Mythos und Pathos


Als ob die Wettergötter unser Jammern erhörten, der heutige Tag beginnt mit Sonnenschein. Da wir unsere Unterkunft bereits um 10 Uhr verlassen müssen, sind wir schon vor dieser Zeit am Busbahnhof und erfahren dort, dass der nächste Bus in Richtung Tigersprung-Schlucht erst gegen 10.30 Uhr abfährt. Bevor wir aber in der miefigen Wartehalle eine Stunde verplempern, geben wir lieber unsere Rucksäcke in der Gepäckaufbewahrung (fast in jedem chinesischen [Bus-] Bahnhof vorhanden, nach den Zeichen: 行李寄存 Ausschau halten) ab, entern ein Taxi und fahren zum Teich-des-schwarzen-Drachen-Park (chin. 黑龙潭; Hēilóngtán), um endlich eine der meist fotografierten Aussichten Yunnans (wenn nicht sogar Chinas) zu genießen, der Blick über den Teich auf den Jade-Drachen-Schneeberg (玉龙雪山, Yùlóngxuě Shān, 5.596m). Aber wie so oft: als wir ein Ticket erstehen wollen, erschrecken wir gehörig über den Preis von ¥80 (etwa 12 Euro, der Preis variiert allerdings je nach Saison), der Hinweis, wir wollten bloß ein Foto machen, lässt die Ticketverkäufer natürlich kalt, wo kämen wir denn da hin…
So geht nur einer von uns in den Park, der Teich ist – Gott sei Dank – nicht weit vom Eingang, der Jadeberg allerdings bewölkt und der Tempel rechter Hand in schwarze Kunststofffolie verpackt, na ja, trotzdem wird das obligatorische Foto geschossen und es geht mit dem Taxi zurück zum Busterminal, was allerdings nicht so einfach wird, da die Taxifahrer unser „Hoch-Chinesisch“ nicht verstehen (wollen).

Black Dragon Pool in Lijiang
Black Dragon Pool in Lijiang

Hier wartet man zwar gerade und unbedingt auf uns (in China wird man auch nicht ausgerufen) und es sind auch noch ein paar Minuten sind bis zur Abfahrt des Busses, die Sitzanweiser sind jedoch schon in einem Zustand hektischer Betriebsamkeit. Rasch wird das Gepäck ausgelöst und bald sitzen wir auf nummeriertem Platz zwischen fröhlich schnatternden chinesischen Touristen und wir sind auf dem Weg zur Tigersprung-Schlucht (engl.: Tiger Leaping Gorge, chin.: 虎跳峡; hǔ tiào xiá).
Im Bus ist mittlerweile auch richtig was los, nachdem er Lijiang verlassen hat, geht das weite Tal der Stadt in bergiges Land über und man sieht rechts und links die Bergketten der Yulong- und Yunting-Berge mit zum Teil schneebedeckten Gipfeln, und unsere chinesischen Mitreisenden kommen aus dem „Aya“ und „Wa“ (was etwa unserem „Ah“ und „Oh“ entspricht), nicht mehr heraus.

InfoHier ein Tipp: Heutzutage ist es ziemlich einfach, zur Schlucht zu kommen. In Lijiang am Busbahnhof um die 40 Yuan auf den Tresen legen und „Qiaotou“ (桥头, klingt so wie tjau to-u) rufen, das sollte für den Erwerb eines Tickets reichen. Spätesten ab der zweiten Stunde Fahrt ist es angezeigt, aus dem Dämmerschlaf zu erwachen und den Busfahrer bzw. das Fahrkartenfräulein sorgfältig zu beobachten, ob diese vielleicht Zeichen zum Aussteigen geben. Verlässt man den Bus in dieser Ortschaft, ist man angekommen.

Nach etwas weniger als drei Stunden sind wir in Qiaotou angekommen, das Wetter ist immer noch gut und wir müssen an der Ticketbude am Ortseingang (hinter der Brücke, von Süden aus kommend) erst einmal Eintrittskarten für die Schlucht erstehen. Da wir wenigstens eine Nacht im Ort verbringen wollen, suchen wir eine Unterkunft und die ist nicht weit: Jane’s Tibetan Guesthouse ist bedenkenlos zu empfehlen (allerdings gibt es auch gegenteilige Berichte), gutes Essen, saubere Zimmer (zwischen 30 und 120 Yuan) und die Herbergsleute sind sehr nett und hilfsbereit (allerdings spricht hier wirklich niemand Englisch).

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Der Tigersprung-Schlucht wird (von Chinesen sowieso) nachgesagt, dass es die schönste und interessanteste Mehrtageswanderung in China sei. Darüber lässt sich streiten, Tatsache ist indes, dass sich jedes Jahr viele Touristen in diese Gegend aufmachen, um die knapp 25 Kilometer an den Hängen des Jingsha-Flusses abzulaufen. Der Jingsha, ein Oberlauf des Yangtse-Flusses, wird hier vom Jade-Drachen-Berg (玉龙雪山) und den Haba-Schneebergen (哈巴雪山) eingerahmt und bildet so die zum Teil bis zu 4000 Meter tiefe Schlucht (vom Gipfel bis zum Wasser). Die Tigersprung-Schlucht ist damit eine der tiefsten und spektakulärsten Fluss-Schluchten der Welt. In dieser Gegend leben überwiegend Angehörige der Naxi-Minderheit, die den Wanderweg erschufen und noch heute nutzen, um (auch mit ihren Herden) zu anderen Dörfern oder Weideplätzen zu gelangen. Entlang des Weges gibt es einige Gasthäuser mit Übernachtungsmöglichkeit, sodass man den anstrengenden Marsch in mehrere (normalerweise zwei) Tagesetappen aufteilen kann. Wer – so wie wir – keine Lust auf eine Wanderung hat, kann in seiner Herberge einen Wagen nebst Fahrer mieten (je nach Geschick 150-xⁿ Yuan für 3-4 Stunden) und sich bis zur Mitte der Schlucht in Höhe des Dorfes Yongsheng (永胜村) fahren lassen, hier ist auch das Ende des Wanderwegs. Durch das Dorf geht es auf einem schmalen Pfad an einer Ticketbude vorbei bis an den Jingsha-Fluss hinunter. In dessen Mitte liegt ein großer Fels, den man über eine Hängebrücke erreicht und dann in der Mitte des tosenden Flusses die Bergwelt bewundern kann (oder eine Million Selfies schießt). Leider muss man den Steilhang auch wieder hinauf, und das ist eine ganz schön schweißtreibende Angelegenheit.
In der „upper section“ der Schlucht, also auf dem Rückweg, kann man dann noch einmal Halt machen (wie die meisten chinesischen Touristen), hier führen hölzerne Treppen zu einem Visitor Center und zum Fluss, der Abstieg ist längst nicht so anstrengend, allerdings ist der Jingsha-Fluss hier viel breiter und der Anblick/Ausblick längst nicht so spektakulär wie in der mittleren Sektion.
Wir haben die uns zur Verfügung stehende Zeit schon lange überschritten und unser Fahrer wird langsam nervös, er drängt aber nicht zum Aufbruch (chinesische Höflichkeit). Da die Dämmerung aber bald einsetzt, haben wir auch keine Lust mehr und lassen uns zurück zur Herberge kutschieren. Am nächsten Tag wollen wir schon weiter, die Wege sind lang, die Zeit hingegen kurz.

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Nach einer ganz ordentlichen Abendmahlzeit und einer etwas frischen Nacht (meine Heizdecke heizte nicht) stehen wir am frühen Morgen auf der Hauptstraße Qiaotous. Busse sind in China mittlerweile recht pünktlich und wir warten gerade einmal 20 Minuten, bevor uns der aus Lijiang kommende Bus aufnimmt und für die letzten 100 Kilometer nach Shangri-La immerhin weniger als zwei Stunden braucht.
Shangri-La (chin. 香格里拉) liegt auf einer Höhe von 3200 Metern (anfängliches Kopfweh und Kurzatmigkeit lassen sich daher erklären), die über 100.000 Bewohner sind in der Hauptsache Tibeter und Naxi und der Bus entlädt im Ort seine menschliche Fracht in der Nähe des Guishan-Parks, in dessen Zentrum der gleichnamige Tempel auf einem Hügel steht und sich das Plateau mit dem Zhuangjing Tong, der größten Gebetsmühle der Welt (21 Meter), teilt. Von hier hat man einen fantastischen Blick über Shangri-La und des Abends ist der Platz vor dem Tempel angefüllt mit Menschen, die hier Singen, Musizieren oder einfach Klönen bzw. bei den fliegenden Händlern einen Einkaufsbummel wagen. Wir suchen zunächst unser Hotel auf, welches wir noch in Lijiang wegen des schlechten Wetters stornierten. Die Inhaber sind aber nicht so pedantisch, sie geben uns das dasselbe Zimmer zum gleichen Preis und nachdem wir unsere Rucksäcke in die Ecke geworfen haben, machen wir uns auf den Weg, die Lage zu erkunden.

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Der eine oder andere wird sich vielleicht fragen, wie denn die Überschrift in das bisher Gelesene passt. Höchstwahrscheinlich überhaupt nicht, allerdings kam mir beim Schreiben der Klassiker „Lost Horizon“ von James Hilton in den Sinn und ich erinnerte mich daran, dass ich im ersten Moment, da wir Shangri-La erreichten, doch etwas ernüchtert war.
Hilton beschreibt Shangri-La in seinem 1933 erschienen Buch recht anschaulich als einen paradiesischen Ort, in dem Mönche in einem Lamakloster die geistigen Schätze der Menschheit aufbewahren und lebendig erhalten, geschützt vor Kriegen und Katastrophen und vor der Hast und den Zwängen der technischen Welt. Der Leser wird in eine Welt entführt, die weitab dessen ist, was uns heutzutage so umgibt und man hat – jedenfalls zu Beginn des Buches – den Wunsch, an dieser Welt teilzuhaben. Allerdings schlug schon Oscar Wilde vor, ein Ding so zu betrachten, wie es wirklich ist, und nicht, wie es sein sollte. Dieses Maß wollen wir dann auch bei diesem real existierenden Paradies anlegen. Der Ort ist schön, kein Zweifel, er liegt in einem weitläufigen Tal, ist von schneebedeckten Bergen umgeben und im Norden der Stadt liegt der – je nach Saison mit Wasser gefüllte oder ausgedörrte – Napa See sowie das 300 Jahre alte Songzaling-Kloster (oder ‚Little Potala‘, wie es gern genannt wird). Und doch irritiert der Gedanke an das literarische Vorbild und das Wissen um das junge Alter der Stadt (Gründung vor etwa 100 Jahren), die Tatsache, dass der Ort erst seit 2001 den Namen Shangri-La trägt (vorher Zhongdian) und dass der Name gewählt wurde, um mehr Touristen in diese Gegend zu locken. Ein Paradies hat doch eigentlich nichts mit Kommerz zu tun…, es sei denn, es ist ein Einkaufsparadies…

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Wie auch immer, wir schlendern durch die Altstadt und bewundern die historischen Holzhäuser, die nach dem großen Brand von 2010 wieder aufgebaut wurden und wie Originale aussehen. Einen Blick werfen wir in den Guishan-Tempel und sind dann schon wieder im Hotel, in dem wir uns zu einer Rundtour zu den nahegelegenen Sehenswürdigkeiten überreden lassen. Diesen Trip werden wir mit der Tochter…, ja, wessen Tochter sie ist, ist nicht ganz klar, im Hotel wimmeln derart viele Angestellte herum…, es war – glauben wir – die Tochter der Frau, die das Restaurant im Hotel führt. Egal, jedenfalls spricht sie etwas Deutsch, da ihre Mutter…, ach, ist auch egal. Unser erstes Ziel ist der Shika Mountain Scenic Spot und unser Fahrer erwartet von uns, dass wir mit der Seilbahn (35€ pro Nase, hin und zurück) auf die Aussichtsplattform in 4500 Meter Höhe fahren und an der Aussicht über Shangrila, die Yulong- und Meili-Berge erfreuen. Dies ist uns jedoch zum einen zu teuer und für heute auch zu hoch, auch wenn man zur besseren Akklimatisierung Sauerstoff in der Dose (noch einmal 10€) erwerben kann. Der Napa See, den wir als nächstes Ziel ansteuern, ist um diese Zeit ausgetrocknet, wir dürfen allerdings 10 Minuten an seinen Ufern sitzen und die grasenden Yak-Herden bewundern. Sobald wir uns denen nähern, haben wir einen See-Eintritt (???) zu entrichten (Ideen haben diese Chinesen, unglaublich). Die Fahrt geht weiter um den See herum, in der Ferne sehen wir das Songzalin-Kloster, dass wir morgen besuchen werden und eigentlich ist unsere Tour damit schon beendet. Unserem Fahrer ist das scheinbar peinlich, er lädt uns daher in sein Haus ein, die Hausherrin bewirtet uns mit Fladenbrot und Yakbutter-Tee und als der getrunken ist, geht uns allen der Gesprächsstoff aus. (Die „Tochter“ ist auch viel zu sehr mit ihrem Handy beschäftigt, als dass sie Lust hätte, zu übersetzen). Wir lassen uns zurück ins Hotel karren, zahlen zähneknirschend den vorher ausgehandelten Fahrpreis und gehen zum Essen noch einmal zurück in die Altstadt. Hier „steppt der Bär“, will sagen, ganz Shangri-La nebst Touristen ist auf den Beinen, um den Tag mit Tanz und Gesang oder Shopping ausklingen zu lassen.

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Am nächsten Morgen bin ich früh auf den Beinen, am Vorabend hörte ich, dass es möglich sei, im Ort Motorräder zu mieten. In der Nähe der Jugendherberge lebt ein Amerikaner (Jeff? Joe? Mike?) mit seiner tibetischen Frau und führt einen derartigen Verleih, außerdem organisiert er Trekking-Touren in der Umgebung und gar bis nach Yading. Als ich mit Einzelheiten wieder im Hotel ankomme, erklärt mir Sabine, sie habe überhaupt keine Lust auf Motorrad, und wenn ich sie vorher gefragt hätte, hätte ich mir den Weg sparen können! ..?!?…
Wohlan, dann ist heute eben Kloster-Tag. Mit dem Bus Nr. 3 (der irgendwie in ganz Shangri-La verkehrt) kann man für ein paar müde Yuan bis zum Kloster fahren, noch besser ist es allerdings, ein Taxi zu heuern, weil schneller und auch nicht zu teuer. An der Ticketbude vor dem Kloster hingegen wird man zunächst um 120 Yuan p.P. erleichtert. (Geht man an der Bude links vorbei und den Hügel hoch bis hinunter zum See, kann man das Geld besser für ein gutes Mittagessen ausgeben). Ist das Wetter schön, lohnt sich in jedem Fall, den See zu umrunden, das sich im Wasser spiegelnde Kloster ist ein schönes Fotomotiv. Das tibetische Kloster (das von weitem an Lhasas Potala erinnert) ist mit 300 Jahren auf dem Buckel sicher nicht das älteste, so doch das größte der Gegend. Hier leben etwa 600 Mönche, es gibt große Gebetsräume mit schönen Fresken, Malereien und goldenen Statuen und eine interessante Bibliothek. Wenn man nach einiger Zeit genug davon hat, setzt man sich einfach vor den Haupteingang, ruht sich aus und schaut dem Treiben der Gläubigen zu, allein dafür lohnt es sich hierherzukommen.
Fast einen halben Tag verbringen wir hier, als dicke Wolken aufziehen, geht es zurück zum Hotel und wir packen unsere Rucksäcke für die Weiterfahrt.

Ein paar Details

Shangri-La hat einen eigenen Flughafen (Diqing, der Airport Code ist DIG). Es ist möglich, aus allen größeren Städten Chinas hierherzufliegen, zumeist ist allerdings ein Umsteigen in Yunnans Hauptstadt Kunming nötig. Wer sich schon in der Gegend aufhält: Von Lijiang sind es etwa 2 Stunden mit dem Bus bis zur Tigersprungschlucht (¥40-50), bis nach Shangrila kann man noch einmal bis zu 2 Stunden draufschlagen (¥60-80). Wer aus Dali kommt, sollte zu jedem der o.g. Ziele noch einmal zwei Stunden hinzurechnen. Es gibt auch Reisende, die mit dem Bus aus Kunming nach Shangri-La fahren (z.B. mit dem Nachtbus, ein echtes Erlebnis), aber 12+ Stunden sind dann doch eher etwas für Hartgesottene. Zwischen 8-12 Stunden sollte auch der einplanen, der aus dem Norden (Sichuan), etwa aus Xiangcheng (8 Std., ¥65) oder Daocheng (10-12 Std., ¥120) nach Shangri-La anreist.
Wie oben bereits erwähnt, in Qiaotou Jane’s Tibetan Guesthouse (¥30-120), zu Beginn des Treks das Naxi Family Guesthouse (¥30-70 p.P.), in der Mitte des Treks das Halfway Guesthouse (¥40-150) und gegen Ende des Treks Tina’s (¥20-150) oder Sean’s Guesthouse. Unterkünfte in Shangri-La gibt es wie Sand am mehr, hier bei booking.com oder ctrip.com blättern, wir entschieden uns für das Home Inn (¥160, DZ mit Bad), das recht gut liegt und immer ganz gute Kritiken hat.
Eintritt zur Tigersprung-Schlucht: ¥65. Shika Snow Mountain: ¥275 (incl. Seilbahn). Songzalin-Kloster: ¥115. White Water Terraces (Baishui Tableland) in Shangri-La: ¥30. Potatso National Park bei Shangri-La: ¥258.

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