Aufwärmphase


Mit jedem Kilometer gen Süden löst sich unsere originäre Reiseroute auf, wie Salz im warmen Wasser. Ging es anfangs noch darum, die kürzeste Strecke nach München zu fahren. gewinnen jetzt andere Faktoren mehr und mehr an Bedeutung: Sabines Wunsch, Schloss Neuschwanstein zu besuchen, Campingplätze an der Strecke, gelinde Steigungen usw.
Betrachtet man die Karte Deutschlands fällt auf, dass eine Fahrt zum besagten Schlosse doch eher über Stuttgart und Ulm führen wird, denn über Bayerns Hauptstadt. Wohlan, folgen wir eine Zeitlang dem Verlauf des Neckars, biegen scharf nach rechts ab und wursteln uns durch zahlreiche -heims und -hausens. In Sinsheim ist das Technik Museum sehenswert, neben einer großen Oldtimer- und Autosammlung sind die beiden begehbaren Überschallflugzeuge ‚Concorde‘ und ‚Tupolev 144‘ ein Blickfang im Sinne des Wortes. Zwischen den Dörfern Stetten (Schwaigern) und Neipperg gilt es den Eichbühl (335 m) zu bezwingen, an sich kein Problem, aber mittlerweile setzt starker Regen ein und es ist schneidend kalt.

Technikmuseum Sinsheim Technikmuseum Sinsheim

Der nächste Campingplatz liegt hinter uns, vorerst wird auch keiner mehr auf der Karte erscheinen. Alle Unterkünfte in Neipperg sind belegt, man verweist uns auf eine Landpension in Dürrenzimmern, die wir am späten Nachmittag gänzlich durchnässt erreichen.
Stuttgart werden wir großräumig umfahren, zum Radfahren ist diese Ecke nicht wirklich geeignet und Bietigheim-Bissingen glänzt ebenfalls mit einer schönen Altstadt, wenn auch mit einem etwas konfusen Radwegenetz. Der Weg führt weiter durch Ludwigsburg, vorbei am Wahrzeichen der Stadt, dem ‚Residenzschloss‘, dem größten Barockschloss Deutschlands. Noch einmal ist der Neckar zu überqueren, ab Remseck kann der geneigte Radler dem Lauf der Rems durch ein schönes Waldgebiet bis Waiblingen folgen, was allerdings ein ziemliches Mehr an Kilometern nach sich zieht. In Waiblingen eingetroffen, stehen wir etwas ratlos herum; wie soll es jetzt weitergehen? Zieht man von hier eine annähernd gerade Linie zum Schloss Neuschwanstein, liegen wohl Göppingen und Ulm auf dem Wege. Mithin: Weiter Richtung Südosten!
Unaufhörlich rückt die Schwäbische Alb näher. Bis zum Dorf Strümpfelbach (mehrfacher Preisträger im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ und mit einem herrlichen Rathaus aus dem 16. Jahrhundert) geht es noch recht flach einher, es folgt ein längerer Anstieg in den Schurwald (höchster Punkt: 480 m) und im Dorf Aichschieß verlässt uns schlagartig die Lust auf Weiterfahrt. Interessanterweise gibt es in diesem Naherholungsgebiet keine Campingplätze, sodass wir auf eine Pension ausweisen. Der Inhaber der Herberge – ehemaliger Angestellter in Gefängnis Stuttgart-Stammheim – weiß eine Menge Geschichten zu erzählen und seine Frau ist eine ordentliche Köchin, wir sind rundum versorgt!

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Eine rasende Abfahrt bringt uns nach Reichenbach an der Fils (man lernt Deutschland auf dem Rade bis in Kleinigkeiten kennen), ab jetzt wird es anstrengend werden. Einige Male verfahren wir uns und ab Bad Boll am Nordrand der Schwäbischen Alb geht es stracks bergauf. Eine 14%ige Steigung schraubt sich immerhin in fast 800 Meter Höhe, noch einmal geht es bergab, bevor uns Serpentinen nach Drakenstein führen und wir die 800-Meter-Marke knacken. Es ist nicht mehr weit bis zum Campingplatz Heidehof. Im davor liegenden 1000-Seelen-Dorf Machtolsheim erleben wir, dass es noch Ortschaften ohne Einkaufsmöglichkeiten gibt, Hausfrau/-mann muss fürs Alltägliche ins fünf Kilometer entfernte Laichingen… Der Campingplatz verfügt indes über einen gut sortierten Minimarkt (viel mehr lässt sich über den Platz auch nicht sagen), wir stopfen eine Dose italienischer Teigtaschen in uns hinein und lassen dabei die Kilometer am Berg noch einmal Revue passieren.
Bis in Albert Einsteins Geburtsstadt Ulm geht nun nur noch bergab, für die knapp 25 Kilometer benötigt man kaum mehr als eine Stunde. Ulms Innenstadt ist ein kleines Museum per se, der Salzstadel, die Stadttore, das schlichte Ulmer Münster mit dem höchsten Kirchturm der Welt, zu sehen und zu erleben gibt es in Ulm reichlich. Sobald die Donau Richtung Neu-Ulm überquert ist, ist man auch schon in Bayern, hurra. Recht zügig geht es entlang der Iller, dem Grenzfluss zu Baden-Württemberg, bis wir am späten Nachmittag Memmingen erreichen, welches uns bisher vor allem wegen des aufsehenerregenden Prozesses gegen einen Arzt in den 80ern bekannt war. Auch Memmingen verfügt über eine sehenswerte Innenstadt, wir bleiben aber nur über Nacht, da sich das Wetter zu verschlechtern droht.

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Es geht weiter in unserem Alpen-Aufwärmprogramm. Ottobeuren, die Geburtsstätte Sebastian Kneipps, ist ein sehenswerter Marktflecken mit dem gleichnamigen Kloster und der Basilika, die zu den Höhepunkten der Oberschwäbischen Barockstraße gehört. Von hier aus geht es stracks in das Unterallgäu und kurz vor Obergünzburg radeln wir zum ersten Mal über 860 Meter Höhe. Bis Marktoberdorf geht es nur wenig bergab, wir bleiben im Ort, da sich ein fürchterliches Gewitter ankündigt und tatsächlich auch über den Ort hereinbricht.
Dem Unterallgäu folgt das Ostallgäu und munter geht es durch Wälder und Felder auf und ab, wolkiger Himmel wechselt sich mit sintflutartigen Regenschauern ab, vorbei geht es am trockengelegten Forggensee (der ab Mai 2018 saniert wird, ein seltsamer Anblick) und bald sind wir in Füssen. Wir bleiben hier nicht zu lange, denn der Ort verfügt über eine sehr sehenswerte Altstadt (schon an den vielen Touristen erkennbar), eine gut erhaltene Stadtmauer, ein Schloss und zahllose andere historische Bauwerke. Aber wir sind noch nicht in Schwangau, also weiter im strömenden Regen, ein paar Kilometer noch das Ziel ist erreicht. Kurz nach der Ankunft in einer typisch bayerischen zünftigen Pension bricht der Himmel auf, noch einmal besteigen wir das Rad und quälen uns ab Hohenschwangau bis hinauf zum Schloss Neuschwanstein. Das Glück ist uns hold, blauer Himmel, weißes Schloss und viele Touristen, die sagen, in den letzten Tagen habe man das Schloss bis auf 100 Meter nicht sehen können. Wir können es allerdings nicht besichtigen, da bereits geschlossen.

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Entgegen unserer Planung bleiben wir nur eine Nacht in Schwangau. Der Grund ist einfach, der Wirt wirft uns aus dem Hotel, da er am nächsten Tag Ruhetag hat. Hm, wohl bekomm’s!
Der Regen scheint nun unser ständiger Begleiter zu werden. Wir verlassen Schwangau Richtung Norden, passieren Halblech (bekannt für seine Bauernhäuser), legen die Regenkleidung an (die wir bis Garmisch nicht mehr loswerden) und kommen alsbald zu einem der schönsten Teilstücke unserer Tour in Bayern: Auf der „Königsstraße“ durchqueren wir eine 15 km lange Strecke (der Großteil des Weges ist Schotterpiste) fast unberührter Natur. Zwei Flüsse ohne Brücke sind zu überqueren mit der Folge, dass wir nun endlich – trotz der Überschuhe – zur Gänze nass sind. Bei Altenau geht es zurück auf festes Geläuf, bald ist der Passionsspielort Oberammergau erreicht (u.a. berühmt für ‚Lüftlmalerei‘, die Kunst, Fassaden farbig zu bemalen) und wenig später Ettal. Einer Stippvisite der Benediktinerabtei Kloster Ettal folgt eine fast vier Kilometer lange rasante Abfahrt nach Oberau im Loisachtal, von hier sind es nur noch knapp 10 Kilometer bis Garmisch-Partenkirchen.
Zwei Nächte bleiben wir hier, ruhen uns aus, waschen mal wieder Wäsche, schauen uns ein wenig in diesem sehr touristischen und verkehrsreichen Ort um und müssen auf eine Fahrt zur Zugspitze verzichten, da selbige zwei Tage im Nebel verborgen ist.
Wir verlassen Garmisch bei Sonnenschein, über Kaltenbrunn und Klais geht es nach Mittenwald, welches eingepfercht im oberen Isartal zwischen dem Karwendel- und dem Wettersteingebirge liegt. Mittenwald ist ganz hübsch, hat eine exzellente Bäckerei am Marktplatz und verdient sein Geld vornehmlich im Tourismus und in der Produktion von Streich- und Zupfinstrumenten. Kurz hinter dem Ort ist man dann plötzlich in Österreich, die Fahrt bis Seefeld in Tirol MTB Route von Auland nach Eigenhofen
MTB Route 588
ist nicht sehr angenehm, da man die Straße mit Hunderttausenden Urlaubern in motorisierten Gefährten teilen muss. In Seefeld erfahren wir, dass eine Weiterfahrt auf der Bundesstraße nach Zirl für Radfahrer verboten sei, entweder sei ein großer Umweg über Mösern und Telfs zu fahren, oder… Ja, was, oder? Naja, es gibt da eine MTB-Strecke, die R588, die da fast parallel zur B177… Ja, und? Na ja, dös is halt a Schotterpisten…, und steht hier in der Radkarte als „sehr schwer“ ausgezeichnet. Egal, her mit dem Radführer und los geht’s. Es geht abwärts bis zum Weiler Auland, dann verlässt man die Teerstraße nach rechts und ist alsbald auf der besagten Forststraße. Hätten wir im Vorhinein gewusst, worauf wir uns einlassen, hätten wir vielleicht den Umweg in Kauf genommen. Die Strecke ist an einigen Stellen wirklich sehr steil und mit dem losen Belag eine echte Herausforderung an Mensch und Maschine. Als wir nach 8 Kilometern in Eigenhofen wieder Teerstraße unter den Pneus haben, zittern die Hände vom wilden Bremsen, die Felgen sind heiß und doch: ein wenig Stolz steigt in der Brust hoch. Die letzten Kilometer bis Zirl sind dann reiner Kinderkram.

Ein paar Details

Entfernung: Heidelberg – Zirl, ca. 478 km
Etappen: 7
Anstieg: 4409m | Abstieg: 3887m
Übernachtung in
Dürrenzimmern: Landpension Kohler, Meimsheimer Straße 17, 74336 Brackenheim
Aichschieß: Gasthaus Rössle, Alte Dorfstraße 45, 73773 Aichwald-Aichschieß
Berghülen: Heidehof Camping, Heidehofstraße 50, 89150 Laichingen-Machtolsheim
Memmingen: Drexel´s Parkhotel, Ulmer Str. 7, 87700 Memmingen
Marktoberdorf: Gästehaus Beranek, Keltenstr. 46, 87616 Marktoberdorf
Garmisch-Partenkirchen.: Hostel 2962, Partnachauenstrasse 3, 82467 Garmisch-P.
Schwangau: Hotel Hanselewirt, Mitteldorf 13, 87645 Schwangau
Zirl: Café-Pension Margret, Geistbühelweg 5, 6170 Zirl
Eintritte usw.:
Technik-Museum Sinsheim 17 € (Erw.), 13 € (Kin.)
Schloss Neuschwanstein 13 € (Erw.), Kinder frei
Zugspitze Berg- und Talfahrt 59,50 € (Erw.), 45 bzw. 32 € (Jug./Kin)

= Unterkunft: C = Camping | H = Hotel | P = private Unterkunft, Pension
Etappen in Deutschland und Österreich
Datum Etappe von – nach km km total Zeit HöhM Temp.
10.05.2018 Heidelberg – Dürrenzimmern 66.2 932 4:24 643 / 527 20° P
11.05.2018 Dürrenzimmern – Aichschieß 58.1 990 5:15 878 / 622 22° P
12.05.2018 Aichschieß – Berghülen 57.3 1047 4:45 976 / 694 24° C
13.05.2018 Berghülen – Memmingen 76.5 1124 5:04 244 / 293 24° H
14.05.2018 Memmingen – Marktoberdorf 55.7 1179 3:57 569 / 445 22° H
15.05.2018 Marktoberdorf – Schwangau 35.8 1215 2:38 559 / 324 23° P
16.05.2018 Schwangau – Garmisch-P. 57.8 1273 4:01 503 / 611 22° P
18.05.2018 Garmisch-P. – Zirl (A) 54.4 1327 4:29 940 / 964 23 P

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