Die Alpen im Visier
Endlich! Innsbruck ist in Sicht und von hier können wir unter Verwendung des bikeline-Radführers… Aber halt: es kommt mal wieder ganz anders.
Die Inhaberin der Pension Soundso hat die ausgezeichnete Idee, dass sich der Weg zum Brenner abkürzen lässt. Wir bräuchten lediglich die Südseite des Tals hinauf bis Axams zu radeln und dann immer nach Osten, schon bald wären wir auf der Brennerstraße und könnten die Durchfahrt Innsbrucks vermeiden. Keine Freunde von Radtouren in großen Städten, schenken wir der guten Frau unser Gehör und unser Vertrauen. Von Kematen erwartet uns ein etwa fünf Kilometer langer zermürbender Anstieg Richtung Axams, einer Ortschaft mit tausendjähriger Geschichte und Austragungsort der alpinen Olympiade 1964 und 1976. Wir fahren ostwärts, passieren Götzens mitsamt der Pfarrkirche aus dem 18. Jahrhundert, und sind alsbald in Mutters, von wo wir auf die Brennerstraße auffahren sollen. Die Einheimischen, die wir nach dem diesbezüglichen Weg fragen, schütteln alle nur verwundert den Kopf. Um auf die Brennerstraße zu kommen, müsse man zurück nach Innsbruck und dann… Wie bitte? Ja freilich, allerdings
Rotwild bei Axams / Tirolgäbe es noch eine andere Möglichkeit. Schnell, her damit! Alle Personen, die wir dann fragen, erzählen irgendetwas von den ‚Telfer Wiesen‘, ja, wenn man die beführe, wäre alles kein Problem und wir bräuchten nicht nach Innsbruck zurück. Gesagt, getan. Die Telfer Wiesen sind genau genommen ein Wanderweg in Richtung Telfes, also unbefestigt und stetig bergauf. Wir fahren und fahren, die Beine übersäuern, die Tränen stehen in den Augen und nur zwölf Kilometer später sind wir in Fulpmes im Stubaital. Wo wir denn hinwollten, werden wir gefragt. Zum Brenner, natürlich. Na, da sind sie hier aber falsch, das ist in die andere Richtung. Wir verteilen unsere Wut auf die vielen freundlichen Leute und ihre blödsinnigen Ideen, uns nach Axams, Telfer Wiesen und sonst wohin zu schicken. Aber: Sofern wir zurück nach Mieders und dann nach Schönberg führen, noch einmal fast 10 Kilometer, wäre es ein Leichtes, auf die Brennerstraße zu gelangen. Eigentlich wollen wir uns das schriftlich geben lassen, vertrauen den Informanten ein letztes Mal. Als der Himmel in Strömen über uns hereinbricht, erreichen wir Schönberg, nehmen ein Zimmer in einer Pension, wärmen uns auf und sind nach langem Tag wieder glücklich.

Gemeinde Kematen / Tirol
Die Schönberger Dorfstraße führt tatsächlich ohne Umweg auf die Alte Brennerstraße! Am Abend zuvor entscheiden wir, letzterer zu folgen und nicht den Routenvorschlägen des Radreiseführers. Mag sein, dass diese Stecke am Osthang des Wipptals die schönere ist, sie ist aber auch länger und die erste Zufahrtsmöglichkeit wäre erst oberhalb von Mühlbachl, da können wir auch gleich auf der Brennerstraße bleiben und die Umgebung von hier aus genießen.
Die kleinen Ortschaften Ellbögen, Mühlbachl, Steinach und Gries blicken auf eine lange Geschichte zurück und waren Posten der Römerstraße, die vom Inntal durch das Wipptal über den Brenner nach Italien führte. Von diesem römischen Erbe ist natürlich nichts mehr vorhanden, die Orte sind recht modern und touristisch. Ab Mühlbachl beginnt der kontinuierliche Aufstieg der Brennerstraße zum Pass, rechter Hand immer die Brenner-Autobahn im Blick. Kurz hinter Gries (wir machen hier – wie weiland Goethe, Mozart, Dürer u.a. – eine Pause) wird der Anstieg etwas steiler, von hier sind es knapp fünf Kilometer bis zum Brenner-Pass (1370 m). Gegen 11 Uhr erreichen wir diesen und sind überrascht, wie einfach (relativ) die Auffahrt war. Der Ort Brenner (ital. Brennero) ist eher unspektakulär und lädt weniger zum Verweilen denn zum Einkaufen ein (riesiges Outlet). Angesichts der folgenden längeren Abfahrt legen wir unsere Regenjacken an und brausen auf einer wirklich schönen ehemaligen Bahntrasse ins nördliche Wipptal hinab. Im alten Bergbauort Gossensaß (heute ist der Tourismus Haupteinnahmequelle) gibt es die erste Pizza. Es geht weiter bergab in die alte Handelsstadt Sterzing, deren Altstadt mit historischen Bauwerken gespickt ist, bald folgen die Burgen Reifenstein und Sprechstein aus dem 12. bzw. 13. Jahrhundert. Das vom Eisack durchflossene Wipptal ist im weiteren Verlauf sehr eng und wird von steilen Talflanken eingerahmt, daher gibt es hier nur wenige Ortschaften und damit Übernachtungsmöglichkeiten. Und die, die es gibt, sind wegen der anstehenden Feiertage samt und sonders belegt und – natürlich – zieht in einem solchen Fall ein Gewitter auf.
In Franzensfeste, nahe der gleichnamigen, nie fertiggestellten und genutzten Festung aus dem frühen 19. Jahrhundert (die den Weg ins Wipptal und den Brenner sichern sollte), erfahren wir von einer Pension am Ortsrand von Aicha (etwa 30 Kilometer entfernt von Reinhold Messners Geburtsort Villnöß), nur wenige Kilometer entfernt. Diese verfügt noch über erschwingliche Zimmer mit schöner Aussicht auf die Lüsner Berge, exzellentem Kuchen und einem reichhaltigen Frühstück. Bevor wir die Pension erreichen, öffnet der Himmel – wieder einmal – seine Schleusen, triefend nass beziehen wir unsere Unterkunft.
In den nächsten Stunden werden wir durch das Pustertal gen Toblach fahren und dabei über 60 Kilometer verradeln und uns auf über 1200 Meter in die Alpen heraufschrauben und dabei fast 800 Höhenmeter ‚machen‘. Bis zur ersten Ortschaft Mühlbach folgt der Radweg einem Forstweg an der Nordflanke des Tals mit schönem Blick über Dorf und Grund. Ab der Mühlbacher Klause, einer ehemaligen Festung und Zollstation, folgt der Radweg dem Lauf des Flusses Rienz an dessen rechtem Ufer durch Wald und Feld und zum Teil über Stock und Stein. Vorbei an kleinen malerischen Dörfern geht es auf und ab, bei der heute einsetzenden Wärme ein kräftezehrendes Unterfangen. Pünktlich zur Mittagszeit trudeln wir in Bruneck, dem Zentrum des Pustertales, ein. Bruneck hat eine malerische Stadtgasse mit dem Ursulinentor aus dem 16. Jahrhundert anzubieten, ein Schloss, in dem Reinhold Messner sein ‚Mountain Museum Bergvölker‘ untergebracht hat und der Ort bietet Sommer wie Winter allerhand für den aktiven Urlauber. Ja, ja…
Ab Bruneck wird es nur noch bergauf gehen, vorbei an Percha und Olang, im Süden sind bereits die Dolomiten zu sehen. Einen imaginären Kaffee trinken wir in Welsberg, dem Geburtsort des berühmten österreichischen Barockmalers Paul Troger und langsam verlassen uns die Kräfte. Es sind nur noch 12 Kilometer bis Toblach, aber 12 Kilometer bergauf, mit Beinen von Senkblei…
Wenige Kilometer vor Toblach befindet sich der Touristen-Ort Niederdorf, der trotzdem keinerlei Möglichkeit zur Übernachtung bietet, da Hotels und Pensionen außerhalb der Hochsaison samt und sonders geschlossen sind. Nun denn… Kurz vor Toblach dann die Rettung, der Campingplatz Olympia mit freier Aussicht auf die Dolomiten und leicht bis stark überzogenem Stellplatzpreis.
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In Toblach leisten wir uns eine weitere Nacht (in einer Pension), die Berge sind dramatisch umwölkt und in stündlichen Abständen fällt der Regen einfach aus dem Himmel wie Stein. Das wäre an sich kein Problem, ein wenig Dolomiten wollen wir aber doch sehen. In Toblach lassen sich auch bei schlechtem Wetter einige Tage verbringen. Geschichtlich nicht unbedarft wartet der Ort zudem mit interessanten Baulichkeiten auf, die eindrucksvolle barocke Pfarrkirche etwa oder der älteste Kreuzweg Tirols, und nicht zu vergessen: das Gustav-Mahler-Haus. (Zudem hat es was für sich, mal den ganzen Tag die Beine hochzulegen.)
Es wird Zeit, nach Süden abzubiegen. Die SS 21 Richtung Cortina d’Ampezzo ist nicht zu stark befahren, der fast parallel verlaufende Radweg zum Großteil Schotterweg, man mag sich entsprechend seinen Neigungen entscheiden. Die Landschaft, durch die man nunmehr radelt, ist herrliche schroffe Bergwelt und viel Wald. Und ein paar Bonbons sind auf dem Weg nach Cortina verstreut: der kristallklare Toblacher See, die historischen Schmelzöfen am Klauskofen, der Kriegsfriedhof Nasswand, der Aussichtspunkt bei Höhlenstein, von welchem man (ohne klettern zu müssen) einen Blick auf die berühmten ‚Drei Zinnen‘ hat, sowie der Dürrensee mit dem Cristallo-Massiv (3221 m) als Hintergrundkulisse.
Der Dürrensee ist auch der Punkt, an dem man sagen kann: Bald ist es geschafft! Will heißen, der höchste Punkt der gesamten Tour ist erreicht, danach geht es ’nur noch bergab‘. Fünf Kilometer sind es bis zum Gemärkpass oder Passo Cima Banche (1530 m) und nach dem obligaten ‚Pass‘-Foto verlassen wir die Provinz Südtirol und brausen wie der Wind Richtung Cortina. Wir wählen erneut die Hauptstraße, obgleich der Radweg durch den Wald auf der ehemaligen Bahntrasse um einiges schöner und interessanter ist. Allerdings ist auch hier loser Untergrund vorherrschend, der nach dem langen Regen zudem rutschig sein dürfte. Knapp 13 Kilometer geht es hinab, gegen 11 Uhr sind wir in Cortina, halten uns hier aber nicht lange auf, da wir bereits im September 2017 das Privileg hatten, uns hier ein paar Tage aufzuhalten, s. den Bericht von der Dolomitenstraße.
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Die Lage des Radwegs in und um Cortina ist etwas undurchsichtig und auch der Radführer hilft nicht wirklich. Bis zur nächsten Ortschaft bleiben wir auf der Hauptstraße, was kein Vergnügen ist, da die SS 51 sehr stark befahren ist. Dann aber geht es auf ehemaliger Bahntrasse flott bergab durch das Valle del Boite, eingerahmt von den Gipfeln der Dolomiten, deren Schroffheit nach und nach abnimmt. Es geht durch viele kleine Gemeinden, wirklich interessant ist die Ortschaft Pieve di Cadore. Pieve ist der Geburtsort des venezianischen Malers Tizian (1490? – 1576), dessen angebliches Geburtshaus besichtigt werden kann sowie einige historische Bauwerke.
Wir lassen uns noch etwa fünf Kilometer auf historischer Straße bergab rollen und kommen in Perarolo di Cadore am Zusammenfluss von Piave und Boite zu stehen. Der Ort ist recht…, naja, langweilig?! Aber sehr ruhig und mit einer für die Gegend bewegten Geschichte. Tizian hatte hier zwei Zimmereien und die Siedlung ist vor allem berühmt für ‚Cìdolo‘, einer technischen Vorrichtung (so eine Art Eisenrost) zum Sammeln des in den Bergen gefällten Bauholzes. In den Sägewerken wurde so viel Holz verarbeitet, dass Perarolo zu den reichsten Ortschaften der Region gehörte und selbst Königin Margaret von Savoyen verbrachte ihren Urlaub in einem der pompösen Patrizierhäuser. Viel ist davon nicht mehr zu sehen und wir sind froh, dass es noch ein B&B im Ort gibt, wenn auch ohne Frühstück…
Von der ersten Hälfte der folgenden Etappe sehen wir kaum etwas, es regnet in Strömen und die Wolken hängen tief in den Tälern. Vorbei an der Ortschaft Longarone, deren Einwohner bei der Katastrophe vom Vajont 1963 (Erdrutsch) fast alle getötet wurden, geht es zum Lago di Santa Croce, einem Voralpensee und dem zweitgrößten See der Region Venetien. In Santa Croce wartet zudem der letzte Passanstieg auf uns, allerdings sind wir schon oben, als wir uns fragen, wann es denn endlich losginge. Eine rasante Abfahrt in Serpentinen bringt uns zum Lago Morto, zu dem mehrere Wege führen: wir verlieren uns nämlich auf der Abfahrt und sind dankbar, beide ein Handy dabeizuhaben. Bald darauf trudeln wir in Vittorio Veneto ein, finden außerhalb des Zentrums eine sehr günstige Unterkunft bei Mama Leone (oder so) und schauen uns – statt Fernsehen – das abendliche Gewitter an.
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Die beiden letzten Etappen sind in Bezug auf Ausdauer und Schwierigkeit nur noch ein Pappenstiel. Die Strecke ist flach wie ein Bügelbrett, lediglich der starke Verkehr verlangt hohe Konzentration und das jetzt warme Wetter führt schnell zu hässlichen Schweißflecken am Trikot.
Wir verlassen Vittorio Veneto, auf ebenem Terrain geht es in die Heimat des Prosecco nach Conegliano, dessen historischen Zentrum sehenswert ist und ein wenig vom berühmten ‚Dolce Vita‘ erkennen lässt, Weingüter liegen aufgereiht an der Straße wie Perlen an einer Kette, bei Ponte geht es auf gleichnamiger Brücke letztmalig über den Fluss Piave. 20 Kilometer und eine Stunde später sind wir in Treviso und beziehen am Stadtrand Quartier in einer Privat-Pension.
Trevisio existiert schon seit dem Römischen Reich, war einst Herzogtum und immer wieder Spielball weltlicher und geistiger Fürsten. Die lange Geschichte findet ihren Niederschlag in einer sehenswerten Altstadt, einer gut erhaltenen alte Stadtmauer, Bastionen und Kanälen. An Bauwerken ist insbesondere der Dom aus dem 12. Jahrhundert zu erwähnen, aber auch die Kirche San Francesco aus dem 13. Jahrhundert, die letzte Ruhestätte eines Sohns von Dante Alighieri ist. Na ja, daneben gibt es noch unzählige weitere Bauwerke, wie den Palazzo dei Trecento und viele Bürgerhäuser mit schönen Fassadenmalereien. Ein paar Tage lässt sich hier aushalten.
Die letzte Etappe!
War die vorletzte schon flach, wird es jetzt noch flacher. Wir bleiben auf der Hauptstraße, der SS 13, die zwar gar nicht beschaulich ist und auch nur manchmal über einen nutzbaren Seitenstreifen verfügt, uns aber in weniger als zwei Stunden nach Mestre führt. Mestre ist irgendwie eigenständig und doch Stadtteil Venedigs. So können wir behaupten, dass wir es mit dem Rad bis Venedig geschafft haben, auch wenn es sich komisch anfühlt. Mit dem Rad wirklich bis in die Lagunenstadt einzufahren ist zwar möglich, bringt aber wenig, da man das Rad am Hafen stehen lassen darf/muss. Wie auch immer: gegen Mittag beziehen wir unsere Baubude auf dem Campingplatz Village Jolly.
Etappen: 7
Anstieg: 3593m | Abstieg: 4222m
Unterkunft in
Schönberg: Pension Sonnenheim, Dorfstraße 20, 6141 Schönberg im Stubaital
Aicha: Klammerhof, Nikolausstraße 19, 39040 Natz-Schabs – Aicha
Toblach: Villa Bachmann, Via Gustav Mahler 28, 39034 Toblach
Perarolo d.C.: Appartamenti Palazzo Lazzaris, Via Romana 6, Perarolo
Vittorio Veneto: Privatunterkunft auf der Via Sant’Andrea, Vittorio
Treviso: Al Parco Storga B&b, Via Marcantonio Gandino, 38, 31100 Treviso
Mestre: Jolly Camping, Via Giuseppe De Marchi 7, 30175 Marghera
Eintritte usw.:
Franzensfeste: 7 € (Erw. + Kind ab 6)
Datum | Etappe von – nach | km | km total | Zeit | HöhM | Temp. | |
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19.05.2018 | Zirl – Schönberg/Stubaital | 31.2 | 1359 | 2:54 | 807 / 452 | 25° | H |
20.05.2018 | Schönberg- Aicha (I) | 72.1 | 1431 | 4:32 | 767 / 1024 | 24° | P |
21.05.2018 | Aicha – Toblach | 62.2 | 1493 | 5:06 | 950 / 488 | 24° | C |
23.05.2018 | Toblach – Peraolo | 76.5 | 1569 | 6:11 | 620 / 1305 | 22° | P |
24.05.2018 | Peraolo – Vittorio V. | 62.3 | 1631 | 3:51 | 718 / 920 | 22° | P |
25.05.2018 | Vittorio V. – Treviso | 45.6 | 1677 | 2:42 | 104 / 228 | 26° | P |
26.05.2018 | Treviso – Mestre | 27.3 | 1704 | 1:46 | 115 / 11 | 26° | C |