Ein Kloster am Ende der Welt


Al-Hamdu lillah! Nach elfstündiger Fahrt (s. den Reisebericht Von Leh nach Padum) erreichen wir endlich Padum und Mustafa, unser Fahrer seit Kargil, entlässt uns erleichtert aus seiner Obhut und seinem Gefährt. Padum liegt nur etwa 240 Kilometer östlich von Kargil, das Zanskar-Tal gilt jedoch als eine der entlegensten Regionen Indiens und so ist der Weg dorthin – über Stock und Stein – doch recht beschwerlich. Das Dorf Padum ist die größte Siedlung des Zanskar-Tals und wird Ausgangspunkt unserer Wanderung zum sagenumwobenen Phuktal-Kloster. Diese im 12. Jahrhundert gegründete Abtei ist eines der wenigen Klöster Ladakhs, die nur zu Fuß zu erreichen ist und als wir Tage zuvor in Leh einem Restaurant ein Foto des Klosters sehen, wird uns schnell klar, wohin uns unsere nächste Wanderung führen wird.

Padum im Zanskar-Tal / Ladakh
Padum im Zanskar-Tal / Ladakh

Bevor wir irgendetwas planen können…, wir haben noch keine Unterkunft und es wird schon dunkel… und kalt. An der Hauptstraße werden ein paar Pensionen und „Hotels“ abgeklappert, ach, nichts passt so wirklich in unsere Vorstellung von ausgeglichenem Preis-Leistungs-Verhältnis. Allgemein sollte man in Ladakh ja nicht allzu viel erwarten (vielleicht mit Ausnahme von Leh), in diesen Regionen kommt es einzig und allein auf ein Dach über dem Kopf und so etwas wie eine Bettstatt an. Gemütlichkeit ist hier nebensächlicher und kostspieliger Luxus…, jedenfalls für Gäste.
In einer Seitengasse abseits der Hauptstraße werden wir fündig. Zwar fehlt auch diesem Zimmer jeglicher Charme und das Bett ist viel zu kurz, aber es gibt ein eigenes Bad, die Vermieter sind nett und der Mietzins erscheint angemessen.
An der Zanskar Valley Road (gegenüber dem Ibex Hotel) gibt es ein kleines tibetisches Restaurant, in dem gute Hausmannskost serviert wird. Hier lungern in der Regel neben den Taxifahrern, die alle Richtungen im Zanskar Tal bedienen, auch Touristen herum, die entweder ihren Hunger stillen und/oder auf Anschluss oder Mitfahrgelegenheiten warten. In dieser Schenke treffen wir den Engländer John sowie Jean aus Frankreich, die gleich uns einen Trek zum Phuktal-Kloster im Visier haben. Und alsbald verabreden wir, am nächsten Tag gemeinsam gen Kloster aufzubrechen. Jean entpuppt sich im Laufe des Abends als alter Haudegen im Zanskar-Tal, nebenbei ist er Verfasser zahlreicher Reiseführer für Trekkingrouten in der Region.

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Am Vorabend haben wir beschlossen, den ersten Teil der Wanderung von Padum nach Rura mit dem Auto zurückzulegen. Grund ist, dass diese ersten 30 Kilometer dem Verlauf der Tsarap Road folgen, ein staubiger und auch eintöniger Streckenabschnitt. Mittlerweile wäre es auch möglich, bis Anmo – etwa bis zur Hälfte des Weges nach Phuktal – zu fahren, allerdings haben die Wege dorthin nach dem letzten Hochwasser des Tsarap erheblich Schaden genommen und sind für Autos über weite Strecken unpassierbar. So weit, so gut
Weniger gut ist, dass sich heute kein ‚offizielles‘ Taxi auf den Weg nach Rura macht. Wir sitzen bis zum späten Nachmittag im besagten Restaurant, trinken eine Limo nach der anderen und warten auf Anschluss. Erst nach vier erscheint aus dem Nachbarort ein Mietwagen, der jedoch nur bis zum Muney Gompa fahren will, den Rest bis zur Brücke nach Rura hätten wir extra zu zahlen. Sei’s drum, besser ein paar Rupien mehr, als hier weiter tatenlos herumhängen.
Dicht gedrängt in einem betagten Jeep brausen wir los, zunächst auf einer Teerstraße, die sich im Weiteren mit einer Schotterpiste abwechseln wird. Vorbei geht es am Bardan Gompa, einem Kloster aus dem 17. Jahrhundert, das festungsähnlich und spektakulär auf einem Felsvorsprung thront und das Lugnak-Tal beherrscht. Dem Bardan Gompa folgt das Muney Kloster, weniger dramatisch als das vorige, allerdings steigen hier die meisten Passagiere aus. Ob hier ein Kloster-Fest stattfindet? Wie auch immer: Noch geht es ein paar Kilometer bis zur Tsarap-Brücke, dort werden wir entladen und der Trek zum Phuktal-Kloster beginnt.

Kloster Bardan / Ladakh Kloster Bardan / Lugnak Valley
Dorf Reru / ZanskarDorf Reru
Lugnak Valley / ZanskarLugnak Valley

Durch knöchelhohen Feinstaub stapfen wir die ersten Kilometer bis zur kleinen Siedlung Dorzong (3791 m). Da die Dämmerung hereinbricht, werden wir hier bei einer tibetischen Familie übernachten. Überhaupt gibt es auf dem gesamten Weg, außer zwischen Cha und Phuktal, die Gelegenheit, ein Dach über den Kopf, einen Zeltplatz oder etwas Essbares zu erhalten. Dorzong Guesthouse / Zanskar Home stay in DorzongJean trudelt wenig später ein (John wird es in der Dunkelheit bis nach Anmo schaffen) und gemeinsam belegen wir einen Vier-Matratzen-Raum, den wir mit Hunderten von Käfern teilen müssen. Zum Abendessen im Kreis der Familie gibt es Skyu (ein Gemüseeintopf mit Weizenbällchen) und Tingmo (Dampfbrötchen). Während wir die kräftige Speise in uns hineinschaufeln, hören wir Jean immer wieder murmeln, dass es unmöglich sei, für eine Übernachtung mit Mahlzeit Rs800 (ca. 10 €) zahlen zu müssen. Früher, ja, früher sei alles billiger, besser und bequemer gewesen…, er muss es wohl wissen!
Am nächsten Morgen, nach Brot und Yakbutter-Tee, brechen wir früh auf. Bis zur nächsten Siedlung Anmo (3797 m) sind es knapp 9 Kilometer. Wir lassen unsere Rucksäcke in der Herberge zurück, da geplant ist, nur in Homestays zu übernachten. Zelt, Schlafsack und Kochgeschirr mitzuschleppen erscheint da ziemlich sinnfrei. Bis Anmo folgen wir dem Verlauf der staubigen Tsarap Road, das Wandern ist angenehm, aber auch etwas langweilig. Lediglich auf der Hälfte der Strecke gibt es eine kleine Herausforderung, es gilt einen Erdrutsch zu überklettern.

Dorf Reru / Zanskar Blick zurück nach Reru
Tsarap Valley / Zanskar Tsarap River-Tal

In Anmo treffen wir wieder auf John und brechen zu viert Richtung Cha (3870 m) auf. Kurz hinter Anmo endet die Schotterpiste und auf den nächsten sieben Kilometern wandern wir auf einem schmalen Trampelpfad entlang der Berghänge, zwischendurch haben wir ein paar kürzere, aber steile Anstiege zu bewältigen. Zwischendrin wird eine Pause an einem winzigen Nonnenkloster, das von drei Nonnen geführt wird, eingelegt. Eine willkommene Abwechslung und die Gelegenheit, unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Bei Yakbutter-Tee versuchen wir, etwas über das Leben der Nonnen zu erfahren, mangels Sprachkenntnis auf beiden Seiten bleibt es aber bei Gebärdensprache und hilflosem Lächeln. Am Nachmittag erreichen wir Cha und jeder sucht sich eine Bleibe für die Nacht.

Dorf Cha / Zanskar Dorf Cha
Dorfbewohner von Cha Dorfbewohner von Cha
Homstay in Cha / Zanskar Homestay in Cha

Die Siedlung Cha oder Char liegt oberhalb des Zusammenflusses von Tsarap und Kurgiak auf einer Höhe von etwa 4000 Metern und besteht aus etwa 25 Familien, vornehmlich tibetischer Provenienz. Grundlage des Einkommens der Dorfbevölkerung ist die Haltung von Schafen und Ziegen, ein wenig Ackerbau wird kultiviert und in der Hochsaison werden Übernachtungsmöglichkeiten in sogenannten Homestays angeboten. Das Dorf verfügt über einen Mini-Kiosk, eine große Gebetsmühle, …
Unsere ‚Reisegruppe‘ trennt sich für die Nacht, wir kommen im ‚Himalayan Homestay‘ am westlichen Ende des Dorfes unter. Der Wirt ist sehr freundlich, ein exzellenter Koch, er spricht etwas Englisch und hält das Haus in tadellosem Zustand.
Am nächsten Morgen treffen wir uns am Dorfplatz und starten unsere letzte gemeinsame Etappe. Heute liegen nur sieben Kilometer vor uns (glauben wir), doch diese werden einiges von uns fordern. Kurz hinter Cha beginnt ein längerer Anstieg auf eine Hochalm (mit herrlichem Rundum-Blick). Der Rest des Weges – es geht mehrfach über 4000 Meter – ist ein schmaler und steiler Pfad und etwas Trittsicherheit ist gefordert, geht es doch entlang des Pfades an mehreren Stellen steil 100 Meter und mehr nach unten. Ein falscher Tritt…

Tsarap Fluss / Zanskar Fluss Tsarap

Auf dem Weg nach Phuktal


Ab der Hälfte der Strecke hat man einen grandiosen Blick ins Lugnak-Tal auf die rötlich schimmernden Berge, den blauen Himmel und den türkisfarbenen Tsarap River. Das letzte Drittel des Weges geht bergab bis zur Hängebrücke über den Tsarap (Diese Brücke ist wichtig für die Wanderer, die den Rückweg auf der anderen Seite des Tsarap angehen wollen). Noch ein kleiner Anstieg, zwei junge Mönche spielen an den steilen Hängen über dem Fluss, und das Phuktal Guesthouse ist erreicht. Von hier hat man den vielleicht besten Blick auf das einzigartige Kloster Phuktal.

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Vor uns liegt das „Höhlenkloster“ Phuktal Gompa. Es wurde Anfang des 12. Jahrhunderts gegründet und befindet sich an der Öffnung einer Höhle an der Klippe einer seitlichen Schlucht am Lugnak River. Das Kloster, die Heimat von etwa 70 Mönchen, verdankt seine Bedeutung dem Vermächtnis mächtiger Gelehrter und Lehrer, die die Höhle seit ewigen Zeiten als einen Ort des Rückzugs, der Meditation, des Lernens und des Lehrens nutzten. Der Ungar Alexander Csoma de Kőrös besuchte die Abtei während seiner Forschungsreisen in Ladakh und arbeitete hier an dem ersten Englisch-Tibetisch-Wörterbuch zwischen 1826 und 1827.

Phuktal Kloster im Zanskar Tal / Ladakh Phuktal Kloster

Phuktal Kloster und zurück


Ein letzter Anstieg bringt uns zum Kloster, wir können es besichtigen, die Aussicht genießen, mit den Mönchen zu Mittag essen und uns von John, der am Morgengebet am nächsten Tag teilnehmen will, und Jean, den es weiter nach Shun zieht, verabschieden.
Unser kürzlich gefasster Plan sieht vor, noch heute nach Cha zurückzukehren; noch einmal sieben Kilometer über Stock und Stein.
An der Brücke über den Tsarap erfahren wir, dass einer der Jungen, die vorhin hier spielten, tödlich verunglückte, seine Leiche liegt zugedeckt am Wegesrand. Das Leben ist hart!
Die nächsten Kilometer werden wirklich schwer und mehr als einmal straucheln wir und haben das Gefühl, uns übernommen zu haben. Als wir am frühen Abend Cha erreichen, können wir kaum noch einen Schritt vor den anderen setzen.
Der Wirt des ‚Himalayan Homestay‘ kümmert sich rührend um uns, am nächsten Morgen erreichen wir Dorzong, schultern unsere dort gelassenen Rucksäcke und bekommen an der Tsarap-Brücke einen ‚Lift‘ zurück nach Padum.
In der Pension, in der wir ein zweites Mal unterkommen, sorgt der Inhaber dafür, dass wir zwei Plätze in einem Miet-Taxi nach Kargil bekommen. Es wird zwar eng und es geht am nächsten Tag sehr früh los, nach zehnstündiger Fahrt kommen wir wohlbehalten in Kargil an und machen uns auf den Weg zurück nach Leh.

Bergwelt Zanskar Bergwelt von Zanskar
Ein paar Details

ca. 25 Kilometer von Ichar (Startpunkt) bis zum Kloster (nur Hinweg)
3 Übernachtungen in Homestays
Reisezeit – Mitte Juli
max. Höhe ca. 4150m (Anhöhe hinter der Ortschaft Cha)

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