelassen zu und wir erholen uns zwei Tage in dieser interessanten und aufgeschlossenen „Metropole“ in der Mitte Bulgariens. Unserem Ansinnen, endlich Ersatzteile für unser Zelt sowie einiges an Radkleidung zu erstehen, kommen wir allerdings keinen Deut näher und wenigstens aus diesem Blickwinkel heraus sind wir nicht traurig, als wir am dritten Tag die Stadt verlassen.

Veliko Tarnovo / Bulgarien

Jantra-Fluss / Veliko

Abiturfeiern am Kriegsdenkmal
Nun geht es in die Berge, es gilt die Stara Planina (das Balkangebirge) zu überqueren. Da keiner von uns beiden diesbezügliche Erfahrungen aufweisen kann, wählen wir den Weg des geringsten Widerstandes und fahren auf der Bundestraße 55 Richtung Gurkovo, da diese Straße den niedrigsten Pass aufweist. Was allerdings zur Folge hat, dass sie auch von Lastwagen über Gebühr frequentiert wird und die Fahrt bis auf 700 Meter Höhe ist nicht nur wegen der Steigung kein großer Spaß. Sobald wir den „Gipfel“ erklommen hatten, setzte starker Regen ein und uns auf der 13 Kilometer langen Abfahrt zu. Wie bemerkte einst ein bekannter deutscher Fußballspieler treffend „Wenn man kein Glück hat, kommt noch Pech dazu“ Nach dem es wie aus Eimern goss, ist jedoch die Luft sehr frisch und so bestätigt sich wieder einmal, dass jede Medaille zwei Seiten hat.
Ein paar Kilometer hinter Gurkovo Richtung Süden und dann noch ein paar hinter Panichevero gibt es einen See, der – warumauchimmer – nicht bei Google Maps zu finden ist. Apropos, hier sei ein kurzer Einschub erlaubt: Eigentlich waren wir mit unseren Reisevorbereitungen bisher sehr zufrieden, ein dicker Fehler ist aber doch passiert. Wir glaubten, es sei sinnvoll, die Landkarten des zu bereisenden Landes in diesem zu erwerben, da sie genauer, detaillierter usw. seien. Fataler Irrtum. Man kann teilweise schon froh sein, wenn man Postkarten bekommt. Glücklicherweise hatten wir in Dresden ein Kartenheft über Osteuropa erstanden, Maßstab 1 zu 1 Million, also nicht gerade detailfreudig, doch immer noch besser als das, was uns ab der Tschechischen Republik angeboten wurde. Macht nix, wir haben immer noch die Sonne, den Kompass und einen Mund, um den Weg zu erfragen.
Doch zurück zum See, eigentlich ideal zum Campen, aber sobald wir glauben einen geeigneten Platz gefunden zu haben, kläffen irgendwo in der Nähe mindestens zwei Hunde und wir suchen das Weite. Die Angst sitzt uns immer noch im Rückenmark. Bevor wir den See verlassen, finden wir aber ein kleines Hotel, nicht teuer und zudem Schauplatz einer recht interessanten Begegnung.
Wir treffen zwei Deutsche, an sich nichts Besonderes, die beiden sind pensionierte Lehrer, auch nicht so spannend. Aber die Art ihrer Fortbewegung im Verein mit ihrem Alter lässt uns den beiden den nötigen Respekt zollen. Sie, beide bereits über 70 Jahre alt, sind nämlich mit dem Tretroller in Erfurt gestartet und auf dem Weg nach Istanbul. Hut ab, meine Herren. Ob man ihre Gefährte nun Tretroller nennt oder nennen kann, ist uns bis heute nicht bekannt, jedenfalls ähneln sie sehr den Geräten, die man als Kleinkind benutzte. Wir lachen auch herzlich darüber, als wir getreu wissenschaftlichen Untersuchungen, dass der sich Mensch mit zunehmendem Alter dem Kleinkindstatus nähert, zu dem Ergebnis kommen, dass sich dies wohl auch auf die Wahl der Fortbewegungsmittel bezieht. Wir lachen übrigens alle vier darüber. Als die beiden „Opas“ am nächsten Morgen starten, sieht das schon sehr seltsam aus, aber auch bewundernswert, nicht allein dieser etwas befremdliche Bewegungsablauf oder die vollgepackten Roller. Was uns vielleicht noch mehr fasziniert ist die Energie und der Unternehmungsgeist der beiden. Und im Geheimen keimt der Wunsch, dass man im Alter auch noch zu solchen Leistungen fähig sein möchte. Davon ist bei mir (Frank) zunächst keine Rede mehr, der ständige Wechsel zwischen Schwitzen und Frieren (bei den Abfahrten) fordert endlich seinen Tribut, ich habe mich gut erkältet und das Radfahren wir nun zur Qual. Hinzu kommt, dass die Temperaturen deutlich steigen, nach 20 Kilometern fühle ich mich schon, als hätte mich ein Bus überfahren. Irgendwie schaffen wir doch noch knapp 70 Kilometer, in Galabovo ist dann aber Feierabend, ich falle fast vom Rad und wir müssen erst einmal zwei Nächte im Ort bleiben. Galabovo hat eigentlich außer einem Kraftwerk nichts zu bieten, wäre da nicht dieses wunderschöne Hotel.
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Zum ersten Mal sollte man einen Namen nennen, Villa Verde, stilvoll eingerichtet, sehr freundliches Personal und gutes Essen, wir fühlten uns für zwei Tage wie zu Hause. Dieses Hotel hat jeden seiner drei Sterne verdient, der Übernachtungspreis ist dagegen fast lächerlich. Aber genug der Werbung. Die Tage vergehen zu
Campingplatz in Biserschnell, meine Erkältung steckt mir noch in den Knochen, als wir uns in Richtung türkische Grenze aufmachen. Das Radfahren ist weiterhin anstrengend, selbst kleine Anstiege machen das Atmen schwer und wir sind froh, dass kurz hinter Harmanli ein Schild auf einen Campingplatz verweist, eigentlich kaum zu glauben, hatten wir doch nicht so viel Glück mit derartigen Einrichtungen in Bulgarien. Wir glauben daher zunächst an einen Scherz oder das es mal einen solchen Platz gab und der frühere Betreiber vergaß, die Schilder zu entfernen. Aber in Biser (Nachtrag: der Ort wird 2012 durch eine Flut fast völlig zerstört), knapp 40 Kilometer vor der Grenze gibt es tatsächlich einen Campingplatz. Geführt wird die Anlage von einem Briten, dessen Eltern…, wir haben die genauen Umstände vergessen. Es ist aber schön, endlich mal wieder zu zelten und im Laufe des Tages füllt sich der Platz gar mit Reisenden aus alle Herren Länder. Interessant war insbesondere eine holländische Familie, die in Frankreich lebt und mit ihren zwei Sprösslingen ein Jahr lang in einem Camper Europa und Vorderasien bereist(e). Lustig auch ein älteres Ehepaar aus Zwickau, deren erste Aktion nach ihrer Ankunft mit ihrem Wohnwagen das Aufstellen einer gewaltigen Satellitenschüssel war, sodass der Pater Familias das Formel-Eins-Rennen live verfolgen konnte.
Der letzte Tag in Bulgarien zeigt sich noch einmal von einer guten Seite, in dem er uns Rückenwind beschert und wir auf dem Standstreifen einer Art Autobahn bis zur Grenzstadt Svilengrad dahinsausen, dort die übrig gebliebenen bulgarischen Rubel tauschen und uns endlich zur türkischen Grenze aufmachen.
Etappen: 8
Anstieg: 2756m | Abstieg: 2767m
Datum | Etappe von – nach | km | km total | Zeit | HöhM | Temp. | |
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19.05.2011 | Negotin – Dobri Dol / Добри Дол (BUL) | 83:22 | 2522 | 5:39 | 270 | 25° | P |
20.05.2011 | Dobri Dol – Orjahovo / Оряхово | 99:93 | 2621 | 6:35 | 456 | 26° | H |
21.05.2011 | Orjahovo – Pleven / Плевен | 79:29 | 2700 | 5:20 | 341 | 26° | H |
23.05.2011 | Pleven – Pavlikeni / Павликени | 73:99 | 2775 | 4:26 | 351 | 26° | H |
24.05.2011 | Pavlikeni – Veliko Tarnovo / В. Тарново | 36:98 | 2812 | 2:23 | 305 | 25° | H |
26.05.2011 | V. Tarnovo – Panicevero / Паничеверо | 75:23 | 2887 | 5:07 | 717 | 24° | H |
27.05.2011 | Panicevero – Galabovo / Галабово | 65:63 | 2953 | 3:57 | 210 | 26° | H |
29.05.2011 | Galabovo – Biser / Бисер | 42:94 | 2996 | 3:05 | 160 | 27° | C |