Ab in die Karpaten…
Rumänien… ein weiteres unbeschriebenes Blatt in unserem Reisetagebuch und wir wissen nicht, was uns erwarten wird. Ein wenig ist aus dem Geschichtsunterricht und den Nachrichten aus den 90ern hängengeblieben, natürlich kommen schnell Ceaușescu und seine Geheimpolizei Securitate und deren Untaten in den Sinn, Versorgungskrisen und Armut, Unterdrückung von Minderheiten (na ja, wo gibt es die nicht?), Personenkult, Rumänische Revolution und die Wirren danach…, nicht gerade Begriffe, die mit einer positiven Bedeutung belegt sind. Wie sieht es jetzt in Rumänien aus? Die Straßen sind bestimmt sehr schlecht, das Essen (ein wichtiger Faktor für uns) ohne Zweifel sehr simpel (Kohl, Kohl und Kohl), die Menschen… Ungute Gefühle oder gar Besorgnis werden stets aus Unwissenheit geboren und in den nächsten Tagen werden unsere heimlichen Vorurteile dahinbröseln wie altes Brot. Tatsache ist sicherlich, dass Rumänien nicht zu den reichen Ländern Europas gehört und das wohl auch noch für lange Zeit.
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Die Grenzformalitäten sind – Europa sei Dank – sehr informell, wir winken dem Grenzer zu und kämpfen uns gegen eine steife Brise nach Sânnicolau Mare. Der Ort sieht im hellen Sonnenlicht sehr freundlich aus und in der Fußgängerzone herrscht rege Betriebsamkeit. Als wir uns am Bankautomaten in die lange Schlange einreihen (ist heute Zahltag?), werden wir nicht gerade umringt, aber doch aus den Augenwinkeln neugierig beobachtet. Allerdings nicht wegen des Geldes, das uns der Automat zur Verfügung stellt, es ist vielmehr unsere Erscheinung, die schwer bepackten
An der Grenze zu RumänienRäder, die Radkleidung, die sonnenverbrannte Haut, das sieht wohl alles ziemlich verwegen aus. Eigentlich ein Ort zum Verweilen, aber 25 km sind nicht viel Tagespensum und wir machen uns auf den Weg nach Şandra, wo es eine Pension namens „Schwabenhaus“ geben soll. Gibt es auch, die Herberge entpuppt sich als umgebauter Bauernhof, aber die Zimmerpreise lassen uns tief durchatmen. 190 Lei, also fast 50 Euro, ist eine Stange Geld, die Zimmer locken aber mit einer Art von Luxus und wir glauben, das die erste Nacht mit einem guten Gefühl in einem fremden Land bestimmend für die nächste Zeit ist. Außerdem sind wir für heute sowieso zu faul, weiterzufahren oder etwas anderes zu suchen. Zur Nahrungsaufnahme begeben wir uns in das dörfliche Restaurant, es gibt gegrilltes Schnitzel mit handgefertigten Pommes Frites und Salat und das Ganze für eine kleine Handvoll Lei. War nix mit Kohl! Unser Auftritt in der Dorfschänke ist im klassischen Western-Stil: Die Tür öffnet sich mit einem Quietschen, die Musik hört auf, Gespräche werden abrupt beendet und etwa 15 Augenpaare blicken auf uns und erwarten eine Reaktion. Draußen pfeift der Wind und treibt lose Tumbleweed-Büsche durch die Hauptstraße. Wir rufen „Guten Abend“ auf Rumänisch, die Leute sind zufrieden, wir werden integriert und der Lärm kehrt zurück. Im Laufe des Abends lernen wir eine Menge Leute kennen, die Hälfte ist des Deutschen leidlich mächtig (entweder deutsche Wurzeln oder schon in Deutschland bzw. Österreich gearbeitet), Runden werden gegeben, kurzum: es wird ein lustiger Abend.
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Schweren Herzens verlassen wir das butterweiche Daunenbett des Schwabenhauses und schlagen uns auf der DN6 bis nach Timişoara durch. Die Tour wird nicht lang, schlappe 40 Kilometer haben wir für heute zu bewältigen, aber im Einzugsbereich Timişoaras ist das Radfahren auch nur bedingt erheiternd. Die Stadt im Westen Rumäniens in der
Orthodoxe Kirche bei LovrinRegion Banat kann getrost als deren historisches und kulturelles Zentrum bezeichnet werden. Na ja, genau genommen gibt es den Vielvölkerstaat Banat gar nicht mehr, nachdem er zum Ende des Ersten Weltkriegs zerstückelt wurde und der größte Teil an Rumänien fiel. Timişoara, stets Spielball irgendwelcher Invasoren und mehrfach zerstört wartet heute mit nicht weniger als 14000 historischen Gebäuden auf, die aber zum großen Teil stark renovierungsbedürftig sind; das liebe, aber fehlende Geld. Die vielen Bauwerke im Stile des Barock und der Renaissance sowie der serbischen Architektur sorgen dafür, dass die Stadt schon lange als „Klein Wien“ bezeichnet wird und in der Tat: mit seinen schönen Häusern, den mit Kopfstein gepflasterten Straßen und dem quirligen Treiben auf den Plätzen erinnert der Ort stark an Österreichs Hauptstadt, en miniature, wohlgemerkt. Und: Timişoara hat wenigstens einen guten Outdoor-Shop (in Symbiose mit einem Fahrradladen), in dem es wirklich alles zu kaufen gibt, was zum Reisen nötig ist, gratis hingegen sind wertvolle Informationen und ein herzlicher Umgangston. Ein Verkäufer, selbst Fernradler, lässt es sich nicht nehmen uns mit einer Landkarte Rumäniens zu versorgen, die er rasch in einem Buchladen um die Ecke ersteht. Außerdem erfahren wir, dass es in Timişoara einen Campingplatz gibt, aber man warnt uns, der Platz mutiere bei Anbruch der Dunkelheit in eine Art Rotlichtbezirk. Wie auch immer, wir schlafen in dieser Nacht so gut, dass uns das rote Licht nicht stört. Schuld daran ist vielleicht die Flasche Rotwein, die wir mit einem holländischen Paar leeren. Profifotografen, sind mit einem Camper auf dem Weg nach Südafrika, beruflich, sie erstellen Fotodokumentationen EU-finanzierter Projekte in Osteuropa und Afrika.
Ab Timişoara verlassen wir die Magistrale, so eine Art Landstraße, nun geht es über die Dörfer und wir erfahren erstmalig, dass Parkplätze rumänische Müllsammelstellen zu sein scheinen, was schon schlimm genug ist. Darüber hinaus sind sie auch das Revier wilder verwilderter Hunde, ein Problem, mit dem wir uns bisher nicht konfrontiert sahen. Ab dem Dorf Izgar werden auch die Straßen schlechter und wir fahren nun des Öfteren um Hunde und Schlaglöcher herum Slalom. In Bocsa gibt es mal wieder eine Begegnung der anderen Art, Sabine und ich stehen am Straßenrand und beraten das weitere Vorgehen. Ein Fenster öffnet sich, ein altes Mütterchen schaut heraus und nimmt in (fast) akzentfreiem Deutsch an unserer Unterhaltung teil, weist uns den Weg zu einer Pension, verabschiedet sich und schließt das Fenster. Wir schauen uns an und fahren in Richtung dieser Unterkunft, treffen aber vorher auf eine andere, soeben eröffnete Pension, die sich zunächst als Glücksfall herausstellt. Erschwinglich, nah und sehr gutes Essen! In der Nacht zeigt sie allerdings ihr wahres Gesicht, es ist ein Treffpunkt örtlicher Livemusik-Bands und wir werden bis in die Frühe mit wenigstens 200 Dezibel rumänischer Fusion-Musik beschallt. Am nächsten Morgen können wir kaum die Landkarte lesen, die Augen sind dick geschwollen und es ist ein Wunder, dass wir unser heutiges Etappenziel finden.
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Ab Reșița, eine ehemalige Stahlstadt, verlassen wir den Fluss Bârzava und seine feinen Auen und es geht auf der N58 in die Banater Berge Richtung Carașova am Rande des Nationalparks Semenic-Cheile Carașului. In Carașova, das fast ausschließlich von Slawen bewohnt wird, futtern wir eine Pizza „Made in Romania“ und gehen wohl gestärkt den zweiten und schwereren Teil der Tagesetappe an. Es ist jetzt glühend heiß, der Asphalt droht sich zu verflüssigen und es geht über etwa 7 Kilometer nur noch bergauf. Irgendwann zeigt der Höhenmesser 700 Meter, was nicht viel ist, für uns alte Unsportler aber ein Anlass, die weiße Fahne schon einmal in Griffnähe zu legen. Der Weg schraubt sich in Serpentinen nach oben und hinter jeder Kurve ersehnen wir, dass es wieder bergab geht…, leider Fehlanzeige. Zwischenzeitlich ist es so heiß, dass wir uns in den Schatten eines Busches setzen, Bäume sind rar, und in den nächsten 2 Stunden umkreisen wir den Busch, dem Lauf der Sonne und dem Schatten folgend. Noch einmal geht es auf das Rad und dann sind wir auch „oben“, es folgt eine längere Abfahrt an deren Ende wir Anina vermuten, leider auch ein Trugschluss, bis dorthin sind noch einmal 350 Höhenmeter zu überwinden. Völlig verschwitzt und abgekämpft leisten wir uns die einzige Pension des Ortes, eine Dusche tut dringend Not und die Fahrradtrikots müssen ausgewrungen werden…
Anina oder Steierdorf (benannt nach der Herkunft der Köhler, die im 18 Jh. aus der Steiermark kamen und hier angesiedelt wurden) ist eine Bergbaustadt, deren letzte Zeche 2006 geschlossen wurde und die sich jetzt im Tourismus versucht. Viel ist im Dorf selbst nicht zu sehen, aber die Straße von Anina nach Iablanița hält eine Belohnung parat, es geht zu Beginn fast 20 km nur bergab, vorbei an kleinen Dörfern mit Seen, in denen sich die Berge der Karpaten spiegeln, Schafherden, in deren Mitte sich die Hirtenhunde wie toll gebärden, wenn sie uns sehen. Bald ist Iablanița erreicht und wir sind wieder auf der Magistrale Richtung Baile Herculane und Donau. Am Ende stehen über 100 km auf der Uhr und nahe B. Herculane, einem Dorf mit einer Therme, in der schon Kaiserin Sissi ihren zarten Körper netzte, finden wir einen Campingplatz, der von einem Deutschen geführt wird und der sich als interessanter Gesprächspartner outet.
So erzählt er, dass er bereits seit den Neunzigern in Rumänien lebt, vorher ein Heidengeld als Wasauchimmer verdiente, diverse Minister der rumänischen Regierung als seine Freunde betrachtet(e), mehrere Romane über die Securitate geschrieben hat und und und… Er weiß recht kurzweilig zu erzählen, fragt allerdings nicht ein einziges Mal, wer wir seien oder wohin wir wollten. Letztlich ist die Unterhaltung recht spannend, aber etwas einseitig und eigentlich keine Unterhaltung im Sinne eines Dialogs. Wir erfahren dafür aber eine Menge über das Leben in Rumänien, die Armut, Korruption, EU-Beitritt und die damit verbundenen Probleme und die Unzuverlässigkeit rumänischer Handwerker, was zur Folge hat, dass er die elektrische Anlage des Campingplatzes selbst installierte und wartet. Das ist deswegen ganz interessant und auch etwas witzig, weil wir an diesem Abend nicht duschen können, da der gesamte Duschbereich unter Strom steht und uns die Haare zu Berge treibt, sobald wir das Wasser aufdrehen und die Füße nass werden. Es gibt daher nur eine Katzenwäsche am Geschirrspülbecken, das – Gott sei Dank – in ausreichender Entfernung zum Sanitärbereich und jeglicher Stromversorgung liegt. Der Campingplatz hat neben diesem Vorzug noch eine weitere Attraktion, er liegt unmittelbar neben einer Zementfabrik (oder ähnlichem), wir erkennen unser Zelt, ehemals Grün in Farbe, am nächsten Morgen kaum wieder.
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Auf dem Weg von B. Herculane nach Orșova, knapp 20 km, haben wir noch ein ganzes Bündel an Erlebnissen mit rumänischen wilden Hunden und wir erreichen Orșova mit einem Puls von wenigstens 350, a) weil uns das Herz mehrfach in den Untergürtelbereich rutscht und b) wir wie die Teufel fahren, um die Hunde zu passieren, bevor sie uns bemerken. Geht nicht immer gut, einige Male werden wir von Rudeln bis zu fünf Hunden gejagt. Als Radfahrer und Angsthase hat man es in Rumänien leider nicht sehr einfach. Dies und der einsetzende Regen sind dafür verantwortlich, dass wir in Orșova erst einmal 2 Tage pausieren und wir stellen für uns fest, dass das Radfahren mit dieser Bedrohung keinen richtigen Spaß macht (auch wenn es vielleicht keine ernsthafte Bedrohung sein sollte). Wir fühlen uns auch ungerecht behandelt, immerhin laufen wir nicht hinter den Hunden her, schreien sie an und versuchen in ihre Beine zu beißen. In einem Supermarkt erstehen wir einen hölzernen Besenstiel, den wir teilen und als Schlagstock verwenden wollen, nicht die feine Art, aber irgendwie haben wir diese Kläfferei und Verfolgungsjagden satt, Instinkt von Tieren hin und her, die sollen sich gefälligst auch integrieren, das wird heutzutage ja von allen verlangt. Der Einfall mit dem Besenstiel stellt sich übrigens später als rechter Flop heraus.
Orșova liegt in der Nähe des „Eisernen Tores“, einer natürlichen Verengung des Flusslaufes. An dieser Stelle befindet sich auch ein kleines Kloster und eigentlich wollten wir diesen Platz zusammen besuchen, bei Sabine liegen allerdings die Nerven wegen der Köter blank, also fahre ich alleine und das ist auch gut so. Die 36 km hin und zurück sind ein Spießrutenlauf, hinter jeder Kurve lauern ganze Gruppen wildgewordener Hunde und ich bahne mir den Weg besenstielschwingend bis zum Eisernen Tor. Dort kann ich Luft holen, ein paar Fotos machen und besenstielschwingend zurück nach Orșova fahren, wo ich zu dem Schluss komme, dass der Stiel nichts taugt. Ein besseres Ergebnis erziele ich mit meiner Verpflegung, die ich einer besonders wilden Gruppe von Hunden zum Fraß vorwerfe und mich aus dem Staub mache. Eigentlich planten wir, noch eine ganze Weile in Rumänien zu bleiben und wenigstens bis in den Dunstkreis von Bukarest zu fahren, aber jemand erzählt uns, in Serbien gäbe es kein Hundeproblem. Wir rasen daher im Höllentempo die 18 km bis zur serbischen Grenze, an verdutzten Hunden und Grenzbeamten vorbei und halten den serbischen Zöllnern völlig atemlos unsere Pässe unter die Nase und holen in Serbien tief Luft, bevor wir uns über Kladovo und Negotin nach Bulgarien aufmachen. In Kladovo werden wir auf der Landstraße mehrfach von einem Menschen mit einer großen Kamera gefilmt und auf Nachfrage erklärt er, er drehe einen Film über touristische Aktivitäten der Region. So kommt man in Serbien ins Fernsehen!
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Fazit: Rumänien ist ein tolles Land, die Menschen sind (trotz oder wegen ihrer Probleme) sehr nett, die Landschaft ist schön und das Essen wider Erwarten abwechslungsreich und lecker. Wir fanden das Land noch unentdeckt vom Massentourismus, was Segen und Fluch zugleich ist, Segen, da die Bevölkerung noch herzlich und natürlich gegenüber Fremden ist, Fluch, da die touristische Infrastruktur noch in den Kinderschuhen steckt.
Etappen: 8
Anstieg: 1853m | Abstieg: 1889m
Datum | Etappe von – nach | km | km total | Zeit | HöhM | Temp. | |
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11.05.2011 | Makó – Şandra (ROM) | 58:84 | 2014 | 3:51 | 20 | 24° | P |
12.05.2011 | Şandra – Timişoara | 37:63 | 2052 | 2:28 | 50 | 24° | C |
13.05.2011 | Timişoara – Bocşa | 79:81 | 2132 | 5:06 | 306 | 21° | P |
14.05.2011 | Bocşa – Anina | 57:13 | 2189 | 5:06 | 820 | 25° | P |
15.05.2011 | Anina – Băile Herculane | 101:91 | 2291 | 6:36 | 425 | 24° | C |
16.05.2011 | Băile Herculane – Orşova | 24:69 | 2315 | 1:36 | 116 | 20° | P |
17.05.2011 | Orşova – Dubova – Orşova | 36:50 | 2352 | 2:00 | 348 | 20° | P |
18.05.2011 | Orşova – Negotin / Неготин (SRB) | 86:39 | 2438 | 5:47 | 315 | 27° | P |