Lust oder Last
Wir verlassen die Herberge in aller Frühe, den Sani-Pass im Blick und die Hosen voll ob der Dinge, die unserer harren. Im Vorhinein bekommen wir einen ganzen Strauß guter und gut gemeinter Ratschläge, das Bouquet besteht aus Warnungen, der Pass erfordere viel fahrerisches Geschick, als Newbies hätten wir keine Chance… Schluck. Andere wiederum machen uns Mut, einfach losfahren, in den Kurven lenken und über Felsbrocken hinüber…
Wir überlegen kurz und starten, umkehren könnten wir immer noch, glauben wir. Die ersten Kilometer sind sehr einfach, kurz hinter der Sani Lodge hört die Teerstraße auf, die Schotterstraße verursacht in unserem Landy zwar einen Heidenlärm, ist aber keine exorbitante Herausforderung. Ab der Hälfte der Strecke ändert sich das Bild etwas, immer öfter finden sich größere Felsbrocken auf der Piste, die zu um- oder überfahren sind, kleine Flüsschen nehmen wir mit Schwung. Sabine steigt von Zeit zu Zeit aus, um mich bei gefährlichen Passagen mit wirren Handzeichen zu beunruhigen. Wir werden aber immer sicherer, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass andere Reisende in einem Höllentempo an uns vorbeirasen. Die Hälfte der Strecke ist schließlich geschafft, am Wagen ist noch alles dran und wir sind nur leicht bis mittelschwer ertaubt.
Egal, der südafrikanische Grenzposten ist in Sichtweite, man drückt uns einen Ausreisestempel in den Pass und munter nehmen wir wieder Fahrt auf. Am Hämorrhoiden-Hügel haben wir schon fast 700 Höhenmeter bewerkstelligt und einen wundervollen Ausblick auf Südafrika hinter und die Drakensberge vor uns. Auf den nächsten acht Kilometern müssen wir nun 17 Serpentinen und 1000 Meter Höhendifferenz bewältigen. Richtig kniffelig wird es ab der Suicide-Bend in 2400 Meter Höhe. Jetzt beginnen die „gefürchteten“ Haarnadelkurven, allesamt grobschottrig und zum Teil so eng, dass sie – jedenfalls von uns – oft nicht im ersten Schwung genommen werden können, wir rangieren, setzen vor, zurück und zur Seite, bis uns bald der Schweiß in Bächen von der Stirn rinnt. Die Big Wind Corner bei Höhenmeter 2830 nehmen wir dann doch recht elegant und sind schlussendlich am Sani-Pass (2873m), dem höchsten seiner Art in Südafrika. En passant: Auf dem Sani-Pass verläuft zudem die Wasserscheide zwischen Atlantik und Indischem Ozean.
Der lesothischen Grenzposten ist eher unspektakulär, ein Haus mit einem offenen Fenster, durch welches man seinen Pass und ein paar Geldscheine reicht und nur seinen Pass zurückbekommt. Kein Jubel, keine Fanfaren oder bunte Transparente, die die Arbeit der letzten Stunden angemessen würdigen. Dafür wird man aber mit dem höchstgelegenen Pub Afrikas, dem „Sani Top Chalet“ belohnt. Jeder, der es bis hierher schafft, macht ein Foto von diesem Pub und trinkt ein Bier oder wenigstens einen Kaffee. Nachdem wir unseren intus haben, krabbeln wir noch ein wenig am Steilhang der Drakensberge herum, machen etwa eine Million Fotos von den Serpentinen und den umliegenden Berggipfeln und sind bald wieder hinter dem Steuer, irgendwie müssen wir heute noch eine Unterkunft finden.
Vielleicht gab es eine Zeit, da dachten wir bei Lesotho an eine Automarke oder suchten das Land im Atlas unter dem Kapitel Südamerika. In jedem Fall ist das Land für uns ein Buch mit sieben Siegeln; ein Buch, das nun offen vor uns liegt und hoffentlich seine Geheimnisse preisgibt. Nachdem wir das Sani Top Chalet verlassen und ein Basotho-Dorf durchquert haben, wissen wir nicht so genau, wohin wir fahren sollen. Zwar haben wir uns in Witbank eine Landkarte Lesothos gekauft, aber was hier im Land zu sehen ist, ist uns nicht wirklich bekannt. Da gibt es wohl ein paar Nationalparks, um die Hauptstadt Maseru herum mag es auch einige Sehenswürdigkeiten geben, wir hörten von Qachas Neck und Malealea, aber…
Das ist auch erst einmal egal, vom Sani Pass führt sowieso nur eine Straße ins Landesinnere und dieser folgen wir dann auch. Flora und Fauna sind in dieser Höhe etwas reduziert, es gibt nur Wiesen und ein paar Blumen, indes keine Bäume. Außer
Passhöhe am Sani-PassSchafen, ein paar Krähen und Fliegen sind auch keine Tiere zu sehen, alles erinnert ein wenig an das tibetische Hochplateau. Wir holpern auf der Schotterstraße Richtung Matsoaing, unterwegs treffen wir einen der Basotho-Hirten, die hier allgegenwärtig sind, Frank behauptet, er sei in den nächsten Tagen nicht einmal austreten gewesen, ohne wenigstens die Stimme eines Hirten gehört zu haben. Wahnvorstellungen? Höhenkrankheit? Der Hirte, eingehüllt in eine Decke und angetan mit Gummistiefeln, lässt sich gerne fotografieren, gegen Bares und ein paar Zigaretten. Soll er doch, wir wollen etwas von ihm und er von uns, wenn Menschen ihr Recht am eigenen Bild zu Geld machen, ist das nur legitim. Es wird umso verständlicher, wenn man sich bewusst macht, wie arm die Menschen hier sind. Lesotho ist immer noch eines der unterentwickeltesten Länder der Welt, fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und hat keinen Job, die Weltwirtschaftskrise hat auch Lesotho schwer erwischt, erst seit 2010 ist eine Besserung der wirtschaftlichen Lage in Sicht. Wir sahen viele Menschen betteln, hören später aber auch, dass es sich bei diesem Verhalten um ein Legat südafrikanischer Touristen handeln soll, die Geld und andere „Geschenke“ wie Konfetti in die Menge warfen. Wer weiß…
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Das Dorf Matsoaing kommt in Sicht und mit ihm die rosa blühenden Pfirsichbäume vor den Rondavels (Rundhütten). Diese Rundhütten (in Lesotho mokhoro) werden traditionell aus Materialien hergestellt, die die Umgebung so hergibt, in der Regel also Stein, der Mörtel besteht aus Sand, Erdboden und Kuhdung, das Dach ist grasgedeckt.
Ein paar hundert Meter hinter dem Dorfausgang stoßen wir auf eine Kreuzung und an die Grenzen unserer Fähigkeit, Landkarten
Basothischer Hirte – Posingzu lesen und Entscheidungen zu treffen. Ein Dorfbewohner erhellt das Dunkel in Bezug darauf, wohin diese Straßen führen, die Entscheidung, welchen Weg wir denn auch tatsächlich nehmen, kann er leider nicht für uns fällen. Allerdings weiß er ganz in der Nähe die St. James-Lodge, auf deren Grund man auch campen könne. Da es schon dämmert, biegen wir also nach links ab, es geht steil hinunter und über einen Fluss und steil wieder hinauf. Ein Schild verweist auf St. James, wir folgen dem Hinweis und stehen vor einer Missionsstation. Die Kinder, die hier herumtollen, wissen selbstverständlich nichts von einer Lodge…. Den ganzen Weg wieder zurück, Berg runter, Fluss rüber, Berg rauf. Glücklicherweise steht der Mann noch am selben Platz, an dem wir ihn verließen…, als ob er auf uns gewartet… Er fuchtelt mit den Armen herum und erklärt, wir seien falsch abgebogen. Na, das sind ja mal Neuigkeiten… Was hilft es, Berg runter, Fluss rüber, Berg rauf, nicht abbiegen, geradeaus, dann abbiegen. Es geht noch einmal Hügel abwärts und wir sind an der St. James-Lodge.
Es scheint jedoch niemand im Haus zu sein, wir rufen und rufen und finden uns schon damit ab, unseren Landy einfach in den Garten zu stellen und dort zu campen. Das Zelt ist schon aufgebaut, als eine schwergewichtige Mamsell erscheint, uns um die Gebühren erleichtert und die Lodge erklärt. Das zweigeschossige Haus ist leer, weil Nebensaison; es gibt keinen Strom, Wasser zum Duschen wird durch das Verbrennen von Eseldung bereitet und wir dürfen unser Abendessen in der Gemeinschaftsküche bei Kerzenschein bereiten. Noch während wir brutzeln, ist die Mamsell wieder verschwunden und wir sehen sie auch nie wieder. Unser Dinner nehmen wir im Garten ein, im Haus ist es zu dunkel und der Sternenhimmel zaubert eine ziemlich romantische Atmosphäre.
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Zum Frühstück hocken wir über unserem obligatorischen Müsli und der Landkarte. Die Frage nach der Weiterfahrt ist bald geklärt, wenn wir der Straße nach Süden folgen, liegen ein paar schöne Pässe und wahrscheinlich malerische Landschaften vor uns. Diese Straße führt allerdings auch ins Nichts, wir müssten mithin den gleichen Weg zurückfahren. Zweifelhaft ist, ob es unterwegs Tankstellen gibt und ein Blick auf die Tankuhr zeigt, dass die Fahrt ein Va-banque-Spiel wäre. Unser Auto macht uns die Entscheidung noch leichter, in der Nacht hat sich die Flüssigkeit für die Servolenkung durch ein Loch im Schlauch verabschiedet, sodass wir das Fahrzeug nur noch mit Mühe steuern können. Wo soll das noch enden? Und wo gibt es in Lesotho eine Werkstatt, die sich mit Land Rover-Servolenkungen auskennt? In Schleichfahrt geht es zunächst zurück zur Kreuzung, unser Bekannter steht immer noch (oder schon wieder?) dort. Wir berichten von unserem Malheur und er rät uns, nach Mokhotlong zu fahren, er wisse da eine Werkstatt, die vielleicht helfen könne. Allerdings müssten wir ihn in die Stadt mitnehmen, die Werkstatt sei nicht ohne weiteres als solche erkennbar.
Recht hat er, in Mokhotlong halten wir in einer Gegend, in die wir so vielleicht nicht gefahren wären, die Bretterbuden und Müllberge wirken weder einladend noch vertrauenerweckend. Die Jungs (das waren sie wirklich) machen aber einen guten Job, Schläuche werden zurechtgeschnibbelt und getauscht, irgendwoher wird Servo-Flüssigkeit organisiert und wir zahlen einen fairen Preis für die Reparatur. Angesichts dieses neuerlichen Problems mit dem Wagen ist uns indes die Lust auf Lesotho schon vergangen, das Land ist sehr rau und unser Auto vielleicht zu zart besaitet, wer weiß, ob wir noch einmal so viel Glück haben; beim nächsten Problem mit dieser Karre steht vielleicht niemand an einer Kreuzung und hilft. Also bleiben wir lieber auf der Teerstraße und fahren über Oxbow und Butha-Buthe wieder zurück nach Südafrika, gehen dort zu einer guten Werkstatt oder verkaufen dieses Mistding einfach. Haben unbeseelte Dinge doch eine Seele? Weiß unser Landy, dass wir arg mit ihm sind? Er schnurrt jedenfalls auf den nächsten Kilometern wie eine Nähmaschine, die Lenkung geht wie frisch geölt und fast bereuen wir unseren Entschluss, das Land zu verlassen. Na ja, mal sehen.
Bilder aus Lesotho
Etwa 70 Kilometer schlängelt sich die Straße durch mehr oder weniger unberührte Natur, das Auto brummt lustig vor sich hin und wir werden schläfrig. Bald aber gibt es Abwechslung, in Form oder Gestalt der Letseng Diamantenmine. Genau genommen sieht man nicht viel oder fast gar nichts, ein paar Hütten, LKWs, Staub und Steine. Später lesen wir, dass hier der Lesotho Promise ausgebuddelt wurde, ein weißer Diamant mit 603 Karat (121g), der es in der Weltrangliste immerhin auf Platz 15 schafft. Seit einiger Zeit fahren wir bergan und ein paar Meilen später stehen wir am Tlaeng Pass (3251 m), dem höchsten Pass im südlichen Afrika. Dazu muss man aber auch ein Schild aufstellen, eigentlich bekommt man das gar nicht mit, dass man den Pass erreicht hat, etwas unspektakulär. Ein wenig spannender wird es dann bei Kilometer 94, wir sind im größten und modernsten Wintersportressort im südlichen Afrika angekommen. Das klingt unglaublich, ist aber wahr. Im Afri-Ski-Ressort gibt es zwei Skilifte und eine Piste für Snowboarder, 2010 finden hier die südafrikanischen Skimeisterschaften statt! Als wir am Ressort vorbeifahren, liegt sogar noch etwas Schnee…
Wir haben noch einige Pässe über 3000 Meter zu überwinden und passieren Oxbow, ein El Dorado für Jäger, Vogelbeobachter und Skilangläufer. Die Landschaft ist hier, anders als am Tlaeng Pass, sehr schön, es gibt sogar Wald und langsam aber sicher lassen wir die Highlands hinter uns. Waren die Dörfer bis jetzt eher spärlich gesät, so häufen sie sich, je flacher das Land ist. Vorbei an Rundhütten, Pfirsichbäumen und winkenden Menschen erreichen wir Butha-Buthe, die Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks. Das einzige, was hier zu sehen ist, ist die erste und letzte Moschee des Landes, außerdem ein Hinweisschild auf das Leribe Craft Center in Hlotse/Leribe. Sabine möchte gerne noch ein Souvenir aus Lesotho mitnehmen, so machen wir uns auf zum Handwerkszentrum, das schon seit 1911 unter der Schirmherrschaft der Anglikanischen Kirche existiert. Allerdings findet sie dort nicht, was sie sucht (was immer das auch sein mag), unsere Reise geht über Maputsoe zurück nach Südafrika. Die Ausreiseformalitäten sind rasch erledigt, keiner fragt nach unseren Wagenpapieren und ein paar Minuten später stehen wir in Ficksburg in der Provinz Orange Free State.
ca 365 Kilometer
Übernachtung in
Matsoaing – St. James Lodge 20 US-$ (2009), Thaba Tseka Road; am Fluss (Sehonghong River) gab es auch eine Campsite (Name leider vergessen)
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Reiseroute