Angekommen


Bald werden unsere Mühen und leider auch unsere Tour ein Ende haben, vom Coral Beach in Elat sind es nur noch drei Kilometer bis zur ägyptischen Grenze. Wir haben uns endlich entschlossen, nicht weiter mit Ankunft in Ägypten
Ankunft in Ägypten
dem Rad zu fahren. Nicht, weil wir dies dem ägyptischen Konsul versprechen mussten oder wir keine Lust mehr aufs Radfahren haben. Die Gründe sind dann doch eher rationaler Natur. Zum einen wäre da der hereinbrechende Sommer, Tagestemperaturen von 40 Grad und mehr lassen keine längeren Touren mehr zu. Selbst am frühen Morgen sinkt die Quecksilbersäule des Thermometers nicht unter die 35. Problem Nr. 2: Laut der neu erworbenen Karte sind es von Taba an der Grenze zu Israel bis Sharm el Sheikh etwa 250 Kilometer. Der Weg wird lediglich durch zwei weitere Ortschaften unterbrochen, Nuweiba und Dahab, die jeweils 80 Kilometer auseinander liegen. Das Höhenprofil verspricht ein stetes Auf und Ab mit Spitzen bis zu 1000 Höhenmetern. Und: die Sinai-Halbinsel ist eine Wüste, nach unserem Erlebnis in der Negev und den vorliegenden Fakten wollen wir nichts riskieren. Später stellt sich zwar heraus, dass auf dem Weg noch einige Beduinensiedlungen liegen, in denen man sich hätte versorgen und nötigenfalls auch schlafen können. Fest steht aber auch, dass wir im Moment der Hitze nichts mehr entgegenzusetzen haben.

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Nach zehnminütiger Fahrt mit steifem Rückenwind erreichen wir den Grenzposten auf israelischer Seite, ein schönes Gebäude, dessen Errichtung wir scheinbar mitbezahlen müssen, jedenfalls verlangt man von uns 140 Schekel „Ausreisegebühr“. Wir fragen uns, was geschieht, wenn man diese Gebühr nicht bezahlt. Kann man in anderen Ländern die Kosten der Einreise nicht entrichten, kommt man erst gar nicht in dieses Land herein. In Israel hingegen ist der Eintritt frei. Ist man an der Grenze pleite (was schnell passieren kann), muss man jedoch so lange bleiben, bis man genug Geld zur Ausreise zusammen hat. Seltsam.
Die Grenzbeamtin amüsiert sich köstlich über unsere Geschichte des fehlenden Visumstempels, lässt uns aber problemlos passieren. Wenig später werden wir wieder zur Kasse gebeten, diesmal auf ägyptischer Seite. Unser Geld wird hier aber zweifelsfrei nicht für den Bau oder Erhalt der bestehenden Grenzanlage verwendet, das Gebäude ist schon ziemlich abgekämpft, vor allem inwendig. Die Formalitäten sind nicht so schnell erledigt, wie auf israelischer Seite. Die Grenzer sind wegen der politischen Situation etwas sensibler als früher, außerdem schauen selten Radreisende mit so viel Gepäck herein. Letzteres müssen wir denn auch durch einen Röntgenapparat schieben, der noch aus den Tagen der englischen Kolonialzeit zu stammen scheint. Entsprechend schlecht sind die Bilder, die die Maschine macht und wir haben alles auszupacken. Besonders unsere Gaskartuschen und Sabines Jagdmesser sind den Beamten ein Dorn im Auge, für beides gäbe es ein Einfuhrverbot. Frank schlägt vor, den diensthabenden Offizier zur Klärung des Sachverhalts hinzuzuziehen, der bis dahin recht sture Beamte knickt etwas ein und wir vereinbaren einen Deal dahingehend, dass wir das Jagdmesser behalten dürfen, die Gaskartuschen werden hingegen offiziell konfisziert. Seltsam.

Saladins Burg / Taba
Saladins Burg auf Pharao’s Island / Taba

Egal, wir sind in Ägypten und unser nächstes Ziel ist es, einen Bus nach Sharm el Sheikh aufzutun. Der „Busbahnhof“ von Taba ist nur wenige Kilometer entfernt, ein staubiger rechteckiger Platz mit ein paar abbruchreifen Kiosken drumherum, und natürlich das obligatorische Heer von Fliegen. Die wartenden Fahrgäste teilen sich die noch intakten Sitzgelegenheiten, sitzen auf der Treppe oder sonst wo. Ja, es gäbe einen Bus, der führe in fünf Stunden und würde 120 Pfund (ägyptische) plus ein Bakschisch für die Fahrräder kosten, der Fahrkartenverkäufer ist sehr kooperativ. Der Preis ist in Ordnung, aber fünf Stunden warten? Es dauert aber nicht lange und es stellen sich einige Ägypter ein, die uns ihren Kleinbus zur Verfügung stellen wollen, Anfangsgebot sind 500 Pfund bis Sharm. Nun beginnt ein zähes Ringen um den Preis und wir befürchten schon, dass wir so lange verhandeln werden, bis der offizielle Bus abfährt. Glücklicherweise gesellen sich zwei Amerikanerinnen zu uns, die in Israel arbeiten und aus aufenthaltsrechtlichen Gründen alle drei Monate das Land verlassen müssen und dann in Ägypten ein paar Tage Urlaub machen. Zwar wollen sie nur bis Nuweiba, die nächste größere Ortschaft, gemeinsam gelingt es uns aber, den Fahrpreis auf 300 Pfund zu drücken. Wohl denn, wir haben ein eigenes Fahrzeug mit Fahrer, die Räder werden auf das Fahrzeugdach geschnallt und wir können sofort losfahren. Unser Fahrer nennt sich selbst Ali, er ist Beduine und behauptet von sich, er könne Englisch sprechen. Frank kann dies später nicht bedenkenlos unterschreiben, er muss vorne sitzen und sich drei Stunden lang die zehn Wörter Englisch anhören, die sich tatsächlich in Alis Wortschatz befinden. „Bedouin tea“, „have a rest“, „back to hotel“ und „no cheese“ sind immer wieder zu hören, ach, nicht zu vergessen „rubbish“. Diese Worte sind dann jeweils in einem situationsbedingten Zusammenhang zu betrachten, „rubbish“ (= Müll) entfährt es Ali immer, wenn wir an einem Hotel vorbeifahren, Tee und Ruhepause ist zu hören, passieren wir ein Beduinenzelt, leider haben wir bis heute nicht herausgefunden, was es mit dem Käse (no cheese) auf sich hat, Frank hat allerdings die Theorie, dass Ali uns mitteilen will, er habe keine Kinder (no cheese = no kids?). Wie dem auch sei, kurz vor Nuweiba steigen unsere Mitreisenden aus und in einem Resort ab, in dem schon die Wölfe heulen und sich die Natur ihr Recht zurück erkämpft. Die Ägypter haben sich in der Hotelplanung ziemlich verschätzt, viele Resorts stehen leer oder noch im Rohbau und die Gäste bleiben aus, Gründe gibt es viele: Geburtenrückgang, Rezession in Europa, Haiangriffe in Sharm, Revolution in Kairo… Insbesondere die Geldbringer aus Israel tröpfeln nur noch in das Land, für Israelis gibt es eine eindeutige Reisewarnung in Bezug auf Ägypten.
Nun sitzen wir mit Ali allein im Bus und er redet auf uns ein wie eine Endloskassette aus einem deutschen Supermarkt. Dann plötzlich ein Stopp an einem verlassenen coffee-house mitten im Nichts: Ali möchte eine Pause machen (have a rest), ihm steht der Sinn nach Tee (Bedouin tea) und wenn er fertig ist, geht es weiter zu unserem Hotel (back to hotel). Ein solches haben wir noch gar nicht, was wir Ali mindestens zwölfhundert Mal erklärten. Er lädt uns zum Tee ein, „real Bedouin Tea“ (echter Beduinen-Tee), der sich später allerdings als bulgarischer Import herausstellt. Wo soll man in Ägypten auch Tee anbauen? Aus lauter Dankbarkeit schenken wir ihm unsere Vorräte an löslichem Kaffee, was ihn sehr freut und als sich eine kleine Ziegenherde dem Kaffeehaus nähert, den spärlichen Bewuchs abgrast und die Mülltonnen leert, erzählt uns Ali etwas über das Leben der Beduinen. Sie fühlten sich nicht als Ägypter oder eine sonstige Nation, sie wären halt Beduinen. Das Leben sei schwer heute, der massive Hotelbau dränge die Ureinwohner des Sinai immer weiter zurück, nähme ihnen die besten Lagerplätze, den Zugang zum Wasser usw. Die Beduinen müssten mit alten Traditionen brechen, um heute überhaupt noch überleben zu können, aber der Fortschritt sei unaufhaltsam und hätte auch gute Seiten. Zum Beweis dafür holt er grinsend sein Handy hervor und ruft seine Freundin an. Bald ist der Tee getrunken und wir fahren weiter, Ali wird etwas stiller und auch müde, die Augen werden kleiner und Frank schnallt sich an. Sobald wir an einem Hotel vorbeikommen, murmelt er „rubbish“, bald ist Dahab erreicht und der Abzweig zum Katharinenkloster, jetzt sind es nur noch knapp 100 Kilometer. Wir fragen uns, was die Beduinen hier leben lässt, außer Steinen, Sand und Hitze gibt es hier eigentlich nichts. Zweifelsohne ist die Landschaft in ihrer Kargheit atemberaubend, aber sein ganzes Leben hier zu verbringen, hm, dazu muss man die Wüste wirklich lieben.

Sonnenaufgang am Sinai
Sonnenaufgang am Sinai

Ali fährt wie ein Irrer, er möchte, wie wir auch, schnell in Sharm ankommen. Schon 25 Kilometer vor Sharm leuchtet das Rote Meer in milchigem Blau und wir haben es fast geschafft. Ali möchte uns noch zum Hotel fahren, aber zu welchem? Die ganze Stadt besteht ja nur aus Hotels, Supermärkten und Restaurants. Wir lassen uns am Busbahnhof absetzen, satteln unsere Räder und fahren in die Na’ama Bay, dem touristischen Herz Sharms. Sabine platzt der Reifen und wir begeben uns an den Straßenrand, um das Loch zu flicken. Es dauert nicht lang und wir haben Zuschauer. Nicht nur, das Fahrräder an sich in Sharm el Sheikh so selten sind wie Zirkuselefanten. Aber vollgepackt, mit zwei Touristen obenauf, na, das schlägt dem Fass wohl den Boden aus, wo alle Leute hier fliegen, fahren oder sich fahren lassen. Und dann auch noch Reparaturen, auf offener Straße, wir sind eine Abwechslung im tristen Touristenbrei und die Inhaber der umliegenden Shops wissen dies zu schätzen. Vor Jahren waren wir schon einmal in Sharm und seinerzeit fühlten wir uns von den einheimischen Verkäufern sehr oft belästigt und bedrängt. Heute aber drehen sich die Uhren für uns anders, wir stellen fest, dass die Ägypter tief im Herzen freundliche und hilfsbereite Menschen sind (natürlich nicht alle, wie überall auf der Welt). Ein Verkäufer schleppt einen Eimer Wasser herbei, damit wir das Loch im Schlauch finden, ein anderer schleppt eine alte Radpumpe an, einer kommt mit Seife und Handtuch, zwei andere helfen, den Vorderreifen auszubauen usw. Am Ende stehen wir mit sechs Verkäufern da, jeder hilft oder will helfen und im Nu ist der Reifen geflickt. Nicht einmal will einer etwas verkaufen, alles sind begierig unsere Geschichte zu hören und wir quaken fast eine Stunde mit ihnen herum, dass sie sich vielleicht gute Geschäfte entgehen lassen, stört sie überhaupt nicht. Am Ende bekommen wir noch ägyptisches Gebäck und bulgarischen Beduinen-Tee und ein paar handverlesene, globale Tipps in Sachen Unterkunft.

Sonnenuntergang - Sharm el Sheikh
Sonnenuntergang – Sharm el Sheikh
Rotes Meer - Sharm el Sheikh
Rotes Meer – Sharm el Sheikh
Al Mustafa Moschee in Sharm el Sheikh
Al Mustafa Moschee in Sharm el Sheikh

Vier Wochen bleiben wir in Sharm und wir wissen beide nicht, wie die Zeit vergangen ist, ein wenig Tauchen, ein Ausflug zum Berg Moses, viel Zeit am Pool, ein bisschen Strand (in Sharm sind fast alle Strände in den Händen der Hotels und man muss Eintritt zahlen) und Schwitzen ohne Ende. Dann endlich besteigen wir den Bus nach Alexandria, wir müssen ja wieder mal Geld verdienen, außerdem ist noch etwas passiert, aber das ist dann eine andere Geschichte…

– – – E n d e – – –

Ein paar Details

Strecke: ./.
Etappen: ./.
Anstieg/Abstieg: ./.

= Unterkunft: C = Camping | H = Hotel | P = private Unterkunft, Pension
Etappen in Ägypten
Datum Etappe von – nach km km total Zeit HöhM Temp.
12.07.2011 Busfahrt Elat – Sharm el Sheikh (EGY) 230 4435 4:35 ./. 43° P
10.08.2011 Busfahrt Sharm el Sheikh – Alexandria 717 4435 11:35 ./. 33° P

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