Noch weiter nach Norden
Nun fahren wir doch noch einmal zum Mt. Cook. Obgleich der Plan ist, die Westküste zu besuchen, muss der Umweg von vielleicht 200 Kilometern (oder sehr viel mehr) in Kauf genommen werden. Das „Muss“ lässt sich allenfalls mit einer manchmal manischen Obstination erklären: man nimmt sich etwas vor und verfolgt das Erreichen dieses Ziels ohne die Bereitschaft, seine Meinung oder seinen Willen zu ändern. Rationalität hat in diesem Fall keinen Entfaltungsraum. Wie auch immer: Als uns die Milford-Fähre wieder auf festen Boden spuckt, steigen wir sogleich ins Auto, stellen die Scheibenwischer auf „Volle Pulle“ und erreichen 2 Stunden und 24 Minuten später wohlbehalten Te Anau, es wird nach links abgebogen, für weitere 60 Kilometer gen Westen gebraust, unter anderem durch die Red Tussock Conservation Area (das windgepeitschte Steppengras sieht aus wie eine große Herde rothaariger Stachelschweine) und gegen Mittag treffen wir in Mossburn, das irgendwie auf dem Weg liegt, ein.
Reiseroute
Tag 11: Milford Sound – Omarama (474 km)
Etwa 60 Kilometer weiter nördlich des Dorfes Mossburn hebt und senkt sich die Wasseroberfläche des Lake Wakatipu alle 5 Minuten um 12 cm, nach Māori-Legende ist dies auf den Herzschlag eines Riesen zurückzuführen, der auf dem Grund des See schläft und am Ostufer des Sees liegt Queenstown, der Ort wird als eines der aufregendsten Reiseziele Neuseelands beworben, „umgeben von hoch aufragenden Bergen… ein Zentrum des Abenteuers, das von Adrenalin und einem allgegenwärtigen Sinn für Spaß strotzt…“ Okay…, jeder kann sich ein eigenes Urteil bilden. Von Queenstown lohnt sich ein Abstecher in den kleinen Ort Arrowtown, eine ehemalige Goldgräberstadt und heute liebevoll restauriert. Wer möchte, kann sich außerdem eine Waschpfanne mieten und im Arrow River sein Glück als Goldwäscher versuchen.
Um zum Mt. Cook zu gelangen, könnte man zurück auf den State Highway Nr. 6 und bei Cromwell auf den SH8 Richtung Twizel abbiegen. Es geht aber auch umständlicher, dafür aber umso interessanter: Verlässt man Arrowtown in südlicher Richtung, gelangt man wieder auf den SH6. Nach etwa 500 Metern biegt man nach Norden in die Crown Range Road ab, die den Reisenden zum gleichnamigen Gipfel bringen wird und die höchste befestigte Passstraße Neuseelands ist. Die Straße (früher geschottert und erst seit kurzem von den Campmobil-Vermietern als unbedenklich freigegeben) schraubt sich anfangs in Serpentinen in die Höhe und von der Passhöhe hat man eine exzellente Sicht in das Tal des Kawarau Rivers. Von der Passhöhe geht es weiter in das schöne Cardrona Valley und nach der Hälfte des Weges erreicht man die alte Goldgräberortschaft Cardrona, deren Cardrona Hotel aus dem Jahre 1863 eines der ältesten Hotels des Landes und der alten Zeit gemäß restauriert ist. Die Ortschaft verfügt noch über eine Handvoll anderer Bauwerke im hölzernen Kolonialstil und man fühlt sich ein wenig in den Wilden Westen versetzt. Nur etwa 30 Kilometer später erreichen wir Wanaka, ein aufgeräumtes Städtchen an den Ausläufern des Mt. Aspiring Nationalparks und den Ufern des Lake Wanaka. Eigentlich könnte man an diesem freundlichen Platze einen oder zwei Tage verbringen, die Sicht über den See auf die Berge ist in der Spätnachmittagssonne herrlich und es gäbe einige Wanderungen zu unternehmen. Doch der Ehrgeiz, noch einmal zum Mt. Cook zurückzukehren, nagt an uns wie der Wurm am Holz und nach einer kurzen Pause machen wir uns auf den Weg, queren bei Luggate den Clutha River (den zweitlängsten Fluss Neuseelands, dessen Bekanntschaft wir schon an der Ostküste machten) über die Brücke 188, fahren noch einige Kilometer auf der SH8a und biegen bei Tarras nach links ab, um zum Lindis Pass zu gelangen. Die Lindis Pass Road ist – nach unserem Dafürhalten – eine der schönsten und spektakulärsten Strecken Neuseelands. Der Pass liegt zwischen den Tälern des Lindis River und Ahuriri River und der SH 8 überquert den 971 Meter hohen Pass auf seiner Strecke zwischen dem Mackenzie Basin und Central Otago. Die Landschaft ist zum größten Teil sehr karg, außer Tussock-Gras gibt es kaum andere Vegetation, die hochalpinen Bergzüge, Felsklippen und Geröllhänge verleihen dem Gebiet einen geheimnisvollen Charme, ähnlich den Landstrichen der tibetischen Hochebene.

Lindis Pass
Kurz hinter Tarras müssen wir unser Auto jedoch erst einmal verlassen, zwei Personen stehen mitten auf der Straße und halten uns an. Straßenräuber? Mitnichten, Schafhirten sind es und sie wollen eine gigantische Herde Merinoschafe über den Highway lotsen und wir werden gebeten, sie dabei zu unterstützen. So sollen wir uns auf die Fahrbahn stellen und zusehen, dass keine Schafe ausbrechen (und was täten wir dann?) oder…, die Tiere wissen aber besser als wir, was von ihnen verlangt wird und nach einigen Minuten ist auch das hinterletzte Schaf wohlbehalten auf neuem Weidegrund. Durch das Tal des Lindis River geht es anschließend hinauf zum Pass, am frühen Abend fahren wir in das Mackenzie-Becken ein und erreichen wenig später Omarama. Schnell wird der Wagen umgebaut und in der Küche ein kleines Weihnachtsessen gezaubert und unter klarem Sternenhimmel mampfen wir unsere Nudeln, massieren unser von der langen Fahrt verbogenes Rückgrat und gedenken unserer Leute, die daheim vor dem Weihnachtsbaum sitzen…
Tag 12: Omarama – Mt. Cook – Haast (459 km)
Die Kinder auf dem Campingplatz sind schon früh auf, heute ist der erste Weihnachtstag und es gibt Geschenke. Irgendwo scheint es Fahrräder im Angebot gegeben zu haben, denn bis auf die Kleinsten fahren alle mit neuen Zweirädern die Wege des Platzes ab, angefeuert von den stolzen, aber besorgten Eltern. Wir erledigen die obligaten Weihnachtsanrufe in die Heimat und es ist schon eigenartig, dass wir über dem Frühstücksmüsli sitzen, während in Deutschland erst die Heiligabendgans tranchiert wird.
Das Wetter sieht gut aus, noch sind es mehr als 90 Kilometer bis zu Mt. Cook wer weiß, wie schnell sich das Wetter in den Bergen ändert. Eine gute Stunde später erreichen wir die Kreuzung Tekapo-Twizel Road und Mt. Cook Road und wir biegen nach links Richtung Norden ab. Das Wetter hält sich, aber es sind schon mehr und dickere Wolken am Himmel als bei unserem Aufbruch. Immer noch knapp 60 Kilometer bis zum Nationalpark und je näher wir dem Mt. Cook kommen, umso mehr verbirgt er sich hinter Gewölk, als ob ihm etwas peinlich wäre. Vorbei am Pukaki-See folgen wir dem Lauf des Tasman River, der sich sein Bett in das Tal zwischen der Ohau Range und den Burnett-Bergen gegraben hat. Kurz hinter dem Mt. Cook-Flughafen hat man dann die Möglichkeit nach rechts in das Tasman Tal oder nach links Richtung Hooker Valley zu fahren. Wir entscheiden uns für die zweite Variante, da Sabine gerne zum Museum Edmund Hillarys möchte, außerdem ist es sowieso egal, da wir keine genaue Vorstellung davon haben, was uns erwartet.

Lake Pukaki

Mt. Cook Road
Die Straße endet im Mt. Cook Village und schon aus der Entfernung sehen wir nicht nur die imposante Umgebung (immerhin finden sich hier 22 Dreitausender, Grund genug für die UNESCO, dieses Gebiet zum Weltnaturerbe zu erklären), sondern auch eine ganze Reihe Gebäude, die sich als Hotels und Herbergen entpuppen; irgendwo dazwischen steht „The Hermitage“, in der auch das Sir Edmund Hillary Alpine Centre untergebracht ist und das eine kleine Ausstellung über Sir Edmund und die Region im Allgemeinen zeigt. Herr Hillary ist zudem vor dem Gebäude in Bronze verewigt und darf angefasst werden und wird es auch, was man unschwer an dem blankgescheuerten Metall an durchaus delikaten Stellen erkennt. Vom Parkplatz im Hooker Valley beginnen die Wanderungen ins Tal bis zum Hooker See. Von diesem See hat man auch als Nichtbergsteiger exzellente Ausblicke auf den Hauptgipfel des Mt. Cook (3.717m) und dreht man sich um, auf den Mt. Sefton (3.151m) nebst Gletscher. Der schmale Wanderweg zum See ist am ersten Weihnachtsfeiertag natürlich randvoll mit Ausflüglern jeden Alters und es herrscht ein ziemliches Gedränge und Geschnatter.
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Zufrieden setzen wir unsere Fahrt fort… Dass der Regen wieder einsetzt, ist jetzt auch egal, letztlich haben wir den Aufenthalt in den Bergen genossen. 200 Kilometer liegen vor uns, um bis nach Wanaka zu gelangen, noch einmal geht es durch Omarama, über den Lindis Pass und die Brücke 188, drei Stunden später erreichen wir den kaum sichtbaren Lake Wanaka, stellen fest, dass bis auf die Tankstellen heute alles geschlossen ist. Auch wenn wir ziemlich hungrig sind und bleiben, wagen wir uns nicht an die Wurst aus der Wursthauptstadt, die einsam ihr Dasein in unserer Kühlbox fristet. Die SH6 verläuft auf ihrem Weg zur Westküste zwischen dem Lake Wanaka und dem Lake Hawea und es wäre eine wirklich wunderschöne Fahrt, sähe man die Hand vor den Augen.

Lake Wanaka

Blue Pools am Haast Pass
Wie auch immer, wir verabschieden uns innerlich und auch äußerlich von den beiden elysischen Seen und folgen der SH 6, die sich auf den nächsten Kilometern entlang des Makarora Rivers durch den Mt. Aspiring Nationalpark windet. Kurz hinter dem Ort Makarora endet denn auch die hügelige Tussock-Landschaft Zentral-Otagos und man gelangt in die herrlichen Wälder der West-Coast-Region. Nach etwa 20 Kilometern sollte sich der Haast Pass zeigen, der südlichste und mit nur 563 m über dem Meer tiefstgelegene Pass über die Südalpen in Neuseeland (Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt oder bezwungen von Julius von Haast), aber wir sehen kein Schild und düsen irgendwie vorbei oder drüber, ohne es zu registrieren. Hinter dem Haast-Pass kommt auch erstmals der Haast-River aus den Bergen heraus, er wird uns nunmehr bis an die Westküste begleiten. Am Blue Pools Walk wird scharf gebremst, eine Wanderung steht an, durch feuchten Regenwald geht es zu einem Wasserbecken, das mit kristallklarem Wasser gefüllt ist und bei gutem Wetter in Türkis leuchtet, bei schlechtem Wetter hingegen in blassem Blaugrau erstrahlt. Der Urwald ist sehr schön und mit bemoosten Bäumen und riesigen Farnen bestanden und wir geraten unversehens in eine geheimnisvolle Stimmung, man fühlt sich unwillkürlich in die Welt der Hobbits und Elben J.R.R. Tolkiens versetzt. Der Fantail-Wasserfall (welcher wie ein Fächer erscheint) liegt nur ein paar Kilometer hinter den Pools, einem längeren Verweilen schieben wir indes wegen der nun zahlreicher auftretenden Sandfliegen einen Riegel vor, wir werden wohl oder übel in den nächsten Tagen irgendwelche chemischen Kampfstoffe erwerben müssen…, noch bevor wir aus der zerstochenen Haut fahren.

Fantail Wasserfall
An den Gates of Haast wird der Haast-Strom schneller und spätestens ab dem Thunder-Creek-Wasserfall verbreitert sich das bisher enge Tal des Haast-Rivers und der Fluss windet sich durch eine herrliche, baumbestandene Berglandschaft, die durch das warme Licht der späten Nachmittagssonne (endlich Sonne!) noch dramatischer erscheint. Knapp 50 Kilometer entlang des Haast-Rivers sind noch zu erfahren, die Landschaft bleibt bis kurz vor den Campingplatz bergig und regenwaldig und wir haben angesichts der umwerfenden Aussicht und der inspirierenden Illumination der Szenerie mal wieder richtig Lust, Auto zu fahren. Der Top10-Campinggrund liegt fast an den Gestaden des Haast-Flusses und sorgt für weichen Untergrund und hervorragende Fortpflanzungsvoraussetzungen diverser Plagegeister, ein blutroter Sonnenuntergang und ein rubinroter Wein entschädigt indes für alle Mühe und Qual und wir sind guter Dinge, dass uns die Westküste noch ein paar faszinierende Tage servieren wird.
Tag 13: Haast – Hokitika (316 km)
Auch das Frühstück nehmen wir gemeinsam mit unseren Freunden, den Sandfliegen, ein. Sie werden uns die gesamte Westküste…, nicht gerade verfolgen, aber in großer Zahl erhalten bleiben. Manche Menschen glauben, die Natur und ihre Vielfältigkeit sei ein Beweis für Existenz eines göttlichen Schöpfers, in Bezug auf Stechinsekten kommen uns da eher berechtigte Zweifel auf. Wer braucht diese Dinger? (Hm, na gut, uns Menschen braucht auch niemand…, außer vielleicht die Werbeindustrie.) Die Ortschaft Haast lassen wir im Sinne des Wortes links liegen, obgleich noch das eine oder andere „historische“ Gebäude zu bestaunen gewesen wäre. Kurz hinter Haast macht der SH6 einen gefährlichen Schlenker nach rechts und führt über die wahrscheinlich längste (700 Meter) einspurige Brücke Neuseelands, die den Haast River überspannt. Vor uns liegen nun einige Hundert Kilometer entlang der West Coast, die auf der einen Seite von der Tasmanischen See, auf der anderen Seite von den Bergketten der südlichen Alpen begrenzt oder gebildet wird, wie man eben will. In diesem Gebiet leben nur etwa 35.000 Menschen und damit gehört es zu den am dünnsten besiedelten Landstrichen Neuseelands. Die ehemalige Premierministerin des Landes bezeichnete die hier lebenden Menschen einst als „Verwilderte“, das mag zutreffen, kann von uns allerdings nicht bestätigt werden: die Leute, die wir treffen und sprechen, benehmen sich durchaus zivilisiert und sind ungewöhnlich freundlich. Die Brandung des Meeres hingegen ist in dieser Gegend eher wütend denn zahm, das sei zugegeben, und Herumliegen am Strand oder sogar ein erfrischendes Bad ist daher (nicht zuletzt wegen der Sandfliegen) etwas für Abgehärtete, Wagemutige oder Sonderlinge. Auch die Berge rechter Hand sind rau und hoch und oft mit Wolken verhangen, die West Coast ist das regenreichste Gebiet des Landes und wir können froh sein, in den nächsten Tagen derart mit Sonne verwöhnt zu werden. Aber trotz aller Minusrekorde, die Natur zieht die Touristen an wie der Pflaumenkuchen die Wespe und von Einsamkeit ist weiterhin keine Spur. Nach intensiver Beobachtung unserer digitalen Bord-Uhr kommen wir zu dem Schluss, dass keine fünf Minuten vergehen, ohne dass uns nicht ein Camp-Mobil ein- oder überholt oder uns entgegenkommt. Wollen wir an einem ausgewiesenen Parkplatz halten, werden vorher Wetten abgeschlossen, nicht ob, sondern wie viel Camper dort schon ihr Klapptischchen herausgeräumt haben und bei Kaffee und Kuchen und Fliegen die Aussicht genießen.

Mündung des Haast Rivers
Zwanzig Kilometer geht es durch den Regenwald und bei Ship Creek verlassen wir das Auto, um eine kleine Wanderung in den dortigen Khikatea Swamp (Sumpf) zu unternehmen. Der Weg ist befestigt (es besteht keine Veranlassung, Wander- oder Sumpfschuhe zu tragen) und die steinalten und riesigen Kahikatea-Bäume sind beeindruckend und furchtgebietend. Es ist noch früh am Morgen, sodass sich auch der Lärm der Straße in erträglichen Grenzen hält und der herrliche Gesang des Tui-Vogels ist weithin zu vernehmen. Am wilden Strand nehmen wir ein zweites Frühstück ein und uns alsdann auf den Weg in den Norden, pausieren bei Knights Point (mit schönem Blick auf die schroffe Küste), an dem in den 60er Jahren die Westküstenstraße fertiggestellt wurde.
(In diesem Zusammenhang noch eine winzige Anekdote: in einem kleinen Kaff an der Ostküste gibt es eine Kuriosität, die einen schmunzeln macht: Man baute den SH1 gleichzeitig vom Süden und Norden her und wollte sich dann in besagtem Ort treffen. Durch einen arithmetischen Lapsus verfehlten sich die entgegenkommenden Straßen, mit der Konsequenz, dass sie im Ort mit einem fast rechtwinkligen Verbindungsstück zusammengeführt werden mussten. Ein echter Schilda!)
Knapp 70 Kilometer sind es bis zur Fox Glacier Township (unterwegs könnte man noch für einige mehr oder minder interessante Bushwalks halten), einer winzigen Ortschaft, die ihre Existenz wohl nur dem nahebei liegenden Gletscher verdankt, welcher wiederum den Bergen Tasman, Haidinger und Bismarck Peaks den Dank für sein Vorhandensein schuldet. Um sich den Fox-Gletscher aus der Nähe anzusehen, fährt man von der SH6 ab (ist ausgeschildert) und etwa 4 Kilometer in die Berge. Am Ende dieser Straße ist ein Parkplatz und noch einmal sind es knapp 30 Minuten (je nach Alter und Kondition) zu Fuß, um in Greifweite der Eismassen zu gelangen. Dass man die Aussicht nicht alleine genießt, versteht sich von selbst, gerade zur Ferienzeit werden die Touristen busladungsweise herangekarrt. Die Sonne strahlt mit uns um die Wette und lässt das Eis des Gletschers in kaltem Blau aufleuchten und schmelzen, aus den ehemals 15 Kilometern Gletscher sind 12 geworden, allerdings ist in der Wissenschaft nicht unumstritten, ob die Gletscher in Neuseeland, anders als im Himalaya, so rapide dahinschmelzen. Wir machen uns auf den Rückweg, denn nicht ganz 25000 Meter weiter nördlich wartet bereits der zweite Gletscher – mit Namen Franz Josef – auf uns. Franz-Josef wurde 1865 von Julius von Haast (dem Namensgeber des Flusses, des Passes, der Stadt usw.) entdeckt und zum Gefallen seines Freundes, dem Österreicher Hochstetter, nach dem damals herrschenden Kaiser benannt. Kurz vor dem Waiho River fährt man von der Hauptstraße ab und landet nach etwa vier Kilometern wieder auf einem Parkplatz. Von hier aus hat man die Möglichkeit, sich auf einen drei Kilometer langen Marsch über Geröll, vorbei an einem See und einigen Wasserfällen, zur Zungenspitze des Gletschers zu machen. Das Wetter meint es heute gut mit uns und am blauen Himmel brummen die zahllosen Ausflugshubschrauber wie Bienen in einem Stock. Tja, der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten und bringt, wie immer, viel Lärm mit sich. Der Franz-Josef-Gletscher ist ebenfalls… eisig und das geübte Auge wird relevante Unterschiede zum Fox-Gletscher erkennen, sei es nun Neigungswinkel, Fließgeschwindigkeit, Abschmelz- und Nachschubmenge, für uns waren das einfach nur zwei schöne Wanderungen in herrlicher Natur, mit zwei riesigen bizarren Eisklötzen als Sahnehäubchen obenauf. Das Schöne an einem Gletscher, so finden wir, ist, dass die Gewalt und Schönheit der Natur in einer Art Momentaufnahme festgehalten ist und man sich in Ruhe mit ihr auseinandersetzen kann.

Fox-Gletscher

Franz-Josef-Gletscher
Trotz unserer Ausflüge ist der Tag noch jung und so fahren wir am Lake Mapourika vorbei und nach 30 Kilometern vom SH6 nach Okarito ab. Der Ort ist ein typisches neuseeländisches Küstennest (gerade einmal 30 Einwohner finden sich hier ein), jedoch mit zwei Attraktionen: zum einen ist der die Wahlheimat Keri Hulmes („The Bone People“, dt. „Unter dem Tagmond“), der exzentrischen und mit dem Booker Prize ausgezeichneten Schriftstellerin, zum anderen wäre da noch die Okarito Lagune. Selbige ist das größte unberührte Feuchtgebiet Neuseelands und das Zuhause unzähliger Wattvögel und Silberreiher. Auch den einen oder anderen Kiwi soll man in der Umgebung sichten können. Die Lagune hat es uns angetan und eigentlich wollen wir das Angebot einer Kajaktour nutzen und die Lagune vom Wasser aus „erforschen“, doof nur, dass die Kajaks für die nächsten 200 Jahre ausgebucht
Vom Winde gebeugt…sind. Nun denn, stehen wir eben ein wenig an den Ufern der Lagune herum, schauen auf die Berggipfel der südlichen Alpen und wundern uns, dass Okarito einst (für knapp zwei Jahre) ein lasterhafter Sündenpfuhl war, als irgendwer irgendwo in der Gegend nach Gold grub. Da uns Frau Hulme nicht zu Tee und Gebäck einlädt, machen wir uns auf den Weg in den Norden und verfahren noch mehr als 130 Kilometer, es geschieht nicht mehr viel, außer dass uns auf einem Parkplatz eine Weka-Ralle (ein weiterer flugunfähiger Vogel Neuseelands) erst in den Weg läuft und dann auch noch mitfahren will. Vögel sind auch nicht mehr, was sie einmal waren, ts ts ts… In Harihari, einem Ort auf halbem Wege im Nirgendwo steht auf einem Feld ein Denkmal! Dort überschlug sich der australische Pilot Guy Menzies in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit seinem Kleinflugzeug, da er glaubte, der Sumpf, auf dem er landen wollte, sei eine Wiese. Die Einwohner Hariharis hingegen glaubten dem Rekordflieger nicht, dass er aus Australien gekommen war, bis dieser eine Sandwich-Tüte vom Sydney-Flughafen zum Beweis vorlegte. So einfach geht das und ein Dorf hat für Generationen ein Gesprächsthema.

Okarito Lagune und Southern Alps
25 Kilometer vor Hokitika hätten wir dann endlich wieder die Gelegenheit, Gold zu waschen, so uns danach stünde. Die ehemalige Goldgräberstadt Ross, in der der größte Goldklumpen Neuseelands gefunden wurde, hat sonst auch nicht weiter viel zu bieten, und wem die Hände vom morgendlichen Abspülen noch schrumpelig sind, kann auch getrost durch das Dorf hindurchfahren, ohne länger zu verweilen. Vorbei geht es an großen Feldern von Kakuni-Bäumen, die von weitem ein wenig wie Brokkoli aussehen, tatsächlich aber zu den Teebäumen gehören, aus denen Teebaum-Öl gewonnen wird, näher zur Küste finden sich hingegen windgepeitschte Koniferen, die sich wie ein japanischer Hotelangestellter fast bis auf die Erde verbeugen und am späten Nachmittag erreichen wir endlich Hokitika.
Der Holiday Park in Hokitika in der Nähe der Milchfabrik ist vielleicht nicht die erste Adresse, aber es ist alles da wo es sein soll, die Einrichtungen sind etwas älter und doch gut in Schuss und wir veranstalten unseren ersten Grillabend mit ein paar netten Neuseeländern, die im Ort als Montagearbeiter tätig und nebenher dem Kajaksport zugetan sind. Dass Monteure bevorzugt Campingplätze für die Dauer ihrer Tätigkeit an einem Ort aufsuchen, ist uns schon des Öfteren aufgefallen und scheint keine Kontinent-spezifische Eigenheit zu sein. Nun ja, ein Campingplatz ist verhältnismäßig billig und man hat schnell Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen.
Tag 14: Hokatika – Motueka (374 km)
Die zweite Woche neigt sich ihrem Ende entgegen, die Zeit ist verflogen wie ein schlecht erzählter Witz in geselliger Runde. Da Hokitita, im Jahre 1860 im Rausch des Goldes gegründet, auch berühmt für Pounamu ist (eine grüne Form des in Neuseeland vorkommenden Minerals Nephrit, der Jade ähnlich), werden rasch einige Schmuckstücke erworben. Rasch, da auch heute viele abzufahrende Kilometer vor uns stehen. Langsam fragen wir uns, ob Erholung nicht doch anders aussieht.
Noch daheim hatte Sabine von einer Arbeitskollegin erklärt bekommen, dass wir unbedingt in den Abel Tasman-Nationalpark fahren sollten, dieser sei doch ein Highlight der Südinsel. Auf die Frage nach dem Warum erhält sie die Antwort, ‚der Park sei halt schön und es gäbe dort eben viel Natur…‘. Wäre das ein Maßstab, hätten wir uns in Auckland ein Auto mieten und 30 Kilometer vor die Stadt fahren können, denn schön ist es in Neuseeland (fast) an jeder Ecke und die Natur ist allgegenwärtig. Wie dem auch sei, wir folgen dem arbeitskollegialen Ratschlag und dem Verlauf der SH6, durchfahren mit Greymouth eine weitere Goldgräberstadt, verlassen die Küste für eine Weile und sind rechtzeitig an dieser zurück, als es heißt, die berühmten „Pancakes“ seien in Sicht. Dabei handelt es sich, wie wir alle wissen, nicht etwa um einen in der Pfanne ausgebackenen Teig, vielmehr stehen bei dem Ort Pukanaiki riesige bizarre Kalksteinformationen im Meer, die das Aussehen von aufeinandergestapelten Pfannkuchen haben (sollen). Der Parkplatz des angeschlossenen Paparoe Nationalparks platzt bei unserer Ankunft schon aus den Nähten, der Eintritt zu den Felsen ist frei und wir schieben uns (werden aber auch zur gleichen Zeit geschoben) in Richtung Küste. Nun ja, wie Pfannkuchen sehen diese Felsgebilde vielleicht nicht aus, eher wie Berge frisch gebügelter Wäsche, die in einer chinesischen Wäscherei auf ihre Abholung warten, aber das ist sicher Ansichtssache. In jedem Fall ist es ein Spektakel der Natur und wirklich sehenswert. Ist gerade Flut, donnert das Wasser in die vielen Spalten und Ritzen und wird fontänenartig in die Luft geschossen, ein kurzweiliges und feuchtfröhliches Schauspiel, das von mannigfaltigen ‚Ahhhs‘ und ‚Ohhhhs‘ des Publikums begleitet wird. Der SH6 folgt noch ein paar Meilen dem Verlauf der Küste, ab dem kleinen Küstenort Charleston dringt er ins Landesinnere vor und stößt bald auf den Buller River. An der Kreuzung muss man sich entscheiden, dem SH67 (links) Richtung Westport und Cape Foulwind (James Cook bemängelte an diesem Ort das Fehlen einer zum Segeln geeigneten Brise) in eine Sackgasse zu folgen oder man bleibt auf dem SH 6 (rechts), der für 125 Kilometer dem Lauf des Buller Rivers in die Region Tasman folgt.
Wir bleiben auf dem SH6 und zwängen uns gemeinsam mit dem Buller River durch das enge und bewaldete Flusstal, am Abzweig zum SH65 überlegen wir so lange, ob sich eine Fahrt zu den Maruia Falls (knapp 10 Kilometer zur Rechten) lohnt, bis der Abzweig weit hinter uns liegt (nach unserer Auffassung lohnt der Abstecher nicht). Kurz zuvor lohnt sich (besonders für Familien) ein Stopp an der Buller Gorge Swing Bridge, Neuseelands längster Schaukelbrücke. Ein über 110 Meter langes und gefährlich schwankendes Drahtgeflecht überspannt den Fluss und rundherum werden viele lustige und kostenintensive Aktivitäten angeboten (die Freizeit muss ja irgendwie ausgefüllt werden). Wenig später öffnet sich das schmale Tal des Buller River in die Four Rivers Plain, in der – wie der Name andeutet – vier Flüsse zusammenkommen. Im Zentrum der Ebene liegt die alte Goldgräberstadt Murchison, die heute Neuseelands Hauptstadt des Weißwasser-Sports ist. Das mag sein, wir aber folgen dem SH6 für weitere 70 Kilometer in den Norden, um bei Kohatu in den Motueka Valley Highway einzubiegen, der uns an den Ufern des Motueka River und durch endlose Hopfengärten bis Motueka, der Basis für Ausflüge in den Abel Tasman-Park, führt.
Übernachtung in:
Waihi Beach – Top 10 Holiday Park, 15 Beach Road Waihi Beach
Übernachtung Rotorua – Top 10 Holiday Park, 1495 Pukuatua Street, Rotorua
Übernachtung Palmerston North – P.N. Holiday Park, 133 Dittmer Drive, West End, P. North
Übernachtung Lower Hutt – Wellington TOP 10 Holiday Park, 95 Hutt Park Road, Lower Hutt
Eintritt usw.:
Waimangu Volcanic Valley – NZ$ 42, Kinder: NZ$ 14
Wai-O-Tapu Thermal Wonderland – NZ$ 32,50, Kinder: NZ$ 11
Top 10 Holiday Park Pass – NZ$ 49, hier kann man sich über die Vorteile der Karte informieren