Wind und Wetter
Sieben Stunden sind vergangen, seit die Fähre „Queulat“ den Hafen der südchilotischen Stadt Quellón verlassen hat. Gerade passieren wir die Insel Ascensión und die See wird immer rauer. Die Hälfte der Passagiere hängt zwischenzeitlich über der Reling, der größte Teil der Reise liegt aber hinter uns. Am späten Nachmittag schließlich geht die Fähre am Kai des kleinen, völlig durchnässten Dorfes Puerto Raúl Marín Balmaceda vor Anker. Wer Ruhe und unberührte Natur sucht, ist in Raúl Marín an der richtigen Adresse: kilometerlange weiße Strände und sandige Dünen, Fischerboote tuckern gemächlich durch die Fjorde und werden von Delfinen und Seehunden begleitet, endlose Wälder in sattem Grün vor hohe Berge drapiert…
Auch wenn es nicht in unseren Plan passt, wir verbringen zwei Nächte im Dorf. Zehn Kilometer südlich der Ortschaft schneidet der Rio Palena die Straße X12 nach La Junta und kann nur per Fähre überquert werden. Die Regenfälle der letzten Tage haben den Fluss derart anschwellen lassen, dass der Fährverkehr aus Sicherheitsgründen eingestellt wird.
Reisekarte
Am dritten Tag ist das Hochwasser abgeflossen, ein Übersetzen ist möglich und wir folgen dem Lauf des Rio Palena auf der Schotterpiste X12 für 75 Kilometer bis La Junta. Eine herrliche Fahrt! 75 Kilometer Natur pur, quer durch patagonischen Urwald, der immer wieder den Blick auf den Fluss freigibt. Erst kurz vor La Junta sieht man verstreut kleinere Farmen, weidende Kühe und das Ganze vor der Kulisse schneebedeckter Gipfel. Wir verweilen nicht lange in der ehemaligen Estancia La Junta, ein Mittagessen und ein Tankstellenbesuch, und weiter geht es.
Tipp: Sobald man in Patagonien eine Tankstelle sieht, hin und volltanken. Wer weiß, wann die nächste kommt.
Ab La Junta fährt man auf der berühmten Carretera Austral (offiziell Ruta CH-7), jener 1.350 Kilometer langen – noch nicht fertiggestellten – Straße von Puerto Montt nach Villa O’Higgins im Süden der Región de Aisén. Mehr und mehr trifft man auf Radfahrer, die Teile der Panamerica-Route abfahren und die bei diesem Wetter unseres Mitgefühls versichert sein können.
Am frühen Nachmittag erreichen wir das Nordufer des Fjordes Seni Ventisquero und die Ortschaft Puyuhapi, die in den 1930ern von vier Deutschen gegründet wurde. Kurz hinter Puyuhuapi geht es noch einmal auf eine Fähre entlang des Fjordes und es ist nur noch ein Steinwurf bis zum Parque Nacional Queulat.
Wegen seiner Abgeschiedenheit wird der Nationalpark – obgleich beliebt – nicht von vielen Reisenden besucht, ohne eigenes Auto ist die Anreise schon ganz schön schwierig. Beliebt ist der Park zu Recht, unberührte Natur, wild schäumende Flüsse, die sich ihren Weg durch Wald, Farn und Mammutblätter bahnen, ein Bilderbuch-Gletscher, der zwischen Vulkanen hängt, tosende Wasserfälle…, der Park wäre ein gutes Set für den Film „Herr der Ringe“ gewesen. Wir bleiben nur eine Nacht, da sich das Wetter einfach nicht bessern will.
Die Ruta 7 folgt Richtung Süden eine Zeitlang dem Zulauf des Fjordes Seno Queulat, auch hier im Tal sind die Wälder so grün, dass es fast in den Augen schmerzt. Obwohl: hie und da erblickt man auch ‚tote Waldungen‘, ob im Dauerregen ertrunken oder bei Vulkanausbrüchen abgebrannt, … Und: die Ruta 7 hat sich hier ihrer Teerdecke entledigt, fast 60 Kilometer geht es über eine ganz ordentliche Schotterstraße. Es poltert allerdings so, dass die Klappscharniere unseres Hardcovers aus dem Blech der Ladefläche gerissen werden (in welchem Universum befestigt man eine 50+ kg schwere Abdeckung mit 3cm langen Blechschrauben an einen Fahrzeugaufbau???) und der ganze Zinnober nur noch am Schloss hängt. In strömendem Regen sichern wir den ganzen Kram mit Zelt-Abspannleinen und schaffen es tatsächlich noch in die nächste größere Stadt Coyhayque.
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Silvester! In Patagonien!
Im einzigen noch geöffneten Supermarkt erstehen wir eine Flasche lokalen Sekt und ein paar Leckereien für ein kleines ‚Festessen‘ und geraten mit Glück und durch Zufall an eine Unterkunft etwas außerhalb der Stadt, die in mehrfacher Hinsicht für den heutigen Tag ein Gewinn ist. Zwar schlucken wir angesichts des Preises, aber die liebevoll und mit einer Küche eingerichtete Hütte hat ein großes Panaromafenster mit Blick auf den hiesigen Nationalpark. Und: Don Juan, der Herr des Hauses und ehemaliger Cowboy, ist ein ausgezeichneter Handwerker. Vier (!) Stunden sägt, feilt, schleift und schweißt er am Wagen herum, frotzelt über die Mechaniker in Santiago (und über unseren Wagen als solchen, es sei eine ‚Damenhandtasche‘ und für Patagonien wenig geeignet…) und befestigt das Hardcover bombenfest an unserem Auto. Das wird ein guter Start ins neue Jahr! Silvester in Coyhayque ist eine ruhige Angelegenheit. Während in Santiago ein riesiges Feuerwerk abgebrannt wird, scheint hier alles zu schlafen.
Am Neujahrstag liegen knapp 220 Kilometer Fahrt vor uns. Die ersten 40 Kilometer auf der Ruta 7 geht es durch ein weites Tal ruhig dahin, kurz hinter El Blanco muss man sich für einen Moment konzentrieren, da sich die Straße teilt und man sonst unversehens in Argentinien landet. Die Carretera geht jetzt stracks nach Süden und bergauf durch einen engeren Kessel, an dessen Ende sich eine spektakuläre Aussicht auf Villa Cerro Castillo und den 2675 Meter hohen, zerklüfteten und burgähnlichen Cerro Castillo bietet. In Serpentinen geht es hinab ins Dorf, von hier aus folgt die Ruta 7 – ab jetzt Schotterpiste – dem Verlauf des Río Ibáñez, bevor es in ein Seitental geht, welches zum Rio Murta führt, der wiederum sein Ende im riesigen türkisblauen Lago General Carrera findet. Die erste Siedlung am Westufer des Sees ist Puerto Río Tranquillo, eine Ansammlung von Häusern und selten mehr als ein Zwischenstopp für die Reisenden. Etwas mehr Aufmerksamkeit hat der Ort in den letzten Jahren durch den Tourismus erfahren, zum einen liegen die schönen Marmorhöhlen „Las Capillas de Mármol“ eine 30-Minuten-Bootsfahrt südlich des Dorfes, auf der anderen Seite ist Río Tranquillo neuerdings Ausgangspunkt für Touren zum Gletscher San Rafael.
Auf dem Haupt-Parkplatz des Ortes stellen wir zunächst fest, dass Don Juan zu gute Arbeit leistete. Mit seinem Werk brachte er so viel Spannung in die Abdeckung, dass die Scharniere gebrochen sind. Was für ein Käse! Da das Wetter sich aber zu bessern scheint, kümmern wir uns zunächst um eine Fahrt zu den Marmorhöhlen.
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Sobald das Boot den Hafen verlässt, setzt wieder Regen ein, es wird eiskalt und der Seegang würfelt alle Passagiere in der Schaluppe ordentlich durcheinander. Aber es lohnt sich: der See hat im Laufe der Jahrtausende das Carbonatgestein ausgewaschen und ein Gebiet von Höhlen und Inseln geschaffen. Diese Formationen haben dann so sinnige Namen wie „Kathedrale“ und „Kapelle“ und man kann sich mit dem Boot durch die Höhlen treiben lassen. Ein weiteres Beispiel, was die Natur an Schönheiten hervorbringt.
Zurück im Hafen sind wir tiefgefroren und auf der Suche nach einer Unterkunft. „Completa“ (‚belegt‘) hören wir fast überall bis uns ein Mann auf der Straße anspricht und uns in seine Cabaña einlädt. Sie ist nicht besonders heimelig, aber für eine Nacht okay und billiger als alle anderen.
Am nächsten Tag lassen wir noch einmal unser Hardcover von einem Mechaniker reparieren, dessen Stärken aber woanders liegen, denn nur 11 Kilometer später ist wieder alles defekt und die Zeltseile dürfen erneut die Klappe halten. So ein Käse!
An den Ufern des herrlichen Lago General Carrera geht es für 170 Kilometer auf der schottrigen Ruta 7 bis nach Chile Chico, der Grenzstadt zu Argentinien. Noch in Puerto Río Tranquillo hatte uns Andres vom Autoverleih die notwendigen Papiere zum Grenzübertritt mit dem Auto gefaxt, uns wird jetzt nichts mehr aufhalten, und schon gar keine Ladeflächen-Abdeckung…
Übernachtung in
Puerto Raúl Marín: Turismo El Viajero, Doppelzimmer mit Gemeinschaftsbad und -küche, Preis: 32.000 CL$, GPS: -43.774340,-72.953998
Parque Nacional Queulat: Camping Ventisquero, überdachter Platz mit Grill, Preis: 5000 CL$, GPS: -44.469684,-72.547558
Coyhaique: Mirador Cabañas, Av general Baquedano 848, teuerste, aber beste Unterkunft (bis jetzt), Preis: 60.000 CL$, GPS: -45.574571,-72.046344
Puerto Río Tranquilo: Private Unterkunft in der Calle el Salto
Chile Chico: Camping Kon-Aiken, Campingplatz im Garten eines Wohnhauses, Pedro Burgos 6, Preis: 12.000 CL$, GPS: -46.538163,-71.725354
Eintritt usw.:
Parque Nacional Queulat: 4000 CL$
Bootstour Las Capillas de Mármol: 20.000 CL$ / Person