Richtung Welterben
Wer erinnert sich noch an den verheerenden Unfall in Bhopal im Jahre 1984, als in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember etwa 45 Tonnen des gefährlichen Gases Methylisocyanat aus einer Insektizidanlage, die der indischen Tochter der amerikanischen Firma Union Carbide Corporation gehörte, entwichen? Annähernd 20.000 Menschen starben in dieser Nacht, ein Teil wurde gleich durch das ausströmende Gas getötet, andere kamen in der Panikwelle um, als sie versuchten, die Stadt zu verlassen. Über die Spätfolgen ist nicht viel bekannt (trotz hoher Zahl an Krebserkrankungen), Tatsache ist, dass der Unglücksort bis heute verseucht ist und weder der Nachfolger von UCC noch die indische Regierung geeignete Maßnahmen getroffen haben, um die Umgebung und das Grundwasser zu dekontaminieren. Die Opfer bzw. deren Angehörige wurden – wie üblich – mit einigen hundert Dollars abgespeist. Knapp dreißig Jahre später ist das Unglück nicht mehr so präsent, lediglich ein Museum, das Remember Bhopal Museum, versucht, sich unverblümt mit der Tragödie auseinanderzusetzen.
Reisekarte
Gegründet im 11. Jahrhundert als Teil des Malwa-Königreiches ist die Historie Bhopals nicht gerade reich an Geschichten. Für mehrere Jahrhunderte versank die Stadt in die Bedeutungslosigkeit, erst zu Beginn des 18. Jahrhundert, als Dost Mohammed Khan ein Fort in Bhopal errichtete und den Ort zu seiner Hauptstadt machte, erlangte die Stadt mehr Geltung und entwickelte sich zum zweitgrößten muslimischen Fürstentum des britischen Empire. In der Folgezeit regierten vier Frauen, die sog. Begums von Bhopal, fast 107 Jahre lang (1819 bis 1926 über den Fürstenstaat und begründen ein blühendes Zeitalter.
Die Stadt an den Ausläufern des Malwa-Plateaus wird geteilt durch zwei künstliche, von Raja Bhoj vor fast 1000 Jahren in Auftrag gegebene, Seen, den Upper und Lower Lake. Unzählige weitere Seen in und um Bhopal herum machen schnell klar, warum die Stadt „the city of lakes“ (die Stadt der Seen) genannt wird. Aber nicht nur eine geografische, sondern auch eine historische Trennung ist erkennbar. Nördlich der Seen liegt das alte, mehr muslimisch geprägte Bhopal mit der größten Moschee Indiens, der Taj-ul-Masjid, dem Prinzenpalast Shaukat Mahal, einem Meisterstück indo-islamischer Architektur, alten Gassen und Chowks (Märkte). Auf den Shyamla Hills ist der Besuch des etwas surrealen Tribal Museums (bei unserem Aufenthalt leider geschlossen) lohnenswert und ein Besuch des Upper Lake ist überlegenswert, allerdings wird es – besonders am späten Nachmittag – schwierig, an den Ufern des Sees zu flanieren, ohne Dauer-Selfie-Beschuss über sich ergehen lassen zu müssen. Der Inhaber unserer Unterkunft wird so nett sein, uns zu einer eher unspektakulären Bootsfahrt auf dem Upper Lake einzuladen, in das muslimische Viertel hingegen ist er nicht zu bewegen, was wir sehr bedauern. Abschließend: Bhopal ist – als Hauptstadt der Provinz – Verkehrsknotenpunkt der Region, allein 30 Züge fahren täglich in alle Richtungen, außerdem eignet sich die Stadt hervorragend als Basis für Tagesausflüge zu den nachfolgend beschriebenen Sehenswürdigkeiten.
Verlässt man sich auf den öffentlichen Nahverkehr, ist es unmöglich, die Tempel von Sanchi und Bhojpur sowie die Felszeichnungen bei Bhimbetka an einem Tag zu besuchen. Ein Taxi mit ortskundigem Fahrer hingegen erspart eine Menge Umsteigerei, Zeit und am Ende vielleicht auch Geld. Unser Wagenlenker wird zwar recht schweigsam sein, macht dies aber durch Engelsgeduld wett, die er in diversen längeren Staus und der Tatsache, dass wir nicht immer pünktlich zur vereinbarten Zeit zurück am Fahrzeug sind, eindrucksvoll unter Beweis stellen wird.
Sanchi, Bhojpur & Bhimbetka
Schon vor den Stadtgrenzen von Sanchi sichtbar, hebt sich der Hügel, auf dem die Tempelanlage seit fast 2000 Jahren steht, deutlich von der flachen Umgebung ab. Die Anhöhe hinauf, Park- und Eintrittsbilletts verschafft und wir stehen bald vor der Großen Stupa, die schon wegen ihrer Form sehenswert ist und aus dem indischen Tempelrahmen fällt. 16 Meter hoch und 37 Meter im Durchmesser (zu Zeiten Ashokas war die Stupa kleiner) misst der Bau, es sind aber vor allem die vier toranas (Tore) aus dem 1. Jahrhundert v.Chr., die wegen ihrer kunstvollen Steinmetzarbeit, die Szenen aus dem Leben Buddhas darstellen, ins Auge fallen. Vier weitere Stupas sind zu besichtigen, die in ihrer Art der Großen Stupa ähneln, aber deren Größe nicht erreichen. Daneben finden sich auf dem Gelände einige Tempel und ein Museum sowie eine Handvoll Säulen, von denen eine noch aus der Zeit Ashokas stammt/stammen soll. Insgesamt ist der Tempelberg von Sanchi ein eindrucksvolles Stück ‚Religions‘-Geschichte.
Unter den Zehntausenden von Herrschern und Monarchen, die sich in den Tabellen und Listen der Geschichte tummeln, leuchtet der Name Ashoka und strahlt gleich einem Stern…(frei übersetzt)
H. G. Wells – englischer Schriftsteller und Historiker
Herrscher AshokaDie Geschichte der faszinierenden Tempelanlage von Sanchi ist eng mit dem im Zitat genannten Herrscher Ashoka (304-232 v. Chr.) verbunden. Als dritter König der Maurya-Dynastie regierte er ein Königreich, das sich vom Hindukusch bis zur Bucht von Bengalen erstreckte, Indiens erstes großes Imperium. Seine Herrschaft war vor allem geprägt von sozialer Gerechtigkeit und effizienter Verwaltung. Nach der blutigen Eroberung Kalingas und der daraus resultierenden Leiden, die der Krieg dem besiegten Volk zufügte, nahm Ashoka – von Reue bewegt – den Buddhismus an und verzichtete in der Zukunft auf bewaffnete Eroberungen. Ehrfurcht vor dem Leben, Toleranz, Mitgefühl und friedliches Zusammenleben waren nunmehr die Eckpfeiler seiner Regierung. Unter ihm traten die frühesten bekannten Ächtungen von Sklaverei und Todesstrafe sowie Umweltvorschriften in Kraft.
Etwa 30 Kilometer südlich von Bhopal liegt die kleine Ortschaft Bhojpur, und wenn man sich ihr bis auf etwa drei Kilometer genähert hat, ist bereits in der Ferne der massige Bhojeshwar-Tempel auszumachen, der auf einem Hügel nahe dem Fluss Betwa (der bis nach Orcha hinauf fließt) thront. Im 11. Jahrhundert ließ König Bhoja diesen kastenförmigen Tempel erbauen, was an sich kein Grund wäre, das Bauwerk zu besuchen, da es sich wenig von anderen Tempeln Indiens unterscheidet. Die Besonderheit des Bhojeshwar-Tempels ist jedoch in seinem Inneren zu finden, beherbergt er doch den zweitgrößten Shiv Lingam Indiens (6.7m Höhe, ∅ 2,3m).
Fast 80 % aller Inder sind gläubige Hindus und innerhalb des Hinduismus existieren vier Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander. Die an Zahl größte ist wohl der Shaivismus, dessen Anhänger Shiva als
Hinduistisches Symbol Shiva Lingaoberste Gottheit anerkennen und huldigen. Auch der Hinduismus ist eine Religion der Symbole und Rituale und Shiva wird regelmäßig in der Form des Shiva Linga verehrt. Dabei handelt es sich um eine Säule (Shiva-Pitha), die in einer Art abgeschnittenem Teekessel mit Ausgieße, dem sogenannten Vishnu-Pitha steht, welcher wiederum auf einer Art kreisförmiger Basis, dem Brahma-Pitha ruht. Nun gibt es in Indien zahlreiche Shiva-Tempel und so ziemliche jeder verfügt über ein Linga, einige dieser steinernen Wahrzeichen sind so berühmt, dass sie jährlich hunderttausende Pilger anziehen. Einer der vielleicht bedeutendsten ist der Amarnath Ice Shivlingam in der Provinz Jammu-Kaschmir.
Der Bhojeshwar-Tempel hat, außer dass er nie fertiggestellt wurde (was für Experten bis heute ein Rätsel und Stoff für zahlreiche Legenden ist) noch eine andere Besonderheit, jedenfalls für uns: ein Drittel der Besucher des Tempels sind große Makaken, die keine Scheu haben, uns Essbares aus den Taschen zu rauben.

Bhojeshwar-Tempel nahe Bhojpur
Zurück auf der Hauptstraße geraten wir bei Mandideep in eine der vielen Dauerbaustellen indischer Highways. Fast 20 Kilometer geht es gehts über Schotterpiste, LKWs, PKWS und andere Fahrzeuge wirbeln Tonnen von Staub auf, der aus dem Grün der am Straßenrand stehenden Bäume und Büsche und aus der zum Trocknen aufgehängten Wäsche der Anwohner einen unansehnlichen grauen Matsch macht. Die hiesigen Bewohner können einem wirklich leidtun. Der Rostgrad an den Baumaschinen und deren platte Reifen sind ein Zeugnis dafür, mit welchem „Eifer“ hier gearbeitet wird. Aber selten sind es die Bauleute, die für jahrelange Verzögerungen sorgen, das Problem ist vielmehr in den oberen Etagen in den Abteilungen Missmanagement und Korruption zu suchen. Die 20 Kilometer zu reparierende Straße von Mandideep wird nicht an ein Bauunternehmen vergeben, sondern an etliche, einige arbeiten effizient (= Straße fertig), im nächsten Kilometer fehlt es der Firma X an Geld (oder sie hat woanders einen lukrativeren Auftrag, = Straße unfertig), die gesamte Baustelle gleicht einem riesigen Flickenteppich.
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In den in Ausläufern der Vindhya Berge, nur etwa 25 Kilometer südwestlich von Bhojpur und 45 Kilometer südlich von Bhopal, liegen die Felshöhlen von Bhimbetka. Erst 1957 wurden diese annähernd 700 natürlichen Unterstände entdeckt, die eine der größten Ansammlungen prähistorischer Kunst in Asien darstellen und 2003 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurden.
An den Wänden der erst 240 erforschten Felshöhlen haben Menschen ihre Geschichte seit Zehntausenden von Jahren mit großer Lebhaftigkeit und erzählerischem Geschick dokumentiert, die detailreichen Gemälde an den Felswänden zeigen die Entwicklung der Menschen, die hier von vor 30.000 Jahren bis ins Mittelalter lebten. Jagdszenen, Bilder von Menschen, die Pferde oder Elefanten reiten, Zeichnungen der „damaligen“ Mode und Darstellungen von Haushaltsaktivitäten sind zu sehen und bieten einen seltenen Einblick in eine Abfolge kultureller Entwicklung von frühen nomadischen Jägern und Sammlern über sesshafte Züchter bis hin zu Ausdrucksformen der Spiritualität.
Uns bleibt am Ende des Tages nicht mehr viel Zeit, die etwa 15 zugänglichen Höhlen zu betrachten, zudem sind zwei indische Schulklassen vor Ort, die sich mehr für die „bleichen Langnasen“ als die Felszeichnungen interessieren und uns wenig Ruhe lassen. Wie auch immer, die Fahrt nach Bhimbetka ist lohnenswert und wir haben selbst in Afrika keine derartige Ansammlung von Höhlenmalereien sehen können. Ein echter Tipp!

Felsmalereien mit Kriegsdarstellungen / Bhimbetka
Wir werden uns untreu: nun geht es doch mit dem Zug weiter Richtung Osten und unser Herbergsvater ist daran nicht ganz unschuldig, da er, um seiner Hilfsbereitschaft die Krone aufzusetzen, für uns zwei Zugtickets nach Jabalpur bucht. Eine dreistündige Fahrt in der zweiten Klasse für nur ₹ 60 ist auch mehr als verlockend. Nach unserem Ausflug zum Upper Lake in Bhopal verabschieden wir uns herzlich von unserem guten Geist, dessen zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten vielleicht nicht „erste Sahne“ waren, durch seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft machte er dies in jedem Fall wett. Wir bleiben in Bhopal statt der geplanten drei Nächte nur derer zwei, erstens wird es gegen Ende Dezember (ungewöhnlich) kalt in der Stadt und die Unterkunft verfügt über keinerlei Heizmöglichkeit, zudem ist das Bett mit 1.70 Meter Länge leider viel zu kurz und zwei Nächte in der Diagonalen sind ausreichend. Rechtzeitig erreichen wir den „neuen“ Bahnhof Habib Ganj, auch der Zug ist pünktlich und alsbald sind wir auf dem Weg in die Nacht und nach Jabalpur.

Bhophal – Zweite Klasse

Zug nach Jabalpur
Mehr Zeit?
Interessant wäre vielleicht noch ein Besuch der kleinen Ortschaft Islamnagar (11 km nördlich von Bhopal), die einst erste Hauptstadt des Prinzenstaats Bhopal war und noch über einige ansehnliche Bauten aus dem 18. Jahrhundert verfügt. 13 Kilometer westlich von Sanchi liegt der Höhlenkomplex von Udaigiri. In den Höhlen sind Hinduschreine aus dem 4. Jahrhundert n.Chr. zu besehen. Nicht mehr so nah an Bhopal (7 Stunden Busfahrt) ist die ehemalige Hillstation Pachmarhi. Wasserfälle, viele Höhlen, Wald und ein frisches Lüftchen locken besonders indische Reisende an, Hauptbeschäftigung ist das Sitzen in einem Geländewagen und das Herumfahren in der Gegend.
Bhopal – Ankit Anand Bhawan, Homestay mit sehr einfachen Zimmern, etwas weit weg vom Zentrum, inklusive harmlosem Frühstück, super billig und sehr hilfreicher Inhaber (seit neuestem nur noch für Inder)
Reisezeit – Mitte Dezember
Eintrittspreise in Bhopal – Tribal Museum, ₹ 250 / State Museum, ₹ 200 / Bootsfahrt auf dem Upper Lake, ₹ 350 (30 min.) || Sanchi – Buddhist Monuments, ₹ 600 || Bhojpur – Bhojeshwar-Tempel, Eintritt frei || Bhimbetka Bhimbetka Rock Shelters, ₹ 100
Transportkosten – Taxi-Tagestour Sanchi-Bhojpur-Bhimbetka, ₹ 2000 || Zugfahrt Bhopal → Jabalpur (2. Klasse), ₹ 60