Eine Jungfernfahrt
Eigentlich…, ja, eigentlich haben wir nicht einmal davon geträumt, irgendwann einmal eine „Kreuzfahrt“ zu unternehmen. Denn einerseits sind wir grundsätzlich keine Liebhaber von Schiffsreisen jedweder Art, inklusive des eigenwilligen „Bordlebens“, auf der anderen Seite beschäftigt uns der Gedanke an den sogenannten „ökologischen Fußabdruck“ mehr und mehr. Dabei steht eine Kreuzfahrt eigentlich nur als stellvertretende Beklagte für das Fernreisen per se, angesichts der Entwicklung des Weltklimas bleibt ein Nachdenken über letztere nicht aus. Und wir schaffen es auch nicht, uns selbst mit Gegenargumenten wie „seit fast 20 Jahren kein eigenes Auto“ oder „wenn Fernreisen, dann nur noch lang“ zu beruhigen. Diese Rechtfertigungen hinterlassen allenfalls einen faden Beigeschmack im Mund und scheinen uns bei näherer Betrachtung recht aufgesetzt. Eine Lösung dieses inneren Zwiespalts wird es für uns nicht (mehr) geben, das ist uns klar, allerdings kommen wir zu dem Schluss, in der Zukunft weniger und vielleicht auch bewusster zu reisen, und besonders mehr mit dem Fahrrad.
Aber so weit ist es noch nicht, und genau genommen haben die obigen Ausführungen auch nichts mit dem Reisebericht zu tun und wären an anderer Stelle angebrachter.

Bugsicht von der MV Sovereign
Nachdem ein Meniskusriss während des GR20-Treks auf Korsika im Sommer 2017 unseren Plänen, die Welt zu durchwandern, einen gehörigen Dämpfer versetzt hat und die Knie-OP erst im November des Jahres durchgeführt wird und wir unbedingt nach Südamerika reisen wollen…, jetzt ist der Faden verloren. Wie auch immer: Ein Langstrecken-Flug in den Süden des amerikanischen Kontinents kommt aus Gründen der Angst, Vorsicht und Vernunft (noch) nicht infrage, die geografischen Fakten lassen am Ende nur noch die Nutzung eines Wasserfahrzeugs zu und Sabine findet als Abschluss einer mehrtägigen Recherche eine geeignete Passage. Für gerade einmal 600 Euro pro Person in einer Außenkabine – all-inclusive – werden wir den „großen Teich“ in fünf oder sechs Tagen überqueren und im brasilianischen Recife an Land des amerikanischen Kontinents gehen.
Natürlich hat unser Plan eine Menge Schwachstellen: Zunächst heißt es nach Lissabon zu kommen, dem Abfahrtshafen des Schiffes. Recife hingegen liegt zwar in Südamerika (hoch im Norden), eigentlich wollen wir nach Chile und Argentinien, sodass die Frage nach dem weiteren Transport verbleibt. Das erste Problem, die Reise in Portugals Hauptstadt, wird nach langem Für und Wider mit einem dreistündigen Flug ab Düsseldorf gelöst.
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Am 28.11.2017 erklimmen wir die Gangway der MV Sovereign und sind bereit für und etwas nervös wegen unserer ersten Kreuzfahrt. Das Boarding erinnert etwas an die Abfertigung am Flughafen (Gepäck abgeben, Sicherheits-Check, Erhalt der Bordkarte), das Auffinden der Kabine hingegen an die viel zitierte
Außenkabine der MV SovereignSuche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Unsere Kajüte ist schon ziemlich…, hm…, knapp an Raum, aber es wird sich zeigen, dass sie den Ansprüchen voll genügt.
Pünktlich legt die MV Sovereign ab und schaufelt sich den Rio Tejo hinab bis zur Mündung in den Atlantik und wenig später werden wir gemeinsam mit den anderen Passagieren in die Geheimnisse der Seenotrettung eingeweiht.
Wir werden weiter lernen, dass auf einem großen Schiff alles eine feste Ordnung hat, um einem Chaos entgegenzuwirken. Dazu gehören unter anderem die verbindlichen Zeiten der Fütterung, die im Normalfall für mehrere Decks genau bestimmt werden. Daran hat man sich gefälligst zu halten, jedenfalls, soweit es das „Diner“ betrifft. Auch die Zuteilung der Tische und der damit verbundenen Tischrunde wird im Vorhinein festgelegt, kann aber später auf Wunsch geändert werden. Wie es der Zufall so will, werden wir an einen „deutschen Tisch“ platziert, unsere Ess-Genossen sind unseres Alters (und älter) kommen aus verschiedenen Bundesländern und fast alle sind schon alte Hasen im Kreuzfahrt-Geschäft, mit zwanzig oder mehr Schiffsreisen auf dem Deckel.
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Nur 600 Euro für eine vollverpflegte Überfahrt von mehr als 6000 Kilometern in einer Außenkabine? Die spanische Reederei Pullmantur macht es 2017 (noch) möglich und Hintergrund ist wohl der, dass die Schiffe dieser Reederei den europäischen Winter verlassen und im gleichzeitig stattfindenden südamerikanischen Sommer Geld einfahren sollen. Die Überfahrt eines leeren Schiffes ist jedoch wenig effizient, also wird eine Reise billiger angeboten und die Fahrgäste müssen in Kauf nehmen, dass das Schiff unterwegs generalüberholt wird. Gemerkt hat man davon aber so gut wie nichts. Pullmantur scheint übrigens neuerdings von diesen Angeboten selbst nicht mehr so überzeugt, eine Reise dieser Art findet man 2018 nicht mehr auf der Webseite des Unternehmens oder anderer Kreuzfahrt-Suchmaschinen.
Die Fahrgäste der MV Sovereign sind denn auch mehrheitlich brasilianischer bzw. portugiesischer Provenienz und fahren zum Weihnachtsfest nach Hause oder zu Verwandten. Spanisch sprechende Reisende sind die zweite große Gruppe, die Handvoll Nordeuropäer verteilt sich auf dem Schiff so gut, dass man kaum mit ihnen Kontakt hat.
Was das oben angesprochene Bordleben betrifft, wird dem eifrigen „Traumschiff“-Zuschauer wenig fremd und viel bekannt vorkommen. Gesangs-, Theater- und Quizshows am Abend, tagsüber lockt das Animationsteam auf dem Sonnendeck mit Spielchen, bei denen weniger die Intelligenz als vielmehr motorische Fertigkeiten oder der Wunsch, sich selbst zu präsentieren, gefragt sind. Die meisten der Fahrgäste tauen mit zunehmenden Temperaturen sichtlich auf, tagsüber besteht die Kleidung vornehmlich aus textilen Dreiecken und Kreisen, die, von dünnen Fäden gehalten, mehr erahnen lassen, denn verdecken. Auch wenn viele der brasilianischen Gäste mehr und mehr in Party-Laune verfallen, die Klänge von Samba und Rumba schon am frühen Morgen vom Sonnendeck herunterschallen, so geht es doch insgesamt recht ‚gesittet‘ zu und vorderstes Ziel scheint erst einmal, möglichst gebräunt oder gerötet in Recife anzukommen.
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Entsprechend den Verlautbarungen in den Reiseunterlagen gibt es Stopps mit der Möglichkeit eines Landgangs auf den kanarischen Inseln Lanzarote und Teneriffa. Letztere hat uns in puncto Landschaft und Ortschaften sehr gut gefallen, wir mieten kurzerhand einen fahrbaren Untersatz für einen 50-Euro-Schein und sausen durch den nördlichen, bergigen Teil der Insel bis hinunter Richtung Puerto de la Cruz, biegen vorher scharf nach rechts in die historische Stadt La Orotava ab und von dort geht es weiter zum 3.715 m hohen Vulkan Pico del Teide.
Letzte Station vor Brasilien ist die afrikanische Republik Kap Verde, genauer gesagt, deren Hauptstadt Praia. Eine Handvoll historischer Gebäude und ein lebhafter Markt vermitteln einem das Gefühl, in Zentralafrika zu sein, ansonsten scheint auf der Hauptinsel Santiago aber nicht viel los zu sein.

Endlose Weite des Atlantischen Ozeans
Fünf scheinbar endlose Tage schließen sich an. Fünf Tage blauer Himmel über blauem Meer, fünf Tage schleppt man sich zu den drei Mahlzeiten des Tages, liest etwas, sonnt sich, liest, läuft im Kreis um das Schiff, liest…
Am sechsten Tag, als die ersten Vögel am Himmel zu sehen sind, ist der Jubel groß, irgendwie bedeuten Vögel auf See immer auch Land in Sicht. Und wirklich: am vorletzten Tag unserer Reise passieren wir den Archipel Fernando de Noronha, seit 2001 wegen seines marinen Artenreichtums und der Bemühungen um den Umweltschutz UNESCO-Weltnaturerbe.
Am selben Abend gibt es auf dem Schiff das Abschiedsessen, die Köche legen sich noch einmal mächtig ins Zeug und am 9.12.2017 läuft das Schiff pünktlich im Hafen von Recife ein, Deck für Deck wird ausgecheckt und von einer Blaskapelle empfangen. Wir haben tags zuvor eine Rundtour durch Recife gebucht, als diese vorbei ist, werden wir zu unserer Pension in der Nähe des Flughafens gebracht.
Übernachtungen: Außenbordkabine (5 Nächte)
Reisezeit: Ende November